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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band.

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Zweck, für den Beifall deS Publicums zu arbeiten, und deshalb die Gesetze
ihrer Kunst, die Mittel, durch welche man die menschliche Natur bewegt, gründ¬
lich zu studiren, so Aeschylus, Sophokles, Shakspeare, Calderyn u. s. w. Daß
Goethe dieser Nothwendigkeit überhoben war, empfanden die romantischen Dilet¬
tanten als einen Vorzug, während doch die Kunstwerke ernsthaft darunter litten.
Menschlich betrachtet war wol das Verhältniß zum Herzog viel schöner als
irgend eins der frühern, selbst wie das spätere zu Schiller, aber für den Künst¬
ler wäre eS förderlicher gewesen, wenn er immer einen Merk zur Seite gehabt,
der es nicht zugab, daß sein großer Freund Dinge schrieb, die jeder schreiben
konnte, und auch die Nation hätte dabei gewonnen. Das Verhältniß zu
Schiller trat erst in einer Zeit ein, wo eS mit Goethes schöpferischer Kraft
bereits abwärts ging.

Wie poetisch der Nimbus sein mag, mit dem man die lustige Zeit von
Weimar umgibt, sie war doch in ihrem innersten Kern nicht gesund. Freilich
macht der Briefwechsel mit Klopstock einen sehr lächerlichen Eindruck, aber
Klopstock hatte deshalb nicht unrecht, weil er sich pedantisch ausdrückte. Es
ist jetzt nicht mehr nöthig, aus die Schäden hinzuweisen, die aus dem Ueber¬
muth der reget- und gesetzlosen Genialität hervorgehn, man ist heut ziemlich
darüber einig, was man über die berühmten Frauen jener Periode und ihre
Liaisons zu denken hat. Man darf nur den letzten Brief Goethes an Frau
von Stein und den letzten Brief der Frau von Stein über Goethe ansehn, um
sich zu überzeugen, daß, von allen sittlichen Bedenken abgesehn, auch das Glück
ein sehr zweifelhaftes ist, das aus solchen Verbindungen hervorgeht. Die
Sache wurde in jener Periode dadurch noch schlimmer, daß diese Verhältnisse,
die im Privatleben zu allen Zeiten vorkommen, in Weimar ein Gegenstand
der Oeffentlichkeit waren. Weimar, die Hauptstadt des poetischen Deutschlands,
war, um es grabe herauszusagen, ein Klatschnest, welches sich nur mit Kräh¬
winkel vergleichen läßt, und daS macht einen um so peinlicheren Eindruck, da
die Gegenstände und Träger dieser Klatschereien die ersten Männer und Frauen
Deutschlands waren. Sie waren wie ihre späteren Statuen zu groß für den
Ort und so aneinandergedrängt, daß sie keine andere Beschäftigung wußten,
als sich ihre kleinen Schwächen abzulauschen und gegen einander zu intriguiren.
Sieht man von den einzelnen Schöpfungen ab und betrachtet das Leben im
Großen und Ganzen, so macht es den Eindruck der völligster Zwecklosigkeit
und Zerfahrenheit, und darin liegt seine unsittliche Seite, nicht in den einzel¬
nen Geniestreichen, die anderwärts viel ärger vorkommen. Auch die geistige
Aristokratie verlangt, um in gesunder Harmonie zu bestehen, eine allgemeine
substantielle Grundlage und diese fehlte unserm classischen Zeitalter.

In Goethes sämmtlichen Dichtungen ist so viel Feinheit des Gemüths
und des Gedankens versteckt, daß man fast bei jeder neuen Lectüre Momente


Zweck, für den Beifall deS Publicums zu arbeiten, und deshalb die Gesetze
ihrer Kunst, die Mittel, durch welche man die menschliche Natur bewegt, gründ¬
lich zu studiren, so Aeschylus, Sophokles, Shakspeare, Calderyn u. s. w. Daß
Goethe dieser Nothwendigkeit überhoben war, empfanden die romantischen Dilet¬
tanten als einen Vorzug, während doch die Kunstwerke ernsthaft darunter litten.
Menschlich betrachtet war wol das Verhältniß zum Herzog viel schöner als
irgend eins der frühern, selbst wie das spätere zu Schiller, aber für den Künst¬
ler wäre eS förderlicher gewesen, wenn er immer einen Merk zur Seite gehabt,
der es nicht zugab, daß sein großer Freund Dinge schrieb, die jeder schreiben
konnte, und auch die Nation hätte dabei gewonnen. Das Verhältniß zu
Schiller trat erst in einer Zeit ein, wo eS mit Goethes schöpferischer Kraft
bereits abwärts ging.

Wie poetisch der Nimbus sein mag, mit dem man die lustige Zeit von
Weimar umgibt, sie war doch in ihrem innersten Kern nicht gesund. Freilich
macht der Briefwechsel mit Klopstock einen sehr lächerlichen Eindruck, aber
Klopstock hatte deshalb nicht unrecht, weil er sich pedantisch ausdrückte. Es
ist jetzt nicht mehr nöthig, aus die Schäden hinzuweisen, die aus dem Ueber¬
muth der reget- und gesetzlosen Genialität hervorgehn, man ist heut ziemlich
darüber einig, was man über die berühmten Frauen jener Periode und ihre
Liaisons zu denken hat. Man darf nur den letzten Brief Goethes an Frau
von Stein und den letzten Brief der Frau von Stein über Goethe ansehn, um
sich zu überzeugen, daß, von allen sittlichen Bedenken abgesehn, auch das Glück
ein sehr zweifelhaftes ist, das aus solchen Verbindungen hervorgeht. Die
Sache wurde in jener Periode dadurch noch schlimmer, daß diese Verhältnisse,
die im Privatleben zu allen Zeiten vorkommen, in Weimar ein Gegenstand
der Oeffentlichkeit waren. Weimar, die Hauptstadt des poetischen Deutschlands,
war, um es grabe herauszusagen, ein Klatschnest, welches sich nur mit Kräh¬
winkel vergleichen läßt, und daS macht einen um so peinlicheren Eindruck, da
die Gegenstände und Träger dieser Klatschereien die ersten Männer und Frauen
Deutschlands waren. Sie waren wie ihre späteren Statuen zu groß für den
Ort und so aneinandergedrängt, daß sie keine andere Beschäftigung wußten,
als sich ihre kleinen Schwächen abzulauschen und gegen einander zu intriguiren.
Sieht man von den einzelnen Schöpfungen ab und betrachtet das Leben im
Großen und Ganzen, so macht es den Eindruck der völligster Zwecklosigkeit
und Zerfahrenheit, und darin liegt seine unsittliche Seite, nicht in den einzel¬
nen Geniestreichen, die anderwärts viel ärger vorkommen. Auch die geistige
Aristokratie verlangt, um in gesunder Harmonie zu bestehen, eine allgemeine
substantielle Grundlage und diese fehlte unserm classischen Zeitalter.

In Goethes sämmtlichen Dichtungen ist so viel Feinheit des Gemüths
und des Gedankens versteckt, daß man fast bei jeder neuen Lectüre Momente


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[0092] Zweck, für den Beifall deS Publicums zu arbeiten, und deshalb die Gesetze ihrer Kunst, die Mittel, durch welche man die menschliche Natur bewegt, gründ¬ lich zu studiren, so Aeschylus, Sophokles, Shakspeare, Calderyn u. s. w. Daß Goethe dieser Nothwendigkeit überhoben war, empfanden die romantischen Dilet¬ tanten als einen Vorzug, während doch die Kunstwerke ernsthaft darunter litten. Menschlich betrachtet war wol das Verhältniß zum Herzog viel schöner als irgend eins der frühern, selbst wie das spätere zu Schiller, aber für den Künst¬ ler wäre eS förderlicher gewesen, wenn er immer einen Merk zur Seite gehabt, der es nicht zugab, daß sein großer Freund Dinge schrieb, die jeder schreiben konnte, und auch die Nation hätte dabei gewonnen. Das Verhältniß zu Schiller trat erst in einer Zeit ein, wo eS mit Goethes schöpferischer Kraft bereits abwärts ging. Wie poetisch der Nimbus sein mag, mit dem man die lustige Zeit von Weimar umgibt, sie war doch in ihrem innersten Kern nicht gesund. Freilich macht der Briefwechsel mit Klopstock einen sehr lächerlichen Eindruck, aber Klopstock hatte deshalb nicht unrecht, weil er sich pedantisch ausdrückte. Es ist jetzt nicht mehr nöthig, aus die Schäden hinzuweisen, die aus dem Ueber¬ muth der reget- und gesetzlosen Genialität hervorgehn, man ist heut ziemlich darüber einig, was man über die berühmten Frauen jener Periode und ihre Liaisons zu denken hat. Man darf nur den letzten Brief Goethes an Frau von Stein und den letzten Brief der Frau von Stein über Goethe ansehn, um sich zu überzeugen, daß, von allen sittlichen Bedenken abgesehn, auch das Glück ein sehr zweifelhaftes ist, das aus solchen Verbindungen hervorgeht. Die Sache wurde in jener Periode dadurch noch schlimmer, daß diese Verhältnisse, die im Privatleben zu allen Zeiten vorkommen, in Weimar ein Gegenstand der Oeffentlichkeit waren. Weimar, die Hauptstadt des poetischen Deutschlands, war, um es grabe herauszusagen, ein Klatschnest, welches sich nur mit Kräh¬ winkel vergleichen läßt, und daS macht einen um so peinlicheren Eindruck, da die Gegenstände und Träger dieser Klatschereien die ersten Männer und Frauen Deutschlands waren. Sie waren wie ihre späteren Statuen zu groß für den Ort und so aneinandergedrängt, daß sie keine andere Beschäftigung wußten, als sich ihre kleinen Schwächen abzulauschen und gegen einander zu intriguiren. Sieht man von den einzelnen Schöpfungen ab und betrachtet das Leben im Großen und Ganzen, so macht es den Eindruck der völligster Zwecklosigkeit und Zerfahrenheit, und darin liegt seine unsittliche Seite, nicht in den einzel¬ nen Geniestreichen, die anderwärts viel ärger vorkommen. Auch die geistige Aristokratie verlangt, um in gesunder Harmonie zu bestehen, eine allgemeine substantielle Grundlage und diese fehlte unserm classischen Zeitalter. In Goethes sämmtlichen Dichtungen ist so viel Feinheit des Gemüths und des Gedankens versteckt, daß man fast bei jeder neuen Lectüre Momente

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104734/92>, abgerufen am 23.07.2024.