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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band.

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Nadeln zu rösten anfangen soll die Krankheit von selbst weggehen; ist es nicht
der, Fall, so wird der Versuch wiederholt. "Die Nadeln haben nicht genug
von der gelben Materie aus dem Körper an sich gezogen" heißt es dann in
der Regel.

Nicht minder groß ist die Zahl der Frauen, welche die Krankheiten und
die Vorurtheile der Türken zu ihrem Vortheile ausbeuten. Sie genießen in
vielen Fällen einen noch größern Ruf als die bereits erwähnten Quacksalber.
Die berühmteste dieser Weiber ist ohnstreitig eine, welche den Gelindjik behan¬
delt. Man versteht hierunter gewöhnlich die Bleichsucht und allgemeine Kör¬
perschwäche. Diese Frau rechnet aber dazu auch jede Geschwulst an den Glie¬
dern, Wassersucht u. a. in.; es ist wirklich wunderbar, wie das wackere Weib
selbst bei den Gesundesten den Gelindjik herausfindet. Sie gibt ohne Unter¬
schied allen ihren Patienten dasselbe Mittel; doch hat sie zwei Arten desselben,
denn sie unterscheidet zwei Arten von Gelindjik. Für ihre Euren begnügt sie
sich mit einem Honorar von 230 Piastern.

Eine andere behandelt den Akrum oder die Krämpfe. Das Volk glaubt,
daß die Aerzte durchaus keine Kenntniß von diesen Zufällen haben, und wenn
daher irgendwo ein Kind von Krämpfen befallen wird, so eilt man zu dieser
Frau, welche allein im Rufe steht, dergleichen Anfälle beschwören zu können.
Wehe dem Arzt, welcher nicht seine Unwissenheit eingesteht und sich nicht für
incompetent erklärt, wenn er an ein solches Krankenbett gerufen wird. Stirbt
das Kind, so ist er sein Mörder. Begegnet dies aber einer solchen Frau, so
heißt es immer, sie sei zu spät gerufen worden, oder, man habe ihren Anord¬
nungen nicht streng genug Folge geleistet.

Noch trauriger gestalten sich die Verhältnisse bei der Geburtshilfe. Hier
haben die Hebammen unumschränkte Herrschaft und nur in seltnen Fällen,
wenn sie sich nicht mehr zu helfen wissen, gestatten sie, daß man einen Arzt
zur Hilfe rufe. Indeß in der Regel trifft dieser die Gebärende, welche bereits
seit Tagen in den Wehen gelegen hatte, durch Aderlässe und Schrvpfungcn
in einen so hohen Grad von Schwäche versetzt, daß keine menschliche Hilfe
möglich ist. Die Zahl der Opfer ist auf diese' Weise unermeßlich, und erst
seitdem in der veolo et" möävLmiz Hebammen gebildet werden, nimmt ihre Zahl,
wenn auch nur in geringem Maße, ab.

Diese verschiedenen Arten von Quacksalbern, Marktschreiern und alten
Weibern sind trotz ihrer großen Uneinigkeit darin einig, daß sie die erklärten
Feinde aller wissenschaftlich gebildeten Aerzte sind und ihnen überall zu schaden
suchen. Und dies ist bei dem großen Ansehen, in welchem sie bei dem Volke
stehen, nichts weniger als schwierig. Die Kenntniß der verschiedenen Sprachen,
das Mißtrauen der Inländer, die Schwierigkeit in gesellschaftliche Beziehungen
zu kommen, die ungeheure Zahl der Quacksalber, sind steile Berge, welche ein


Nadeln zu rösten anfangen soll die Krankheit von selbst weggehen; ist es nicht
der, Fall, so wird der Versuch wiederholt. „Die Nadeln haben nicht genug
von der gelben Materie aus dem Körper an sich gezogen" heißt es dann in
der Regel.

Nicht minder groß ist die Zahl der Frauen, welche die Krankheiten und
die Vorurtheile der Türken zu ihrem Vortheile ausbeuten. Sie genießen in
vielen Fällen einen noch größern Ruf als die bereits erwähnten Quacksalber.
Die berühmteste dieser Weiber ist ohnstreitig eine, welche den Gelindjik behan¬
delt. Man versteht hierunter gewöhnlich die Bleichsucht und allgemeine Kör¬
perschwäche. Diese Frau rechnet aber dazu auch jede Geschwulst an den Glie¬
dern, Wassersucht u. a. in.; es ist wirklich wunderbar, wie das wackere Weib
selbst bei den Gesundesten den Gelindjik herausfindet. Sie gibt ohne Unter¬
schied allen ihren Patienten dasselbe Mittel; doch hat sie zwei Arten desselben,
denn sie unterscheidet zwei Arten von Gelindjik. Für ihre Euren begnügt sie
sich mit einem Honorar von 230 Piastern.

Eine andere behandelt den Akrum oder die Krämpfe. Das Volk glaubt,
daß die Aerzte durchaus keine Kenntniß von diesen Zufällen haben, und wenn
daher irgendwo ein Kind von Krämpfen befallen wird, so eilt man zu dieser
Frau, welche allein im Rufe steht, dergleichen Anfälle beschwören zu können.
Wehe dem Arzt, welcher nicht seine Unwissenheit eingesteht und sich nicht für
incompetent erklärt, wenn er an ein solches Krankenbett gerufen wird. Stirbt
das Kind, so ist er sein Mörder. Begegnet dies aber einer solchen Frau, so
heißt es immer, sie sei zu spät gerufen worden, oder, man habe ihren Anord¬
nungen nicht streng genug Folge geleistet.

Noch trauriger gestalten sich die Verhältnisse bei der Geburtshilfe. Hier
haben die Hebammen unumschränkte Herrschaft und nur in seltnen Fällen,
wenn sie sich nicht mehr zu helfen wissen, gestatten sie, daß man einen Arzt
zur Hilfe rufe. Indeß in der Regel trifft dieser die Gebärende, welche bereits
seit Tagen in den Wehen gelegen hatte, durch Aderlässe und Schrvpfungcn
in einen so hohen Grad von Schwäche versetzt, daß keine menschliche Hilfe
möglich ist. Die Zahl der Opfer ist auf diese' Weise unermeßlich, und erst
seitdem in der veolo et« möävLmiz Hebammen gebildet werden, nimmt ihre Zahl,
wenn auch nur in geringem Maße, ab.

Diese verschiedenen Arten von Quacksalbern, Marktschreiern und alten
Weibern sind trotz ihrer großen Uneinigkeit darin einig, daß sie die erklärten
Feinde aller wissenschaftlich gebildeten Aerzte sind und ihnen überall zu schaden
suchen. Und dies ist bei dem großen Ansehen, in welchem sie bei dem Volke
stehen, nichts weniger als schwierig. Die Kenntniß der verschiedenen Sprachen,
das Mißtrauen der Inländer, die Schwierigkeit in gesellschaftliche Beziehungen
zu kommen, die ungeheure Zahl der Quacksalber, sind steile Berge, welche ein


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104734/236>, abgerufen am 23.07.2024.