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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band.

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ungehindert sein Wesen treiben, denn bis jetzt fehlt es noch an Gesetzen gegen
Unfug. Auch mag wol der Fatalismus große Schuld daran tragen. Denn
wenn die Todesstunde naht, ist es dem Türken gleichgültig, ob ihn ein studirter
Arzt oder ein Quacksalber so weit gebracht hat. "Das Schicksal hat eS ein¬
mal so gewollt und seinen Bestimmungen kann niemand einen wirksamen Wider¬
stand entgegensetzen." Eine nothwendige Folge hiervon ist, daß in der Türkei
eine Unzahl von Menschen, ohne durch Kenntnisse dazu befähigt zu sein, die
Heilkunde betreibt, zumal in Konstantinopel. Da nun hier fast alle Völker
miteinander in Berührung kommen, so trifft man Quacksalber aus allen Län¬
dern und von allen Religionen. Ihre Vergangenheit, ihr gegenwärtiges
Leben, ihre Hilfsquellen sind ebenso viel Geheimisse; alles ist an ihnen ver¬
dächtig, aber trotzdem werden sie vom Volke höher geschätzt als ein wissenschaft¬
lich gebildeter Arzt. Es sind in der Negel Leute von großer Schlauheit, welche
sich mit einer Hingebung ohne Gleichen ihren Nächsten widmen, wohlgemerkt
aber nur so lange, bis sie Gesundheit und Beutel ihrer arglosen Opfer gänz¬
lich erschöpft haben.

Vor allen Dingen muß man wissen, daß in Konstantinopel die wirksamsten
Arzneien und Gifte jedermann zu Gebote stehen. Man kann im Tscharschi*)
der Aegypter und Juden die giftigsten Quecksilberpräparate, Arsenik, Opium,
Strychnin und dergleichen pfundweise kaufen, ohne daß man seinen Namen
und den Gebrauch, welchen man vom eingekauften Gifte machen will, an¬
zugeben brauchte.

Will man sich den weiten Weg ersparen, so kann man auch ohne Unter¬
schrift eines Arztes aus den Apotheken die gefährlichsten Substanzen bekommen.
Die Apotheker üben ebenfalls mit großem Gewinne die Heilkunde aus, und
ziehen mehr Vortheil aus diesem Zweige ihrer Beschäftigung, als aus ihrem
eigentlichen Gewerbe. Man kann sogar versichert sein, daß eine sehr große
Zahl von ihnen auch das Apothekergeschäst ganz ohne Berechtigung betreibt,
lediglich um sich zu bereichern, was jedoch nicht hinden, daß sie in großem
Ansehen stehen, und zwar nicht allein beim Volke, sondern sogar bei den vor¬
nehmsten Leuten. Der Arzt trifft nicht selten den Apotheker an dem Kranken¬
bette, zu welchem er hinberufen worden ist, als seinen Aufseher und ist ganz
abhängig von dessen Aussprüchen. Es gab eine Zeit, wo fast alle Aerzte und
Apotheker Quacksalber waren, und wo man selten aus einen wirklichen Arzt
traf. Noch jetzt werden die Apotheker vom Volke in ihrem Ansehen aufrecht
erhalten aus langer Gewohnheit, um fo mehr, da die meisten sich gewisser Geheim¬
mittel gegen eine große Anzahl von Krankheiten rühmen, um deren willen
man sie mehr aufsucht, als die wahren Aerzte. Sie üben in einem Quartier,
in welchem kein Arzt wohnt, eine unumschränkte Herrschaft, und in anderen
^^



^NuTheildes Bazars.

ungehindert sein Wesen treiben, denn bis jetzt fehlt es noch an Gesetzen gegen
Unfug. Auch mag wol der Fatalismus große Schuld daran tragen. Denn
wenn die Todesstunde naht, ist es dem Türken gleichgültig, ob ihn ein studirter
Arzt oder ein Quacksalber so weit gebracht hat. „Das Schicksal hat eS ein¬
mal so gewollt und seinen Bestimmungen kann niemand einen wirksamen Wider¬
stand entgegensetzen." Eine nothwendige Folge hiervon ist, daß in der Türkei
eine Unzahl von Menschen, ohne durch Kenntnisse dazu befähigt zu sein, die
Heilkunde betreibt, zumal in Konstantinopel. Da nun hier fast alle Völker
miteinander in Berührung kommen, so trifft man Quacksalber aus allen Län¬
dern und von allen Religionen. Ihre Vergangenheit, ihr gegenwärtiges
Leben, ihre Hilfsquellen sind ebenso viel Geheimisse; alles ist an ihnen ver¬
dächtig, aber trotzdem werden sie vom Volke höher geschätzt als ein wissenschaft¬
lich gebildeter Arzt. Es sind in der Negel Leute von großer Schlauheit, welche
sich mit einer Hingebung ohne Gleichen ihren Nächsten widmen, wohlgemerkt
aber nur so lange, bis sie Gesundheit und Beutel ihrer arglosen Opfer gänz¬
lich erschöpft haben.

Vor allen Dingen muß man wissen, daß in Konstantinopel die wirksamsten
Arzneien und Gifte jedermann zu Gebote stehen. Man kann im Tscharschi*)
der Aegypter und Juden die giftigsten Quecksilberpräparate, Arsenik, Opium,
Strychnin und dergleichen pfundweise kaufen, ohne daß man seinen Namen
und den Gebrauch, welchen man vom eingekauften Gifte machen will, an¬
zugeben brauchte.

Will man sich den weiten Weg ersparen, so kann man auch ohne Unter¬
schrift eines Arztes aus den Apotheken die gefährlichsten Substanzen bekommen.
Die Apotheker üben ebenfalls mit großem Gewinne die Heilkunde aus, und
ziehen mehr Vortheil aus diesem Zweige ihrer Beschäftigung, als aus ihrem
eigentlichen Gewerbe. Man kann sogar versichert sein, daß eine sehr große
Zahl von ihnen auch das Apothekergeschäst ganz ohne Berechtigung betreibt,
lediglich um sich zu bereichern, was jedoch nicht hinden, daß sie in großem
Ansehen stehen, und zwar nicht allein beim Volke, sondern sogar bei den vor¬
nehmsten Leuten. Der Arzt trifft nicht selten den Apotheker an dem Kranken¬
bette, zu welchem er hinberufen worden ist, als seinen Aufseher und ist ganz
abhängig von dessen Aussprüchen. Es gab eine Zeit, wo fast alle Aerzte und
Apotheker Quacksalber waren, und wo man selten aus einen wirklichen Arzt
traf. Noch jetzt werden die Apotheker vom Volke in ihrem Ansehen aufrecht
erhalten aus langer Gewohnheit, um fo mehr, da die meisten sich gewisser Geheim¬
mittel gegen eine große Anzahl von Krankheiten rühmen, um deren willen
man sie mehr aufsucht, als die wahren Aerzte. Sie üben in einem Quartier,
in welchem kein Arzt wohnt, eine unumschränkte Herrschaft, und in anderen
^^



^NuTheildes Bazars.
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[0234] ungehindert sein Wesen treiben, denn bis jetzt fehlt es noch an Gesetzen gegen Unfug. Auch mag wol der Fatalismus große Schuld daran tragen. Denn wenn die Todesstunde naht, ist es dem Türken gleichgültig, ob ihn ein studirter Arzt oder ein Quacksalber so weit gebracht hat. „Das Schicksal hat eS ein¬ mal so gewollt und seinen Bestimmungen kann niemand einen wirksamen Wider¬ stand entgegensetzen." Eine nothwendige Folge hiervon ist, daß in der Türkei eine Unzahl von Menschen, ohne durch Kenntnisse dazu befähigt zu sein, die Heilkunde betreibt, zumal in Konstantinopel. Da nun hier fast alle Völker miteinander in Berührung kommen, so trifft man Quacksalber aus allen Län¬ dern und von allen Religionen. Ihre Vergangenheit, ihr gegenwärtiges Leben, ihre Hilfsquellen sind ebenso viel Geheimisse; alles ist an ihnen ver¬ dächtig, aber trotzdem werden sie vom Volke höher geschätzt als ein wissenschaft¬ lich gebildeter Arzt. Es sind in der Negel Leute von großer Schlauheit, welche sich mit einer Hingebung ohne Gleichen ihren Nächsten widmen, wohlgemerkt aber nur so lange, bis sie Gesundheit und Beutel ihrer arglosen Opfer gänz¬ lich erschöpft haben. Vor allen Dingen muß man wissen, daß in Konstantinopel die wirksamsten Arzneien und Gifte jedermann zu Gebote stehen. Man kann im Tscharschi*) der Aegypter und Juden die giftigsten Quecksilberpräparate, Arsenik, Opium, Strychnin und dergleichen pfundweise kaufen, ohne daß man seinen Namen und den Gebrauch, welchen man vom eingekauften Gifte machen will, an¬ zugeben brauchte. Will man sich den weiten Weg ersparen, so kann man auch ohne Unter¬ schrift eines Arztes aus den Apotheken die gefährlichsten Substanzen bekommen. Die Apotheker üben ebenfalls mit großem Gewinne die Heilkunde aus, und ziehen mehr Vortheil aus diesem Zweige ihrer Beschäftigung, als aus ihrem eigentlichen Gewerbe. Man kann sogar versichert sein, daß eine sehr große Zahl von ihnen auch das Apothekergeschäst ganz ohne Berechtigung betreibt, lediglich um sich zu bereichern, was jedoch nicht hinden, daß sie in großem Ansehen stehen, und zwar nicht allein beim Volke, sondern sogar bei den vor¬ nehmsten Leuten. Der Arzt trifft nicht selten den Apotheker an dem Kranken¬ bette, zu welchem er hinberufen worden ist, als seinen Aufseher und ist ganz abhängig von dessen Aussprüchen. Es gab eine Zeit, wo fast alle Aerzte und Apotheker Quacksalber waren, und wo man selten aus einen wirklichen Arzt traf. Noch jetzt werden die Apotheker vom Volke in ihrem Ansehen aufrecht erhalten aus langer Gewohnheit, um fo mehr, da die meisten sich gewisser Geheim¬ mittel gegen eine große Anzahl von Krankheiten rühmen, um deren willen man sie mehr aufsucht, als die wahren Aerzte. Sie üben in einem Quartier, in welchem kein Arzt wohnt, eine unumschränkte Herrschaft, und in anderen ^^ ^NuTheildes Bazars.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104734/234>, abgerufen am 23.07.2024.