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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band.

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bewogen werden. In der Regel sind es nur Professoren an der eeole c>e
meclvLins. Das andere Drittel, welches gar nicht practicirt, schließt die jungen
Aerzte und die Mehrzahl der Neuangekommenen ein. Wir sagen die Mehrzahl,
denn einige gelangen durch Connerionen, Marktschreierei und andere unwürdige
Mittel sehr bald zu einer ziemlich glänzenden Stellung. Die Mehrzahl aber
bringt ihre Zeit in den Apotheken zu oder wartet, bis ein alterer College ihnen
einige Kranke überläßt.

Aber nicht allein die Kollegen, auch die Bevölkerung behandelt den Arzt
ganz unwürdig; er muß in der Regel den Platz am Krankenbette mit einem
Quacksalber theilen, welcher bald irgend ein Geheimmittel von seinen Vor¬
fahren geerbt hat, bald nur der frühere Bediente eines Arztes gewesen ist.
Als solcher hat er einige Recepte seines Herrn behalten und wendet diese nun
überall an. Und der Arzt darf sich nicht einmal beleidigt suhlen, er muß viel¬
mehr diesen Leuten den Hof machen, denn von ihrem Urtheil hängt sein guter
Ruf, ja seine ganze Zukunft ab. Noch ganz vor kurzem ließ man in allen Krank¬
heiten ohne Unterschied zur Ader, und dieses war dem Volke so bekannt, daß
es gar nicht erst zum Arzte schickte, da eS nicht unnütz Geld ausgeben wollte.
Erst wenn durch übermäßige Blutentziehung die Krankheit verschlimmert wor¬
den, ruft man den Arzt. Oft trifft dieser dann in Krämpfen liegende Kinder
oder Bleichsüchtige mit 8--10 Blutegeln in der Magengegend. Vergebens
erklärt ihnen der Arzt, daß Krämpfe, Bleichsucht, nervöse Zufälle nur zu oft
die Folge übermäßigen Blutverlustes seien, daß viele chronische Krankheiten,
welche man hier zu Lande beobachtet, aus einem so unsinnigen Verfahren ent¬
springen. Aber die Leute schenken diesen Worten kein Vertrauen und antwor¬
ten in der Regel, der Arzt sei noch nicht bekannt mit dem Klima und den
Eigenthümlichkeiten des Landes. Nur dem, welcher ihnen unbarmherzig Blut
abzapft, vertrauen sie Leib und Leben an.

Jetzt aber dringt die Wahrheit allmälig durch. Seitdem die Aerzte sich
zu einem festen Bunde gegen Anmaßung und Vorurtheil aneinandergeschlossen,
hat das Publicum große Concessionen gemacht, und immer mehr beginnt
eS, ohne sich in seinem Urtheil von Quacksalbern und Apothekern leiten zu
lassen, die Wahl des Arztes nach seiner Geschicklichkeit und nicht nach der
Länge seines Aufenthaltes im Lande einzurichten. Man sieht wol noch Char-
latane an Krankenbetten; aber ihr Ansehn ist im Allgemeinen stark in der Ab¬
nahme begriffen.

Schon lange war die Bildung eines ärztlichen Vereins in Konstantinopel
der sehnlichste Wunsch der dortigen Aerzte gewesen, einmal, weil ihnen die
Hilfsmittel zur Fortbildung, wie sie in andern großen Städten stets vorhan¬
den sind, gänzlich fehlten, besonders aber um sich eine geachtetere Eristenz zu
verschaffen. Jedoch man hatte noch keine Versuche gemacht, man hatte sich


bewogen werden. In der Regel sind es nur Professoren an der eeole c>e
meclvLins. Das andere Drittel, welches gar nicht practicirt, schließt die jungen
Aerzte und die Mehrzahl der Neuangekommenen ein. Wir sagen die Mehrzahl,
denn einige gelangen durch Connerionen, Marktschreierei und andere unwürdige
Mittel sehr bald zu einer ziemlich glänzenden Stellung. Die Mehrzahl aber
bringt ihre Zeit in den Apotheken zu oder wartet, bis ein alterer College ihnen
einige Kranke überläßt.

Aber nicht allein die Kollegen, auch die Bevölkerung behandelt den Arzt
ganz unwürdig; er muß in der Regel den Platz am Krankenbette mit einem
Quacksalber theilen, welcher bald irgend ein Geheimmittel von seinen Vor¬
fahren geerbt hat, bald nur der frühere Bediente eines Arztes gewesen ist.
Als solcher hat er einige Recepte seines Herrn behalten und wendet diese nun
überall an. Und der Arzt darf sich nicht einmal beleidigt suhlen, er muß viel¬
mehr diesen Leuten den Hof machen, denn von ihrem Urtheil hängt sein guter
Ruf, ja seine ganze Zukunft ab. Noch ganz vor kurzem ließ man in allen Krank¬
heiten ohne Unterschied zur Ader, und dieses war dem Volke so bekannt, daß
es gar nicht erst zum Arzte schickte, da eS nicht unnütz Geld ausgeben wollte.
Erst wenn durch übermäßige Blutentziehung die Krankheit verschlimmert wor¬
den, ruft man den Arzt. Oft trifft dieser dann in Krämpfen liegende Kinder
oder Bleichsüchtige mit 8—10 Blutegeln in der Magengegend. Vergebens
erklärt ihnen der Arzt, daß Krämpfe, Bleichsucht, nervöse Zufälle nur zu oft
die Folge übermäßigen Blutverlustes seien, daß viele chronische Krankheiten,
welche man hier zu Lande beobachtet, aus einem so unsinnigen Verfahren ent¬
springen. Aber die Leute schenken diesen Worten kein Vertrauen und antwor¬
ten in der Regel, der Arzt sei noch nicht bekannt mit dem Klima und den
Eigenthümlichkeiten des Landes. Nur dem, welcher ihnen unbarmherzig Blut
abzapft, vertrauen sie Leib und Leben an.

Jetzt aber dringt die Wahrheit allmälig durch. Seitdem die Aerzte sich
zu einem festen Bunde gegen Anmaßung und Vorurtheil aneinandergeschlossen,
hat das Publicum große Concessionen gemacht, und immer mehr beginnt
eS, ohne sich in seinem Urtheil von Quacksalbern und Apothekern leiten zu
lassen, die Wahl des Arztes nach seiner Geschicklichkeit und nicht nach der
Länge seines Aufenthaltes im Lande einzurichten. Man sieht wol noch Char-
latane an Krankenbetten; aber ihr Ansehn ist im Allgemeinen stark in der Ab¬
nahme begriffen.

Schon lange war die Bildung eines ärztlichen Vereins in Konstantinopel
der sehnlichste Wunsch der dortigen Aerzte gewesen, einmal, weil ihnen die
Hilfsmittel zur Fortbildung, wie sie in andern großen Städten stets vorhan¬
den sind, gänzlich fehlten, besonders aber um sich eine geachtetere Eristenz zu
verschaffen. Jedoch man hatte noch keine Versuche gemacht, man hatte sich


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104734/238>, abgerufen am 23.07.2024.