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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band.

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lehrten wie von der ungelehrten Welt mit gleichem Beifall aufgenommenes
Werk außer Zweifel gestellt ist.

Freilich hat eS in einer Periode, wo man den Gedanken der Einheit
Deutschlands mehr und mehr in daS Reich der Träume zu verbannen sucht,
etwas Tröstliches, daß es wenigstens einen Ort gibt, wo sich thatsächlich der
Begriff Deutschlands geltend macht, die Universitäten. Nur wollten wir, daß
gerade Preußen von der nationalen Bedeutung dieses Instituts Vortheil zöge,
und daß es am wenigsten daran dächte, einen Mann gehen zu lassen, der mit
allen Fasern seiner Natur, seiner Bildung und seiner Gesinnung in Preußen
wurzelt, und der mit Stolz auf eine vieljährige, segensreiche Wirksamkeit zum
Besten seines Vaterlandes zurückblicken kann. Wir waren Zeuge, als der
große Kreis seiner Freunde dem Scheidenden einen ehrenvollen Gruß nachrief,
und nicht blos in der liebevollen Theilnahme, nicht blos in der tiefen Be¬
wegung erkannten wir den großen und segensreichen Einfluß seiner wohlwollen¬
den Natur, sondern hauptsächlich in der männlichen, würdevollen Haltung
einer Versammlung, die aus den verschiedensten Volksclassen zusammengesetzt
und in der jeder von der festen Zuversicht getragen war, daß, wie trübe
sich für den Augenblick die Verhältnisse gestalten mögen, die Zukunft doch der
guten Sache angehört. Wenn es für den preußischen Staat selbst kein kleiner
Verlust ist, daß ihn einer seiner treusten Söhne verläßt, so trifft dieser Verlust
die Universität Halle am empfindlichsten.

Halle nimmt in der intellectuellen Bewegung der letzten 30 Jahre einen
Nicht unbedeutenden Platz ein, ja man durfte sich eine Zeit lang schmeicheln,
daß die goldne Zeit der Universität, die Zeit von F. A. Wolf, von Schleier-
Macher, Steffens, Neit u, f. w,, daß die Zeit von 1802--1808 zurück¬
gekehrt sei. Wenn man in dieser Hoffnung zu weit ging, da daS rege Leben
jener Periode nur durch das Zusammentreffen ganz ungewöhnlicher Voraus¬
setzungen möglich war, so waren doch einige Jahre hindurch die Augen der
gesammten Jugend auf diese Stadt gerichtet, in der sich der geistige Kampf,
welcher ganz Deutschland bewegte, in einem verkleinerten, aber concentrirten
Spiegelbild zu wiederholen schien. Was mit mehr oder minder Eifer und Ge¬
schick die frühern philosophischen Schulen angebahnt, hatte endlich Hegel durch
die mächtige Energie seines Denkens und Wollens zu Stande gebracht. Er
hatte nicht blos die Wissenschaft in all ihren Zweigen, sondern daS Staats-
^l>en, das öffentliche Recht, die Religion in den Bereich des abstracten Denkens
^'logen. Ja es schien einen Augenblick, als ob alle diese geistigen Thäugkeilen
Nur auf dem Boden der Speculation ihre angemessene Stellung finden sollten.
Nicht blos die eigentliche Schule speculirte, die Philosophen von Profession
Und die Angehörigen anderer Berufszweige, die ein Jahr in Berlin durch daS
^gische Collegium gegangen, sondern auch die Gegner der Philosophie sahen sich


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lehrten wie von der ungelehrten Welt mit gleichem Beifall aufgenommenes
Werk außer Zweifel gestellt ist.

Freilich hat eS in einer Periode, wo man den Gedanken der Einheit
Deutschlands mehr und mehr in daS Reich der Träume zu verbannen sucht,
etwas Tröstliches, daß es wenigstens einen Ort gibt, wo sich thatsächlich der
Begriff Deutschlands geltend macht, die Universitäten. Nur wollten wir, daß
gerade Preußen von der nationalen Bedeutung dieses Instituts Vortheil zöge,
und daß es am wenigsten daran dächte, einen Mann gehen zu lassen, der mit
allen Fasern seiner Natur, seiner Bildung und seiner Gesinnung in Preußen
wurzelt, und der mit Stolz auf eine vieljährige, segensreiche Wirksamkeit zum
Besten seines Vaterlandes zurückblicken kann. Wir waren Zeuge, als der
große Kreis seiner Freunde dem Scheidenden einen ehrenvollen Gruß nachrief,
und nicht blos in der liebevollen Theilnahme, nicht blos in der tiefen Be¬
wegung erkannten wir den großen und segensreichen Einfluß seiner wohlwollen¬
den Natur, sondern hauptsächlich in der männlichen, würdevollen Haltung
einer Versammlung, die aus den verschiedensten Volksclassen zusammengesetzt
und in der jeder von der festen Zuversicht getragen war, daß, wie trübe
sich für den Augenblick die Verhältnisse gestalten mögen, die Zukunft doch der
guten Sache angehört. Wenn es für den preußischen Staat selbst kein kleiner
Verlust ist, daß ihn einer seiner treusten Söhne verläßt, so trifft dieser Verlust
die Universität Halle am empfindlichsten.

Halle nimmt in der intellectuellen Bewegung der letzten 30 Jahre einen
Nicht unbedeutenden Platz ein, ja man durfte sich eine Zeit lang schmeicheln,
daß die goldne Zeit der Universität, die Zeit von F. A. Wolf, von Schleier-
Macher, Steffens, Neit u, f. w,, daß die Zeit von 1802—1808 zurück¬
gekehrt sei. Wenn man in dieser Hoffnung zu weit ging, da daS rege Leben
jener Periode nur durch das Zusammentreffen ganz ungewöhnlicher Voraus¬
setzungen möglich war, so waren doch einige Jahre hindurch die Augen der
gesammten Jugend auf diese Stadt gerichtet, in der sich der geistige Kampf,
welcher ganz Deutschland bewegte, in einem verkleinerten, aber concentrirten
Spiegelbild zu wiederholen schien. Was mit mehr oder minder Eifer und Ge¬
schick die frühern philosophischen Schulen angebahnt, hatte endlich Hegel durch
die mächtige Energie seines Denkens und Wollens zu Stande gebracht. Er
hatte nicht blos die Wissenschaft in all ihren Zweigen, sondern daS Staats-
^l>en, das öffentliche Recht, die Religion in den Bereich des abstracten Denkens
^'logen. Ja es schien einen Augenblick, als ob alle diese geistigen Thäugkeilen
Nur auf dem Boden der Speculation ihre angemessene Stellung finden sollten.
Nicht blos die eigentliche Schule speculirte, die Philosophen von Profession
Und die Angehörigen anderer Berufszweige, die ein Jahr in Berlin durch daS
^gische Collegium gegangen, sondern auch die Gegner der Philosophie sahen sich


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[0241] lehrten wie von der ungelehrten Welt mit gleichem Beifall aufgenommenes Werk außer Zweifel gestellt ist. Freilich hat eS in einer Periode, wo man den Gedanken der Einheit Deutschlands mehr und mehr in daS Reich der Träume zu verbannen sucht, etwas Tröstliches, daß es wenigstens einen Ort gibt, wo sich thatsächlich der Begriff Deutschlands geltend macht, die Universitäten. Nur wollten wir, daß gerade Preußen von der nationalen Bedeutung dieses Instituts Vortheil zöge, und daß es am wenigsten daran dächte, einen Mann gehen zu lassen, der mit allen Fasern seiner Natur, seiner Bildung und seiner Gesinnung in Preußen wurzelt, und der mit Stolz auf eine vieljährige, segensreiche Wirksamkeit zum Besten seines Vaterlandes zurückblicken kann. Wir waren Zeuge, als der große Kreis seiner Freunde dem Scheidenden einen ehrenvollen Gruß nachrief, und nicht blos in der liebevollen Theilnahme, nicht blos in der tiefen Be¬ wegung erkannten wir den großen und segensreichen Einfluß seiner wohlwollen¬ den Natur, sondern hauptsächlich in der männlichen, würdevollen Haltung einer Versammlung, die aus den verschiedensten Volksclassen zusammengesetzt und in der jeder von der festen Zuversicht getragen war, daß, wie trübe sich für den Augenblick die Verhältnisse gestalten mögen, die Zukunft doch der guten Sache angehört. Wenn es für den preußischen Staat selbst kein kleiner Verlust ist, daß ihn einer seiner treusten Söhne verläßt, so trifft dieser Verlust die Universität Halle am empfindlichsten. Halle nimmt in der intellectuellen Bewegung der letzten 30 Jahre einen Nicht unbedeutenden Platz ein, ja man durfte sich eine Zeit lang schmeicheln, daß die goldne Zeit der Universität, die Zeit von F. A. Wolf, von Schleier- Macher, Steffens, Neit u, f. w,, daß die Zeit von 1802—1808 zurück¬ gekehrt sei. Wenn man in dieser Hoffnung zu weit ging, da daS rege Leben jener Periode nur durch das Zusammentreffen ganz ungewöhnlicher Voraus¬ setzungen möglich war, so waren doch einige Jahre hindurch die Augen der gesammten Jugend auf diese Stadt gerichtet, in der sich der geistige Kampf, welcher ganz Deutschland bewegte, in einem verkleinerten, aber concentrirten Spiegelbild zu wiederholen schien. Was mit mehr oder minder Eifer und Ge¬ schick die frühern philosophischen Schulen angebahnt, hatte endlich Hegel durch die mächtige Energie seines Denkens und Wollens zu Stande gebracht. Er hatte nicht blos die Wissenschaft in all ihren Zweigen, sondern daS Staats- ^l>en, das öffentliche Recht, die Religion in den Bereich des abstracten Denkens ^'logen. Ja es schien einen Augenblick, als ob alle diese geistigen Thäugkeilen Nur auf dem Boden der Speculation ihre angemessene Stellung finden sollten. Nicht blos die eigentliche Schule speculirte, die Philosophen von Profession Und die Angehörigen anderer Berufszweige, die ein Jahr in Berlin durch daS ^gische Collegium gegangen, sondern auch die Gegner der Philosophie sahen sich Grenzboten. IV. 48ö7. 30

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104734/241>, abgerufen am 23.07.2024.