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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band.

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ficht auf die Kirche offen zur Schau tragenden Auslassungen deS Justizministers
ließ auf das Vorhandensein einer Spaltung im Schoß des Cabinets so wie
unter den Mitgliedern der Rechten schließen, und so schien eS der Linken
möglich, durch Verbesserungsanträge einige Specialeroberungen zu machen.
Als am 22. Mai die Artikel 71 und 78 aus die Tagesordnung kamen, stellte
der Abgeordnete Tesch die Versöhnlichkeit der Klerikalen auf die Probe, indem
er ein Slmendement einbrachte, welches im Sinne des srereschcn Gesetzent¬
wurfs jede Separatverwaltnng von einem eigens deshalb zu erlassen¬
den Gesetze abhängig machte und in gewissen Fällen die Theilnahme an
der Leitung einer Stiftung unter einigen Beschränkungen den Stiftern oder
von diesen ernannten Personen auch ohne besonderes Gesetz "/stattete.
Die Klerikalen gingen- darauf nicht ein. Malon wies das Amendement
im Namen der Ccntvalabtheilung als den Rechten der Gesellschaft und den
Interessen der Armen widersprechend zurück. Nothomb sprach ebenfalls da¬
gegen. Die übrigen Mitglieder der Rechten' mit Ausnahme weniger, z. B.
de Denkers, der überhaupt fortwährend in verdienstlicher Weise die Würde
der Regierung vertrat, drangen auf Schluß der Debatte. Derselbe ging nicht
durch. Am 26., einen Tag nach den Prvvinzialwahlen, welche den beginnen¬
den Umschwung der öffentlichen Meinung bereits deutlich verkündeten, wurden
von der Linken wieder mehre äußerst heftige Angriffe auf den in Behandlung
genommenen Artikel gemacht. Der Deputirte Lebeau bezeichnete den Gesetz¬
entwurf gradezu als parlamentarischen Staatsstreich. Von einem andern
Mitgliede wurden Amendements gestellt, durch welche den religiösen Körper¬
schaften die Befugniß, in die von ihnen geleiteten Armenschulen zahlende
Schüler aufzunehmen, genommen wurde. Am folgenden Tage wurden alle
Verbesserungsvorschläge der Linken verworfen, und die Kammer schritt zur Ab¬
stimmung über die genannten beiden Hauptartikel des Gesetzentwurfs. Die¬
selben wurden -- der erstere mit 61 gegen it, der letztere mit 60 gegen it>
Stimmen -- angenommen. Vor der Abstimmung hatten die Galerien die
Entrüstung Fröres, der den Gegnern zurief: "Sie spielen eine niederträchtige
Komödie!" so lebhaft getheilt, daß sie geräumt werden mußten, und nach der
Sitzung folgten vor dem Nationalpalast-tumultuarische Auftritte, Verhöhnungen
von klerikalen Abgeordneten, des päpstlichen Nuntius, Gesang der Braban-
"poure und das Geschrei: "Nieder mit den Jesuiten! Nieder mit den Klöstern!"

Am 28. wurde der 69. Artikel des Gesetzes nach einer feurigen Rede deS
Repräsentanten Delfosse mit 69 gegen 37 Stimmen genehmigt und zur Be¬
rathung des nächstfolgenden geschritten. Nach der Sitzung erneuerten sich die
Scenen deS vorhergehenden Tages, und am Abend arteten diese Mani¬
festationen des Mißvergnügens mit dem Verfahren der Priesterpartei in Ge¬
waltthätigkeiten aus, welche sich namentlich auf die Druckerei deS klerikalen


ficht auf die Kirche offen zur Schau tragenden Auslassungen deS Justizministers
ließ auf das Vorhandensein einer Spaltung im Schoß des Cabinets so wie
unter den Mitgliedern der Rechten schließen, und so schien eS der Linken
möglich, durch Verbesserungsanträge einige Specialeroberungen zu machen.
Als am 22. Mai die Artikel 71 und 78 aus die Tagesordnung kamen, stellte
der Abgeordnete Tesch die Versöhnlichkeit der Klerikalen auf die Probe, indem
er ein Slmendement einbrachte, welches im Sinne des srereschcn Gesetzent¬
wurfs jede Separatverwaltnng von einem eigens deshalb zu erlassen¬
den Gesetze abhängig machte und in gewissen Fällen die Theilnahme an
der Leitung einer Stiftung unter einigen Beschränkungen den Stiftern oder
von diesen ernannten Personen auch ohne besonderes Gesetz «/stattete.
Die Klerikalen gingen- darauf nicht ein. Malon wies das Amendement
im Namen der Ccntvalabtheilung als den Rechten der Gesellschaft und den
Interessen der Armen widersprechend zurück. Nothomb sprach ebenfalls da¬
gegen. Die übrigen Mitglieder der Rechten' mit Ausnahme weniger, z. B.
de Denkers, der überhaupt fortwährend in verdienstlicher Weise die Würde
der Regierung vertrat, drangen auf Schluß der Debatte. Derselbe ging nicht
durch. Am 26., einen Tag nach den Prvvinzialwahlen, welche den beginnen¬
den Umschwung der öffentlichen Meinung bereits deutlich verkündeten, wurden
von der Linken wieder mehre äußerst heftige Angriffe auf den in Behandlung
genommenen Artikel gemacht. Der Deputirte Lebeau bezeichnete den Gesetz¬
entwurf gradezu als parlamentarischen Staatsstreich. Von einem andern
Mitgliede wurden Amendements gestellt, durch welche den religiösen Körper¬
schaften die Befugniß, in die von ihnen geleiteten Armenschulen zahlende
Schüler aufzunehmen, genommen wurde. Am folgenden Tage wurden alle
Verbesserungsvorschläge der Linken verworfen, und die Kammer schritt zur Ab¬
stimmung über die genannten beiden Hauptartikel des Gesetzentwurfs. Die¬
selben wurden — der erstere mit 61 gegen it, der letztere mit 60 gegen it>
Stimmen — angenommen. Vor der Abstimmung hatten die Galerien die
Entrüstung Fröres, der den Gegnern zurief: „Sie spielen eine niederträchtige
Komödie!" so lebhaft getheilt, daß sie geräumt werden mußten, und nach der
Sitzung folgten vor dem Nationalpalast-tumultuarische Auftritte, Verhöhnungen
von klerikalen Abgeordneten, des päpstlichen Nuntius, Gesang der Braban-
"poure und das Geschrei: „Nieder mit den Jesuiten! Nieder mit den Klöstern!"

Am 28. wurde der 69. Artikel des Gesetzes nach einer feurigen Rede deS
Repräsentanten Delfosse mit 69 gegen 37 Stimmen genehmigt und zur Be¬
rathung des nächstfolgenden geschritten. Nach der Sitzung erneuerten sich die
Scenen deS vorhergehenden Tages, und am Abend arteten diese Mani¬
festationen des Mißvergnügens mit dem Verfahren der Priesterpartei in Ge¬
waltthätigkeiten aus, welche sich namentlich auf die Druckerei deS klerikalen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104734/502>, abgerufen am 23.07.2024.