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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band.

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dungsgang aufs engste zusammenhängt, mußte sich auch in der eigentlichen
Kritik Luft machen. Dazu gab die Gründung der Neuen Zeitschrift
für Musik, Ende 1833, Veranlassung, die mehre Jahre hindurch haupt¬
sächlich von Schumann geschrieben wurde und über welche sich Riccius in dem
genannten Aufsatz ausführlich ausgesprochen hat. Schumann hat später seine
Beiträge gesammelt: sie genügen dem Bildungsgrad, den die Kritik heute
erworben hat, nicht mehr ganz; die Form der Versicherung tritt zu sehr über
die Begründung hervor, und in manche Probleme der Komposition haben wir
seit der Zeit einen tiefern Blick gethan. Aber für jene Zeit waren sie von
dem größtem und im Ganzen heilsamsten Einfluß; es galt, die jungen Kräfte
aufzumuntern und eine kühnere Bewegung im Reich der Tonkunst hervor¬
zurufen, die in dem Schlendrian herkömmlicher Regeln zu versumpfen drohte.

Schumanns Leben erhielt einen tiefern Inhalt durch die allmälig aufkei¬
mende Liebe zu der Tochter seines Lehrers, Clara W leck (geb. 1820), von der
sich schon 1836 in seinen Briefen ziemlich starke Spuren zeigen, und die nach
vielen Kämpfen ->8i0 zu einer glücklichen Ehe führte, wenn auch durch sie der
Schatten seines Verhängnisses mit über die edle Frau gebreitet wurde. Gleich¬
zeitig übte Mendelssohn einen großen und heilsamen Einfluß auf ihn aus,
und so beginnt jetzt die Blüte seiner Tondichtung, die in "Paradies und Perl"
und in der B dur-Symphonie ihre Höhe erreichte. Was auch an dieser zu
wünschen übrig bleibt, hat der Verfasser S. -189 ff. angedeutet. Schumann,
der durchweg vom Pianoforte ausgeht, hat sich seine eigne, ihm ausschließlich
ungehörige Claviertechnik gebildet. Sie zeigt sich nicht allein in dem von ihm
zur Anwendung gebrachten Figurenwesen, sondern ebenso in dem Gebrauch
der weiten Accordlagen und dem Ueber- und Durcheinander der Hände.
Das melodische Element findet sich anfangs sehr spärlich und embyronisch, erst
nach und nach entwickelt es sich zu festeren Gestaltungen von charakteristischem
Gepräge. Ungleich hervorstechender zeigen sich von Hause aus die harmonischen
und rhythmischen Elemente, aber den harmonischen Combinationen fehlt öfters
die organische Entfaltung, das eng und unzertrennlich Gesponnene folgerechter
Modulation, wofür Sprunghafte, unvermittelte und stechende, wenn auch oft inter¬
essante Accordverbindungen Platz greifen, den rhythmischen dagegen mangelt zuwei¬
len klare, plastische Gestaltung. Die letzteren in ihren mannigfachen, seltsamen, den
letzten beethovenschen Werken entlehnten Verrückungen und Verschränkungen
machen ein höchst eigenthümliches Moment bei Schumanns Musik aus, und bringen
eine aparte, ganz seinem Wesen entsprechende und verschwimmende, oft reizvolle
Bewegung hervor, aber sie verleiten ihn auch nicht selten zus Monotonie, so
daß seiner Musik zuweilen die körperhafte Konsistenz fehlt. Selten findet man
bei ihm -- am wenigsten in seinen Erstlingswerken -- strenge thematische Arbeit,
d. h. Schumann zerlegt seine Motive nicht weiter, um wieder aufzubauen, zu


Grcnzbore" IV.

dungsgang aufs engste zusammenhängt, mußte sich auch in der eigentlichen
Kritik Luft machen. Dazu gab die Gründung der Neuen Zeitschrift
für Musik, Ende 1833, Veranlassung, die mehre Jahre hindurch haupt¬
sächlich von Schumann geschrieben wurde und über welche sich Riccius in dem
genannten Aufsatz ausführlich ausgesprochen hat. Schumann hat später seine
Beiträge gesammelt: sie genügen dem Bildungsgrad, den die Kritik heute
erworben hat, nicht mehr ganz; die Form der Versicherung tritt zu sehr über
die Begründung hervor, und in manche Probleme der Komposition haben wir
seit der Zeit einen tiefern Blick gethan. Aber für jene Zeit waren sie von
dem größtem und im Ganzen heilsamsten Einfluß; es galt, die jungen Kräfte
aufzumuntern und eine kühnere Bewegung im Reich der Tonkunst hervor¬
zurufen, die in dem Schlendrian herkömmlicher Regeln zu versumpfen drohte.

Schumanns Leben erhielt einen tiefern Inhalt durch die allmälig aufkei¬
mende Liebe zu der Tochter seines Lehrers, Clara W leck (geb. 1820), von der
sich schon 1836 in seinen Briefen ziemlich starke Spuren zeigen, und die nach
vielen Kämpfen ->8i0 zu einer glücklichen Ehe führte, wenn auch durch sie der
Schatten seines Verhängnisses mit über die edle Frau gebreitet wurde. Gleich¬
zeitig übte Mendelssohn einen großen und heilsamen Einfluß auf ihn aus,
und so beginnt jetzt die Blüte seiner Tondichtung, die in „Paradies und Perl"
und in der B dur-Symphonie ihre Höhe erreichte. Was auch an dieser zu
wünschen übrig bleibt, hat der Verfasser S. -189 ff. angedeutet. Schumann,
der durchweg vom Pianoforte ausgeht, hat sich seine eigne, ihm ausschließlich
ungehörige Claviertechnik gebildet. Sie zeigt sich nicht allein in dem von ihm
zur Anwendung gebrachten Figurenwesen, sondern ebenso in dem Gebrauch
der weiten Accordlagen und dem Ueber- und Durcheinander der Hände.
Das melodische Element findet sich anfangs sehr spärlich und embyronisch, erst
nach und nach entwickelt es sich zu festeren Gestaltungen von charakteristischem
Gepräge. Ungleich hervorstechender zeigen sich von Hause aus die harmonischen
und rhythmischen Elemente, aber den harmonischen Combinationen fehlt öfters
die organische Entfaltung, das eng und unzertrennlich Gesponnene folgerechter
Modulation, wofür Sprunghafte, unvermittelte und stechende, wenn auch oft inter¬
essante Accordverbindungen Platz greifen, den rhythmischen dagegen mangelt zuwei¬
len klare, plastische Gestaltung. Die letzteren in ihren mannigfachen, seltsamen, den
letzten beethovenschen Werken entlehnten Verrückungen und Verschränkungen
machen ein höchst eigenthümliches Moment bei Schumanns Musik aus, und bringen
eine aparte, ganz seinem Wesen entsprechende und verschwimmende, oft reizvolle
Bewegung hervor, aber sie verleiten ihn auch nicht selten zus Monotonie, so
daß seiner Musik zuweilen die körperhafte Konsistenz fehlt. Selten findet man
bei ihm — am wenigsten in seinen Erstlingswerken — strenge thematische Arbeit,
d. h. Schumann zerlegt seine Motive nicht weiter, um wieder aufzubauen, zu


Grcnzbore» IV.
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[0529] dungsgang aufs engste zusammenhängt, mußte sich auch in der eigentlichen Kritik Luft machen. Dazu gab die Gründung der Neuen Zeitschrift für Musik, Ende 1833, Veranlassung, die mehre Jahre hindurch haupt¬ sächlich von Schumann geschrieben wurde und über welche sich Riccius in dem genannten Aufsatz ausführlich ausgesprochen hat. Schumann hat später seine Beiträge gesammelt: sie genügen dem Bildungsgrad, den die Kritik heute erworben hat, nicht mehr ganz; die Form der Versicherung tritt zu sehr über die Begründung hervor, und in manche Probleme der Komposition haben wir seit der Zeit einen tiefern Blick gethan. Aber für jene Zeit waren sie von dem größtem und im Ganzen heilsamsten Einfluß; es galt, die jungen Kräfte aufzumuntern und eine kühnere Bewegung im Reich der Tonkunst hervor¬ zurufen, die in dem Schlendrian herkömmlicher Regeln zu versumpfen drohte. Schumanns Leben erhielt einen tiefern Inhalt durch die allmälig aufkei¬ mende Liebe zu der Tochter seines Lehrers, Clara W leck (geb. 1820), von der sich schon 1836 in seinen Briefen ziemlich starke Spuren zeigen, und die nach vielen Kämpfen ->8i0 zu einer glücklichen Ehe führte, wenn auch durch sie der Schatten seines Verhängnisses mit über die edle Frau gebreitet wurde. Gleich¬ zeitig übte Mendelssohn einen großen und heilsamen Einfluß auf ihn aus, und so beginnt jetzt die Blüte seiner Tondichtung, die in „Paradies und Perl" und in der B dur-Symphonie ihre Höhe erreichte. Was auch an dieser zu wünschen übrig bleibt, hat der Verfasser S. -189 ff. angedeutet. Schumann, der durchweg vom Pianoforte ausgeht, hat sich seine eigne, ihm ausschließlich ungehörige Claviertechnik gebildet. Sie zeigt sich nicht allein in dem von ihm zur Anwendung gebrachten Figurenwesen, sondern ebenso in dem Gebrauch der weiten Accordlagen und dem Ueber- und Durcheinander der Hände. Das melodische Element findet sich anfangs sehr spärlich und embyronisch, erst nach und nach entwickelt es sich zu festeren Gestaltungen von charakteristischem Gepräge. Ungleich hervorstechender zeigen sich von Hause aus die harmonischen und rhythmischen Elemente, aber den harmonischen Combinationen fehlt öfters die organische Entfaltung, das eng und unzertrennlich Gesponnene folgerechter Modulation, wofür Sprunghafte, unvermittelte und stechende, wenn auch oft inter¬ essante Accordverbindungen Platz greifen, den rhythmischen dagegen mangelt zuwei¬ len klare, plastische Gestaltung. Die letzteren in ihren mannigfachen, seltsamen, den letzten beethovenschen Werken entlehnten Verrückungen und Verschränkungen machen ein höchst eigenthümliches Moment bei Schumanns Musik aus, und bringen eine aparte, ganz seinem Wesen entsprechende und verschwimmende, oft reizvolle Bewegung hervor, aber sie verleiten ihn auch nicht selten zus Monotonie, so daß seiner Musik zuweilen die körperhafte Konsistenz fehlt. Selten findet man bei ihm — am wenigsten in seinen Erstlingswerken — strenge thematische Arbeit, d. h. Schumann zerlegt seine Motive nicht weiter, um wieder aufzubauen, zu Grcnzbore» IV.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104734/529>, abgerufen am 23.07.2024.