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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band.

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musikalischer Werth nur leicht skizzirt ist, während man.über die Anfänge voll¬
ständig unterrichtet wird. Wir hätten es um so mehr gewünscht, da der
Verfasser an einzelnen Ausführungen zeigt, daß er wol dazu berufen war.

Man nennt Schumann gewöhnlich einen musikalischen Romantiker; waS
man darunter zu verstehen hat, setzt der Verfasser in der Vorrede S. 7 sehr
verständig auseinander. Robert Schumann gehört nicht zu den Meistern,
deren künstlerisches Schaffen eine Reihe von Gebilden in stetig aufsteigender
Linie bezeichnet, die durchweg einen unmittelbaren und leicht zu erkennenden
Genuß gewähren; seine Geistesproducte sind nicht derart objectiv geworden
und haben sich nicht so von seinem individuellen Dasein losgerungen und
befreit, daß man zum eigenen Verständniß derselben die Kenntniß ihres
Ursprungs entbehren könnte. Er gehört zu jenen, die in vielen Fällen an die
Erlebnisse unmittelbar anknüpfen und aus ihnen heraus Tongebilde schaffen,
und solche Schöpfungen, oft einen unlösbaren Bruch hinterlassend, können eben
nur verstanden werden, wenn man über ihre Erscheinung hinaus- und zurück¬
geht aus die Motive ihrer Entstehung und auf die besondern Umstände, unter
denen sie empfangen und gebildet wurden. Daher hört man einerseits so häufig
bei einer großen Anzahl schumannscher Kompositionen über Mangel an Ver¬
ständniß, andererseits über Absicht und all Vergleichen mit der Betonung
des Vorwurfs klagen, während man doch nur ein Naturell vor sich hat, das
sich genau so gibt, wie eS eben ist, und wie die eigenthümlichen Organi-
sationsverhältnisse im Verein mit den Eindrücken des Lebens es gestaltet haben.
Diesen Zusammenhang zu vergegenwärtigen, ist die Ausgabe des vorliegen¬
den Buchs.

Robert Schumann war 18-10 zu Zwickau geboren, der Sohn eines Kauf¬
manns, welcher gelegentlich einen literarischen und auch poetischen Versuch
machte. Schon früh trat bei ihm die Neigung und das Talent zur Musik
hervor, doch nicht fo stark, daß seine Mutter und sein Vormund i,sein Vater
war gestorben) sich hätten bestimmen lassen, darin etwas Anderes, als eine dilet¬
tantische Vorliebe zu erkenne". Er bezog also -1828 die Universität Leipzig
mit der Bestimmung, die Rechte zu studiren. Wenn er es mit seinem B"ot-
studium nicht sehr ernst nahm, so unterschied er sich dadurch nicht wesentlich
von der Mehrzahl der übrigen Juristen und seine Mutter wurde daher nicht
wenig überrascht, als s>e von ihm aus Heidelberg August -1830 einen Brief
erhielt, worin er ihr seinen Entschluß mittheilte, der Jurisprudenz zu entsagen
-- und sich ganz der Kunst zu widmen. Ihre ernsten und gerechtfertigten
Bedenken wurden durch die Erklärung seines Lehrers Wieck beseitigt, der seinen
musikalischen Beruf anerkannte. So begann -1830 in Leipzig sein strengeres
künstlerisches Studium. Er hatte zuerst die Idee, sich zum Virtuosen auszu¬
bilden, aber eine unsinnige Operation, die er mit seiner Hand vornahm, machte


musikalischer Werth nur leicht skizzirt ist, während man.über die Anfänge voll¬
ständig unterrichtet wird. Wir hätten es um so mehr gewünscht, da der
Verfasser an einzelnen Ausführungen zeigt, daß er wol dazu berufen war.

Man nennt Schumann gewöhnlich einen musikalischen Romantiker; waS
man darunter zu verstehen hat, setzt der Verfasser in der Vorrede S. 7 sehr
verständig auseinander. Robert Schumann gehört nicht zu den Meistern,
deren künstlerisches Schaffen eine Reihe von Gebilden in stetig aufsteigender
Linie bezeichnet, die durchweg einen unmittelbaren und leicht zu erkennenden
Genuß gewähren; seine Geistesproducte sind nicht derart objectiv geworden
und haben sich nicht so von seinem individuellen Dasein losgerungen und
befreit, daß man zum eigenen Verständniß derselben die Kenntniß ihres
Ursprungs entbehren könnte. Er gehört zu jenen, die in vielen Fällen an die
Erlebnisse unmittelbar anknüpfen und aus ihnen heraus Tongebilde schaffen,
und solche Schöpfungen, oft einen unlösbaren Bruch hinterlassend, können eben
nur verstanden werden, wenn man über ihre Erscheinung hinaus- und zurück¬
geht aus die Motive ihrer Entstehung und auf die besondern Umstände, unter
denen sie empfangen und gebildet wurden. Daher hört man einerseits so häufig
bei einer großen Anzahl schumannscher Kompositionen über Mangel an Ver¬
ständniß, andererseits über Absicht und all Vergleichen mit der Betonung
des Vorwurfs klagen, während man doch nur ein Naturell vor sich hat, das
sich genau so gibt, wie eS eben ist, und wie die eigenthümlichen Organi-
sationsverhältnisse im Verein mit den Eindrücken des Lebens es gestaltet haben.
Diesen Zusammenhang zu vergegenwärtigen, ist die Ausgabe des vorliegen¬
den Buchs.

Robert Schumann war 18-10 zu Zwickau geboren, der Sohn eines Kauf¬
manns, welcher gelegentlich einen literarischen und auch poetischen Versuch
machte. Schon früh trat bei ihm die Neigung und das Talent zur Musik
hervor, doch nicht fo stark, daß seine Mutter und sein Vormund i,sein Vater
war gestorben) sich hätten bestimmen lassen, darin etwas Anderes, als eine dilet¬
tantische Vorliebe zu erkenne». Er bezog also -1828 die Universität Leipzig
mit der Bestimmung, die Rechte zu studiren. Wenn er es mit seinem B»ot-
studium nicht sehr ernst nahm, so unterschied er sich dadurch nicht wesentlich
von der Mehrzahl der übrigen Juristen und seine Mutter wurde daher nicht
wenig überrascht, als s>e von ihm aus Heidelberg August -1830 einen Brief
erhielt, worin er ihr seinen Entschluß mittheilte, der Jurisprudenz zu entsagen
— und sich ganz der Kunst zu widmen. Ihre ernsten und gerechtfertigten
Bedenken wurden durch die Erklärung seines Lehrers Wieck beseitigt, der seinen
musikalischen Beruf anerkannte. So begann -1830 in Leipzig sein strengeres
künstlerisches Studium. Er hatte zuerst die Idee, sich zum Virtuosen auszu¬
bilden, aber eine unsinnige Operation, die er mit seiner Hand vornahm, machte


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104734/519>, abgerufen am 26.08.2024.