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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band.

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im Durbar erhält, weil dieser nur dem Thronerben gebühre. Seit Lord Ellen-
borough dem Mogul unnöthigerweise den Nagar verwehrte, hat sich der alte
Herr so tief gekränkt gefühlt, daß er bei der Königin von England Klage er¬
hoben und keinen Durbar mehr gehalten hat; auch Prinz Waldemar verzichtete
auf die Ehre, so leid eS ihm that, den Gruß, den sein königlicher Vetter ihm
beim Abschied in Erdmannsdorf scherzweise aufgetragen hatte, nicht ausrichten
zu können.

Wie demnach Delhi seit dem Jahre 1806 nur noch die Residenz eines
Schattenkaisers ist, so ist eS auch äußerlich nur noch ein Schatten von dem.
was es einst gewesen. Doch hat sich die Stadt jetzt von neuem, unter der
Herrschaft der Engländer, aus ihrem tiefen Verfall einigermaßen erhoben, und
noch immer lebt ein Gefühl im Volke Indiens, daß die Macht, welche Delhi
und die Person des Kaisers besitzt, auch der wirkliche Beherrscher von Hin-
dostan ist, waS schon manchen unabhängigen Staat veranlaßt hat, die Va¬
sallenschaft bei der britischen Negierung nachzusuchen.

Ihr Batuta, der gelehrte, arabische Reisende und Gesandte Mahmud
Togluks am Hofe von Peking, schildert um das Jahr 1340 Delhi, den
"Neid der Welt", als die größte Stadt Hindostans, und überhaupt des Islam
im Orient; es bestand aus.vier Städten, die zusammen nur eine bildeten und
von einer elf Ellen dicken Mauer umschlossen waren. Zur Zeit Kaiser
Omngsibs. wird berichtet, habe die Stadt zwei Millionen und zu Anfang dieses
Jahrhunderts noch eine halbe Million Einwohner gezählt. Im Jahre 1836
hatte sie einhundert dreißigtausend sechshundert zweiundsiebzig Seelen, wo¬
von ein Fünftel Muhammedaner, außer den, den königlichen Palast be¬
wohnenden tausend neunhundert Weibern und siebenhundert Männern und
den dreißigtausend Bewohnern der Vorstädte, und' während die Tradi¬
tion der alten Hinducapitale ein Arenes von mehr als einer Quadratmeile
gibt, welches auch die heutige" Reste noch einnehmen mögen, hat sie jetzt
kaum den zehnten Theil desselben. Trotzdem ist die Stadt aber noch immer
ein wichtiges Emporium für Handel und Industrie und der Sitz vieler Reichen
und Großen deS Landes.

Wie ein großes steinernes Buch, in dem die Geschichte von Jahrtausen¬
den niedergeschrieben ist, liegt Delhi vor dem sinnenden Beschauer. Wohin
er den Blick auch richtet, überall sind es Trümmer- und Schutthaufen, die
er findet; was noch übrig ist von den vier mächtigen Städten, die hier ge¬
standen, und von den gewaltigen Prachtbauten, die für die Ewigkeit bestimmt
waren, erscheint wie ein großer, ungeheurer Grabhügel, in dem ein Schwarm
geschäftiger Ameisen sich angesiedelt hat. Gärten und Paläste, Moscheen und
Monumente, alles was dem Auge begegnet, predigt das ernste Wort: sie
erkühlt, Aloria aurait Hier, wie nirgend, lernt man das Wort verstehn, hier.


im Durbar erhält, weil dieser nur dem Thronerben gebühre. Seit Lord Ellen-
borough dem Mogul unnöthigerweise den Nagar verwehrte, hat sich der alte
Herr so tief gekränkt gefühlt, daß er bei der Königin von England Klage er¬
hoben und keinen Durbar mehr gehalten hat; auch Prinz Waldemar verzichtete
auf die Ehre, so leid eS ihm that, den Gruß, den sein königlicher Vetter ihm
beim Abschied in Erdmannsdorf scherzweise aufgetragen hatte, nicht ausrichten
zu können.

Wie demnach Delhi seit dem Jahre 1806 nur noch die Residenz eines
Schattenkaisers ist, so ist eS auch äußerlich nur noch ein Schatten von dem.
was es einst gewesen. Doch hat sich die Stadt jetzt von neuem, unter der
Herrschaft der Engländer, aus ihrem tiefen Verfall einigermaßen erhoben, und
noch immer lebt ein Gefühl im Volke Indiens, daß die Macht, welche Delhi
und die Person des Kaisers besitzt, auch der wirkliche Beherrscher von Hin-
dostan ist, waS schon manchen unabhängigen Staat veranlaßt hat, die Va¬
sallenschaft bei der britischen Negierung nachzusuchen.

Ihr Batuta, der gelehrte, arabische Reisende und Gesandte Mahmud
Togluks am Hofe von Peking, schildert um das Jahr 1340 Delhi, den
„Neid der Welt", als die größte Stadt Hindostans, und überhaupt des Islam
im Orient; es bestand aus.vier Städten, die zusammen nur eine bildeten und
von einer elf Ellen dicken Mauer umschlossen waren. Zur Zeit Kaiser
Omngsibs. wird berichtet, habe die Stadt zwei Millionen und zu Anfang dieses
Jahrhunderts noch eine halbe Million Einwohner gezählt. Im Jahre 1836
hatte sie einhundert dreißigtausend sechshundert zweiundsiebzig Seelen, wo¬
von ein Fünftel Muhammedaner, außer den, den königlichen Palast be¬
wohnenden tausend neunhundert Weibern und siebenhundert Männern und
den dreißigtausend Bewohnern der Vorstädte, und' während die Tradi¬
tion der alten Hinducapitale ein Arenes von mehr als einer Quadratmeile
gibt, welches auch die heutige» Reste noch einnehmen mögen, hat sie jetzt
kaum den zehnten Theil desselben. Trotzdem ist die Stadt aber noch immer
ein wichtiges Emporium für Handel und Industrie und der Sitz vieler Reichen
und Großen deS Landes.

Wie ein großes steinernes Buch, in dem die Geschichte von Jahrtausen¬
den niedergeschrieben ist, liegt Delhi vor dem sinnenden Beschauer. Wohin
er den Blick auch richtet, überall sind es Trümmer- und Schutthaufen, die
er findet; was noch übrig ist von den vier mächtigen Städten, die hier ge¬
standen, und von den gewaltigen Prachtbauten, die für die Ewigkeit bestimmt
waren, erscheint wie ein großer, ungeheurer Grabhügel, in dem ein Schwarm
geschäftiger Ameisen sich angesiedelt hat. Gärten und Paläste, Moscheen und
Monumente, alles was dem Auge begegnet, predigt das ernste Wort: sie
erkühlt, Aloria aurait Hier, wie nirgend, lernt man das Wort verstehn, hier.


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[0037] im Durbar erhält, weil dieser nur dem Thronerben gebühre. Seit Lord Ellen- borough dem Mogul unnöthigerweise den Nagar verwehrte, hat sich der alte Herr so tief gekränkt gefühlt, daß er bei der Königin von England Klage er¬ hoben und keinen Durbar mehr gehalten hat; auch Prinz Waldemar verzichtete auf die Ehre, so leid eS ihm that, den Gruß, den sein königlicher Vetter ihm beim Abschied in Erdmannsdorf scherzweise aufgetragen hatte, nicht ausrichten zu können. Wie demnach Delhi seit dem Jahre 1806 nur noch die Residenz eines Schattenkaisers ist, so ist eS auch äußerlich nur noch ein Schatten von dem. was es einst gewesen. Doch hat sich die Stadt jetzt von neuem, unter der Herrschaft der Engländer, aus ihrem tiefen Verfall einigermaßen erhoben, und noch immer lebt ein Gefühl im Volke Indiens, daß die Macht, welche Delhi und die Person des Kaisers besitzt, auch der wirkliche Beherrscher von Hin- dostan ist, waS schon manchen unabhängigen Staat veranlaßt hat, die Va¬ sallenschaft bei der britischen Negierung nachzusuchen. Ihr Batuta, der gelehrte, arabische Reisende und Gesandte Mahmud Togluks am Hofe von Peking, schildert um das Jahr 1340 Delhi, den „Neid der Welt", als die größte Stadt Hindostans, und überhaupt des Islam im Orient; es bestand aus.vier Städten, die zusammen nur eine bildeten und von einer elf Ellen dicken Mauer umschlossen waren. Zur Zeit Kaiser Omngsibs. wird berichtet, habe die Stadt zwei Millionen und zu Anfang dieses Jahrhunderts noch eine halbe Million Einwohner gezählt. Im Jahre 1836 hatte sie einhundert dreißigtausend sechshundert zweiundsiebzig Seelen, wo¬ von ein Fünftel Muhammedaner, außer den, den königlichen Palast be¬ wohnenden tausend neunhundert Weibern und siebenhundert Männern und den dreißigtausend Bewohnern der Vorstädte, und' während die Tradi¬ tion der alten Hinducapitale ein Arenes von mehr als einer Quadratmeile gibt, welches auch die heutige» Reste noch einnehmen mögen, hat sie jetzt kaum den zehnten Theil desselben. Trotzdem ist die Stadt aber noch immer ein wichtiges Emporium für Handel und Industrie und der Sitz vieler Reichen und Großen deS Landes. Wie ein großes steinernes Buch, in dem die Geschichte von Jahrtausen¬ den niedergeschrieben ist, liegt Delhi vor dem sinnenden Beschauer. Wohin er den Blick auch richtet, überall sind es Trümmer- und Schutthaufen, die er findet; was noch übrig ist von den vier mächtigen Städten, die hier ge¬ standen, und von den gewaltigen Prachtbauten, die für die Ewigkeit bestimmt waren, erscheint wie ein großer, ungeheurer Grabhügel, in dem ein Schwarm geschäftiger Ameisen sich angesiedelt hat. Gärten und Paläste, Moscheen und Monumente, alles was dem Auge begegnet, predigt das ernste Wort: sie erkühlt, Aloria aurait Hier, wie nirgend, lernt man das Wort verstehn, hier.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104734/37>, abgerufen am 23.07.2024.