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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band.

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deS Vesitzrechts der todten Hand, zur Förderung der Interessen der Klöster,
zu Eröffnung der Möglichkeit wenigstens, daß in die Hände der Geistlichkeit
große Geldsummen zu freier Verfügung gelangten.

Fragen wir zuvörderst nach den Verhältnissen, welche durch das Wohl¬
thätigkeitsgesetz eine andere Gestalt gewinnen sollten, so sind dieselben auf die
Gesetze des republikanischen Jahres V begründet, die durch die Gemeinde¬
ordnung von 1836 bestätigt wurden. Demzufolge wird sämmtliches Armengut in
Belgien theils durch die in den meisten Orten bestehenden Wohllhätigkeits-
bureaur, theils durch die in fast jeder Stadt vorhandenen Spitalcommissioncn
verwaltet. Die Mitglieder jener Bureaur so wie dieser Commissionen werden
von den betreffenden Gemeinderäthen erwählt. Der Kirche ist kein Vorrecht
eingeräumt, und wenn , ihre Vertreter sich bei der Verwaltung betheiligen, so
thun sie es als Privatpersonen. Schenkungen, welche Privatleute zu Gunsten
ver Armen machen, werden als Schenkungen an den Staat angesehen und er¬
fordern in dieser Eigenschaft die Genehmigung der Negierung, auch dürfen sie
nur von den Gemeinden oder den Spitalcommissionen angenommen werben.
In letzterer Beziehung indeß überließ ein Decret vom Jahre 1818 den Prv-
vinzialstaaten die Annahme von Vermächtnissen oder Geschenken bis zur Summe
von 300 Franken, ein Betrag, der später durch das Gemeindegesetz auf daS
Zehnfache erhöht wurde. Eine fühlbare Beschränkung der Freiheit, mildthätig
zu sein, lag hierin nur insofern, als gegenüber der Centralisation der Verwal¬
tung die Regungen individueller Wohlthätigkeit in der Mannigfaltigkeit ihrer
Aeußerungsweise gehemmt werden konnten. Aber auch diese Beschränkung, nach
welcher die Leitung der gestifteten Anstalten, Spitäler, Unterstützungskassen u. ni.
nicht beständigen Specialverwaltern, z. B. dem jedesmaligen Aeltesten der Fa¬
milie des Testators, dem Schulzen oder dem Pfarrer des Orts übertragen
werden konnte, wurde allmälig außer Acht gelassen und hänfig von strenger
Festhaltung des Princips der Säcularisation abgesehen.

Dieses Gewährenlassen sollte aber nicht zur Regel werden. Als Rogier
18i7 das Ministerium übernahm, wurde das Gesetz nach seiner strengen Deu¬
tung gehandhabt. Nach einem vielbesprochenen Erlaß deS Chefs der Justiz
unter Rogiers Verwaltung sollten ausschließlich die bestehenden Institute der
öffentlichen Wohlthätigkeit fähig sein, Schenkungen oder Testate zu Gunsten
der Nothleidenden anzunehmen, die geschenkten oder vermachten Güter zu ver¬
walten und deren Einkünfte zu vertheilen, und nur die gesetzlichen Verwalter
jener Institute d. h. nur die Wohlthätigkeitsbureaur und die Spitalcommisstonen
sich an der Verwaltung betheiligen können. Den Grundgedanken, welcher
das liberale Cabinet bei diesem Einschreiten gegen die unter den vorhergehenden
katholischen ober gemischten Ministerien eingerissene nachsichtige Handha¬
bung der gesetzlichen Bestimmungen beseelte, sprach einst Fröre, der Minister


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deS Vesitzrechts der todten Hand, zur Förderung der Interessen der Klöster,
zu Eröffnung der Möglichkeit wenigstens, daß in die Hände der Geistlichkeit
große Geldsummen zu freier Verfügung gelangten.

Fragen wir zuvörderst nach den Verhältnissen, welche durch das Wohl¬
thätigkeitsgesetz eine andere Gestalt gewinnen sollten, so sind dieselben auf die
Gesetze des republikanischen Jahres V begründet, die durch die Gemeinde¬
ordnung von 1836 bestätigt wurden. Demzufolge wird sämmtliches Armengut in
Belgien theils durch die in den meisten Orten bestehenden Wohllhätigkeits-
bureaur, theils durch die in fast jeder Stadt vorhandenen Spitalcommissioncn
verwaltet. Die Mitglieder jener Bureaur so wie dieser Commissionen werden
von den betreffenden Gemeinderäthen erwählt. Der Kirche ist kein Vorrecht
eingeräumt, und wenn , ihre Vertreter sich bei der Verwaltung betheiligen, so
thun sie es als Privatpersonen. Schenkungen, welche Privatleute zu Gunsten
ver Armen machen, werden als Schenkungen an den Staat angesehen und er¬
fordern in dieser Eigenschaft die Genehmigung der Negierung, auch dürfen sie
nur von den Gemeinden oder den Spitalcommissionen angenommen werben.
In letzterer Beziehung indeß überließ ein Decret vom Jahre 1818 den Prv-
vinzialstaaten die Annahme von Vermächtnissen oder Geschenken bis zur Summe
von 300 Franken, ein Betrag, der später durch das Gemeindegesetz auf daS
Zehnfache erhöht wurde. Eine fühlbare Beschränkung der Freiheit, mildthätig
zu sein, lag hierin nur insofern, als gegenüber der Centralisation der Verwal¬
tung die Regungen individueller Wohlthätigkeit in der Mannigfaltigkeit ihrer
Aeußerungsweise gehemmt werden konnten. Aber auch diese Beschränkung, nach
welcher die Leitung der gestifteten Anstalten, Spitäler, Unterstützungskassen u. ni.
nicht beständigen Specialverwaltern, z. B. dem jedesmaligen Aeltesten der Fa¬
milie des Testators, dem Schulzen oder dem Pfarrer des Orts übertragen
werden konnte, wurde allmälig außer Acht gelassen und hänfig von strenger
Festhaltung des Princips der Säcularisation abgesehen.

Dieses Gewährenlassen sollte aber nicht zur Regel werden. Als Rogier
18i7 das Ministerium übernahm, wurde das Gesetz nach seiner strengen Deu¬
tung gehandhabt. Nach einem vielbesprochenen Erlaß deS Chefs der Justiz
unter Rogiers Verwaltung sollten ausschließlich die bestehenden Institute der
öffentlichen Wohlthätigkeit fähig sein, Schenkungen oder Testate zu Gunsten
der Nothleidenden anzunehmen, die geschenkten oder vermachten Güter zu ver¬
walten und deren Einkünfte zu vertheilen, und nur die gesetzlichen Verwalter
jener Institute d. h. nur die Wohlthätigkeitsbureaur und die Spitalcommisstonen
sich an der Verwaltung betheiligen können. Den Grundgedanken, welcher
das liberale Cabinet bei diesem Einschreiten gegen die unter den vorhergehenden
katholischen ober gemischten Ministerien eingerissene nachsichtige Handha¬
bung der gesetzlichen Bestimmungen beseelte, sprach einst Fröre, der Minister


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104734/497>, abgerufen am 23.07.2024.