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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band.

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schaft für die Bühne, die Arena und den Circus glich einer epidemischen
Krankheit, die sich von den untern Schichten der Gesellschaft auf die höhern
Stände verbreitete, die Leidenschaft für Gladiatoren* und Rennpferde, so wird
in einer um die Zeit von Titus Tod verfaßten Schrift geklagt, erfüllte die
Gemüther so völlig, daß sie keinen Raum für edlere Bildung ließ.

Noch ein charakteristisches Moment der geselligen Unterhaltung ist zu er¬
wähnen. Die beiden ersten Jahrhunderte waren Zeiten, in denen das Streben
nach encyklopädischer Bildung sehr verbreitet war, das, wie natürlich, häufig
genug in oberflächliche Viclwisserei ausartete. Daß diese nicht ermangelte, sich
in der Konversation gehörig zur Schau zu stellen, versteht sich von selbst. Die
Art, wieder petronische Trimalchio sich an seiner Tafel über alle Wissenschaften
und Künste vernehmen läßt, zeigt hinreichend, wie sehr dergleichen The¬
mas zur Unterhaltung beliebt waren, denn wenn schon ein reicher Freigelasse¬
ner in einer Handelsstadt dabei so lange verweilt, muß in dem bildungseifrigen
Rom bei weitem mehr Aufheben davon gemacht worden sein. In der That
fehlte es nicht an solchen, die philosophische und literarische Studien machten,
um ihre Gelehrsamkeit bei Tafel auszukramen und vielleicht- gar die Bewun¬
derung eines Senators zu erregen, den ein günstiges Geschick ihnen zum
Nachbar geben mochte.

Solche vereinzelte, zufällig erhaltene Züge geben von dem Ton und In¬
halt der geselligen Unterhaltung freilich nur ein sehr unvollkommnes Bild.
Manches würden wir uns denken können, auch wenn wir nicht im Stande
wären es mit Citaten zu belegen, wie wir z. B. auch ohne Senecas aus¬
drückliche Mittheilung wissen würden, daß Einleitungen von Gesprächen mit
Betrachtungen über das Wetter zwar gewöhnlich waren, aber keineswegs sür
geistreich galten. Zum Schluß möge hier die Schilderung eines Stutzers aus
Martials Feder stehn. Er trügt sein Haar in kunstvoller Ordnung, er duftet
stets nach den feinsten Gerüchen. Er trällert alexandrinische Melodien und
Ritornells spanischer Ballete, er bewegt seine glatten Arme in tänzerartiger
Manier. Er sitzt den ganzen Tag unter den Lehnsesseln der Frauen und hat
immer in irgend ein Ohr zu flüstern. Er schreibt Billetchen und liest die
Billetchen andrer, er nimmt sich vor einer Berührung mit dem Ellbogen sei¬
nes Nachbars in Acht. Er weiß von jedem, in welche Frau er verliebt ist,
er läuft von einem Gastmahl zum andern, er weiß den Stammbaum des
beliebtesten Renners im Circus auswendig. Der Dichter meint, es sei eine
sehr verwickelte Sache, alle diese Eigenschaften zu vereinigen.




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schaft für die Bühne, die Arena und den Circus glich einer epidemischen
Krankheit, die sich von den untern Schichten der Gesellschaft auf die höhern
Stände verbreitete, die Leidenschaft für Gladiatoren* und Rennpferde, so wird
in einer um die Zeit von Titus Tod verfaßten Schrift geklagt, erfüllte die
Gemüther so völlig, daß sie keinen Raum für edlere Bildung ließ.

Noch ein charakteristisches Moment der geselligen Unterhaltung ist zu er¬
wähnen. Die beiden ersten Jahrhunderte waren Zeiten, in denen das Streben
nach encyklopädischer Bildung sehr verbreitet war, das, wie natürlich, häufig
genug in oberflächliche Viclwisserei ausartete. Daß diese nicht ermangelte, sich
in der Konversation gehörig zur Schau zu stellen, versteht sich von selbst. Die
Art, wieder petronische Trimalchio sich an seiner Tafel über alle Wissenschaften
und Künste vernehmen läßt, zeigt hinreichend, wie sehr dergleichen The¬
mas zur Unterhaltung beliebt waren, denn wenn schon ein reicher Freigelasse¬
ner in einer Handelsstadt dabei so lange verweilt, muß in dem bildungseifrigen
Rom bei weitem mehr Aufheben davon gemacht worden sein. In der That
fehlte es nicht an solchen, die philosophische und literarische Studien machten,
um ihre Gelehrsamkeit bei Tafel auszukramen und vielleicht- gar die Bewun¬
derung eines Senators zu erregen, den ein günstiges Geschick ihnen zum
Nachbar geben mochte.

Solche vereinzelte, zufällig erhaltene Züge geben von dem Ton und In¬
halt der geselligen Unterhaltung freilich nur ein sehr unvollkommnes Bild.
Manches würden wir uns denken können, auch wenn wir nicht im Stande
wären es mit Citaten zu belegen, wie wir z. B. auch ohne Senecas aus¬
drückliche Mittheilung wissen würden, daß Einleitungen von Gesprächen mit
Betrachtungen über das Wetter zwar gewöhnlich waren, aber keineswegs sür
geistreich galten. Zum Schluß möge hier die Schilderung eines Stutzers aus
Martials Feder stehn. Er trügt sein Haar in kunstvoller Ordnung, er duftet
stets nach den feinsten Gerüchen. Er trällert alexandrinische Melodien und
Ritornells spanischer Ballete, er bewegt seine glatten Arme in tänzerartiger
Manier. Er sitzt den ganzen Tag unter den Lehnsesseln der Frauen und hat
immer in irgend ein Ohr zu flüstern. Er schreibt Billetchen und liest die
Billetchen andrer, er nimmt sich vor einer Berührung mit dem Ellbogen sei¬
nes Nachbars in Acht. Er weiß von jedem, in welche Frau er verliebt ist,
er läuft von einem Gastmahl zum andern, er weiß den Stammbaum des
beliebtesten Renners im Circus auswendig. Der Dichter meint, es sei eine
sehr verwickelte Sache, alle diese Eigenschaften zu vereinigen.




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[0115] schaft für die Bühne, die Arena und den Circus glich einer epidemischen Krankheit, die sich von den untern Schichten der Gesellschaft auf die höhern Stände verbreitete, die Leidenschaft für Gladiatoren* und Rennpferde, so wird in einer um die Zeit von Titus Tod verfaßten Schrift geklagt, erfüllte die Gemüther so völlig, daß sie keinen Raum für edlere Bildung ließ. Noch ein charakteristisches Moment der geselligen Unterhaltung ist zu er¬ wähnen. Die beiden ersten Jahrhunderte waren Zeiten, in denen das Streben nach encyklopädischer Bildung sehr verbreitet war, das, wie natürlich, häufig genug in oberflächliche Viclwisserei ausartete. Daß diese nicht ermangelte, sich in der Konversation gehörig zur Schau zu stellen, versteht sich von selbst. Die Art, wieder petronische Trimalchio sich an seiner Tafel über alle Wissenschaften und Künste vernehmen läßt, zeigt hinreichend, wie sehr dergleichen The¬ mas zur Unterhaltung beliebt waren, denn wenn schon ein reicher Freigelasse¬ ner in einer Handelsstadt dabei so lange verweilt, muß in dem bildungseifrigen Rom bei weitem mehr Aufheben davon gemacht worden sein. In der That fehlte es nicht an solchen, die philosophische und literarische Studien machten, um ihre Gelehrsamkeit bei Tafel auszukramen und vielleicht- gar die Bewun¬ derung eines Senators zu erregen, den ein günstiges Geschick ihnen zum Nachbar geben mochte. Solche vereinzelte, zufällig erhaltene Züge geben von dem Ton und In¬ halt der geselligen Unterhaltung freilich nur ein sehr unvollkommnes Bild. Manches würden wir uns denken können, auch wenn wir nicht im Stande wären es mit Citaten zu belegen, wie wir z. B. auch ohne Senecas aus¬ drückliche Mittheilung wissen würden, daß Einleitungen von Gesprächen mit Betrachtungen über das Wetter zwar gewöhnlich waren, aber keineswegs sür geistreich galten. Zum Schluß möge hier die Schilderung eines Stutzers aus Martials Feder stehn. Er trügt sein Haar in kunstvoller Ordnung, er duftet stets nach den feinsten Gerüchen. Er trällert alexandrinische Melodien und Ritornells spanischer Ballete, er bewegt seine glatten Arme in tänzerartiger Manier. Er sitzt den ganzen Tag unter den Lehnsesseln der Frauen und hat immer in irgend ein Ohr zu flüstern. Er schreibt Billetchen und liest die Billetchen andrer, er nimmt sich vor einer Berührung mit dem Ellbogen sei¬ nes Nachbars in Acht. Er weiß von jedem, in welche Frau er verliebt ist, er läuft von einem Gastmahl zum andern, er weiß den Stammbaum des beliebtesten Renners im Circus auswendig. Der Dichter meint, es sei eine sehr verwickelte Sache, alle diese Eigenschaften zu vereinigen. 14*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105276/115>, abgerufen am 22.12.2024.