Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band.lind was soll man sagen, wenn der Philosoph Seneca an eine Mutter, die In einem der witzigsten Gedichte des Horaz befragt Ulyß,den Schatten lind was soll man sagen, wenn der Philosoph Seneca an eine Mutter, die In einem der witzigsten Gedichte des Horaz befragt Ulyß,den Schatten <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb facs="#f0108" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/105385"/> <p xml:id="ID_242" prev="#ID_241"> lind was soll man sagen, wenn der Philosoph Seneca an eine Mutter, die<lb/> ihren einzigen hoffnungsvollen Sohn verloren hatte, allen Ernstes folgende<lb/> Worte richten konnte: „Um einen sehr unwahrscheinlich klingenden, aber doch<lb/> wahren Trost anzuwenden, so gibt rü unserer Gesellschaft Verwaisung mehr<lb/> Einfluß als sie entreißt, und Einsamkeit führt das Alter, das sie seiner Stützen<lb/> zu berauben schien, vielmehr so sicher zur Macht, daß Viele Feindschaft gegen<lb/> ihre Söhne heucheln, ihre Kinder abschworen und sich eine künstliche Ver¬<lb/> waisung schaffen/' Beiläufig gesagt war auch ein guter Theil der kolossalen<lb/> Reichthümer Scnecas, wenigstens nach der Behauptung seiner Gegner, durch<lb/> Erbschlcicherei erworben. Eine reich gesegnete Ehe galt als Beweis eines<lb/> tugendhaften, selbstve,leugnenden Bürgersinns; der jüngere Plinius berichtet<lb/> von einem seiner Freunde, daß er mehre Kinder habe „in einem Zeitalter,<lb/> wo den Meisten schon ein Sohn durch die Vorzüge der Kinderlosigkeit zur<lb/> Last wird." Als charakteristisch für die primitiven Zustände Germaniens<lb/> unterläßt Tacitus nicht zu erwähnen, daß Kinderlosigkeit da keine Vorzüge ge¬<lb/> währt. Die Metaphern von Angel, Köder, Reusen, und wenn das Geschäft<lb/> auf großem Fuß betrieben wurde, von -Fischbehältern voll fetter Thüre, von<lb/> Geiern und Raben, die auf Aas lauern, haben Schriftstellern und Dichtern oft<lb/> genug Gelegenheit gegeben, Witz oder Pathos zu entfalten.</p><lb/> <p xml:id="ID_243" next="#ID_244"> In einem der witzigsten Gedichte des Horaz befragt Ulyß,den Schatten<lb/> des Sehers Tiresias. wie er seine durch die Wirthschaft der Freier zerrütteten<lb/> Verhältnisse verbessern könne und erhält den Rath, sich auf Erbschleichern zu<lb/> legen, nebst den nöthigsten Anweisungen. Es gehörte keine geringe Kunst da¬<lb/> zu, um dies Geschäft mit Erfolg zu betreiben. Es war eine schwere Auf¬<lb/> gabe, nie aus der Rolle zu fallen, nie zu wenig zu thun, nie zu übertreiben.<lb/> Von angenehmen kleinen Aufmerksamkeiten und Galanterien bis zu den wichtig¬<lb/> sten und mit persönlicher Aufopferung verbundenen Dienstleistungen konnten<lb/> kinderlose.reiche alte Herrn und Damen von ihren ergebenen Freunden alles<lb/> verlangen und erwarten, Ihnen wurden die feinsten Leckerbissen zugeschickt,<lb/> Edelobst, feiner Honig, Gebäck und Wild liefen von allen Seiten in ihren<lb/> Küchen ein. Ihre Gedichte fanden die lebhafteste Bewunderung. Ihre<lb/> theure Gesundheit war der Gegenstand der zärtlichsten Sorgfalt. Lagen sie<lb/> zu Bett, so ließ.ihre Krankenpflege nichts zu wünschen übrig. Gelübde, Ge¬<lb/> bete und Opfer stiegen zu den Göttern auf, Weissager wurden befragt, man ver¬<lb/> maß sich, sagt Juvenal, im Fall ihrer Genesung Elephanten und Menschen<lb/> zu opfern. Das schönere Geschlecht zeigte ihren Vorzügen gegenüber eine<lb/> liebenswürdige Schwäche. Gefiel ihnen das Haus eines ihrer Freunde, so<lb/> wurde es ihnen unentgeltlich zur Wohnung eingeräumt. Waren sie in einen<lb/> schlimmen Rechtshändel verwickelt, so ^drängte man sich sie zu vertheidigen,<lb/> die Sache mußte verzweifelt stehn, wenn sie nicht gewannen. Ihre Atrien</p><lb/> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0108]
lind was soll man sagen, wenn der Philosoph Seneca an eine Mutter, die
ihren einzigen hoffnungsvollen Sohn verloren hatte, allen Ernstes folgende
Worte richten konnte: „Um einen sehr unwahrscheinlich klingenden, aber doch
wahren Trost anzuwenden, so gibt rü unserer Gesellschaft Verwaisung mehr
Einfluß als sie entreißt, und Einsamkeit führt das Alter, das sie seiner Stützen
zu berauben schien, vielmehr so sicher zur Macht, daß Viele Feindschaft gegen
ihre Söhne heucheln, ihre Kinder abschworen und sich eine künstliche Ver¬
waisung schaffen/' Beiläufig gesagt war auch ein guter Theil der kolossalen
Reichthümer Scnecas, wenigstens nach der Behauptung seiner Gegner, durch
Erbschlcicherei erworben. Eine reich gesegnete Ehe galt als Beweis eines
tugendhaften, selbstve,leugnenden Bürgersinns; der jüngere Plinius berichtet
von einem seiner Freunde, daß er mehre Kinder habe „in einem Zeitalter,
wo den Meisten schon ein Sohn durch die Vorzüge der Kinderlosigkeit zur
Last wird." Als charakteristisch für die primitiven Zustände Germaniens
unterläßt Tacitus nicht zu erwähnen, daß Kinderlosigkeit da keine Vorzüge ge¬
währt. Die Metaphern von Angel, Köder, Reusen, und wenn das Geschäft
auf großem Fuß betrieben wurde, von -Fischbehältern voll fetter Thüre, von
Geiern und Raben, die auf Aas lauern, haben Schriftstellern und Dichtern oft
genug Gelegenheit gegeben, Witz oder Pathos zu entfalten.
In einem der witzigsten Gedichte des Horaz befragt Ulyß,den Schatten
des Sehers Tiresias. wie er seine durch die Wirthschaft der Freier zerrütteten
Verhältnisse verbessern könne und erhält den Rath, sich auf Erbschleichern zu
legen, nebst den nöthigsten Anweisungen. Es gehörte keine geringe Kunst da¬
zu, um dies Geschäft mit Erfolg zu betreiben. Es war eine schwere Auf¬
gabe, nie aus der Rolle zu fallen, nie zu wenig zu thun, nie zu übertreiben.
Von angenehmen kleinen Aufmerksamkeiten und Galanterien bis zu den wichtig¬
sten und mit persönlicher Aufopferung verbundenen Dienstleistungen konnten
kinderlose.reiche alte Herrn und Damen von ihren ergebenen Freunden alles
verlangen und erwarten, Ihnen wurden die feinsten Leckerbissen zugeschickt,
Edelobst, feiner Honig, Gebäck und Wild liefen von allen Seiten in ihren
Küchen ein. Ihre Gedichte fanden die lebhafteste Bewunderung. Ihre
theure Gesundheit war der Gegenstand der zärtlichsten Sorgfalt. Lagen sie
zu Bett, so ließ.ihre Krankenpflege nichts zu wünschen übrig. Gelübde, Ge¬
bete und Opfer stiegen zu den Göttern auf, Weissager wurden befragt, man ver¬
maß sich, sagt Juvenal, im Fall ihrer Genesung Elephanten und Menschen
zu opfern. Das schönere Geschlecht zeigte ihren Vorzügen gegenüber eine
liebenswürdige Schwäche. Gefiel ihnen das Haus eines ihrer Freunde, so
wurde es ihnen unentgeltlich zur Wohnung eingeräumt. Waren sie in einen
schlimmen Rechtshändel verwickelt, so ^drängte man sich sie zu vertheidigen,
die Sache mußte verzweifelt stehn, wenn sie nicht gewannen. Ihre Atrien
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