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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band.

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weniger als 300 deutsche Meilen. An dem Tage endlich, wo sie den Fluß
gegenüber Nanking verließ, war jede Verbindung mit ihren Genossen am
letztern Orte mit Ausnahme derjenigen, welche durch einige Boten unterhalten
werben konnte, vollständig abgeschnitten. Unmittelbar hinter ihr folgte ein
Corps der Kaiserlichen, welches von der Beobachtungöarmee bei Nanking und
Tschinkiang detachirt wurde, und das sich unterwegs durch die localen Truppen
verstärkte. Dennoch setzten diese Krieger beharrlich ihren Marsch nach Nor¬
den fort, bogen einmal nach Westen, dann wieder nach Osten aus, wendeten sich
aber ganze sechs Monate hindurch niemals nach Süden zurück. Dieses Schau¬
spiel spricht mächtig sür die Unerschrockenheit der Taipingsoldaten, sür die
Tüchtigkeit ihrer Organisation und für den kühnen Sinn ihres Führers. Nach
den Pekinger Zeitungen waren es zuletzt jene Mandschngarnison und die i300 Mon¬
golen, welche ihren Weitermarsch hemmten; weit glaublicher aber ist ein Bericht
des Moniteur, nach welchem sie dadurch aufgehalten wurden, daß die Kaiser¬
lichen das reiche System von Kanälen und Wasserverbindungen in jener Gegend
benutzten, um durch künstliche Ueberschwemmung ganzer Landstriche die Insur¬
genten am Vorwärtskommen zu hindern.

Bei Empfang der Nachricht, daß die nach Norden gezogene Armee in
Tsinghai Halt gemacht habe, trafen die Oberfeldherrn der Taipingö sofort
Anstalt, ihr ein zweites Heer zu Hilfe zu senden. Man hatte etwa um die¬
selbe Zeit, wo jene gegen Peking aufgebrochen war, eine andere Armee den
Nanglse hinauf nach dem Poyangsee geschickt, welche sich in Ganting fest¬
gesetzt, diese Stadt zur Basis von Operationen nach Norden gegen die Mitte
der Provinz Ganhvei gemacht und am -IL. Januar 18Si die Departements¬
stadt Lutschau mit Sturm genommen hatte. Hier scheint sie der Befehl
erreicht zu haben, den Brüdern im Norden zu Hilfe zu eilen. Si'e zogen
demzufolge in Eilmärschen zunächst auf die in der Nordostecke der Provinz Kiangsu
am gelben Fuß gelegene Stadt Fung, überschritten am 17. März den Fluß
und nahmen die Stadt, marschirten dann, unterwegs einen Ort nach dem
andern einnehmend, auf die große Stadt Linsina. in der Provinz Schankung
^S, schlugen hier am 4. April mehre kaiserliche Generale und erstürmten darauf
am ^2. April jenen wichtigen Platz.

Die Armee, der diese letztere zu Hilfe geschickt worden, hatte inzwischen
ihre Position in Tsinghai verlassen und etwa neun Monate nach ihrem Aus-
bruch von Nanking d,en Rückzug nach Süden angetreten. Sie bewerkstelligte
denselben aber in aller Ordnung und sehr langsam, nahm verschiedene Orte
en> und kämpfte, wie es scheint, siegreich bis Ende Juni mit den Kaiser¬
lichen. Dann vereinigte sie sich mit den in Linsing stehen gebliebenen Taipings
^r Hilfsarmee. Erst neun Monate später räumten die Insurgenten das
Land nördlich vom gelben Fluß vollständig.


weniger als 300 deutsche Meilen. An dem Tage endlich, wo sie den Fluß
gegenüber Nanking verließ, war jede Verbindung mit ihren Genossen am
letztern Orte mit Ausnahme derjenigen, welche durch einige Boten unterhalten
werben konnte, vollständig abgeschnitten. Unmittelbar hinter ihr folgte ein
Corps der Kaiserlichen, welches von der Beobachtungöarmee bei Nanking und
Tschinkiang detachirt wurde, und das sich unterwegs durch die localen Truppen
verstärkte. Dennoch setzten diese Krieger beharrlich ihren Marsch nach Nor¬
den fort, bogen einmal nach Westen, dann wieder nach Osten aus, wendeten sich
aber ganze sechs Monate hindurch niemals nach Süden zurück. Dieses Schau¬
spiel spricht mächtig sür die Unerschrockenheit der Taipingsoldaten, sür die
Tüchtigkeit ihrer Organisation und für den kühnen Sinn ihres Führers. Nach
den Pekinger Zeitungen waren es zuletzt jene Mandschngarnison und die i300 Mon¬
golen, welche ihren Weitermarsch hemmten; weit glaublicher aber ist ein Bericht
des Moniteur, nach welchem sie dadurch aufgehalten wurden, daß die Kaiser¬
lichen das reiche System von Kanälen und Wasserverbindungen in jener Gegend
benutzten, um durch künstliche Ueberschwemmung ganzer Landstriche die Insur¬
genten am Vorwärtskommen zu hindern.

Bei Empfang der Nachricht, daß die nach Norden gezogene Armee in
Tsinghai Halt gemacht habe, trafen die Oberfeldherrn der Taipingö sofort
Anstalt, ihr ein zweites Heer zu Hilfe zu senden. Man hatte etwa um die¬
selbe Zeit, wo jene gegen Peking aufgebrochen war, eine andere Armee den
Nanglse hinauf nach dem Poyangsee geschickt, welche sich in Ganting fest¬
gesetzt, diese Stadt zur Basis von Operationen nach Norden gegen die Mitte
der Provinz Ganhvei gemacht und am -IL. Januar 18Si die Departements¬
stadt Lutschau mit Sturm genommen hatte. Hier scheint sie der Befehl
erreicht zu haben, den Brüdern im Norden zu Hilfe zu eilen. Si'e zogen
demzufolge in Eilmärschen zunächst auf die in der Nordostecke der Provinz Kiangsu
am gelben Fuß gelegene Stadt Fung, überschritten am 17. März den Fluß
und nahmen die Stadt, marschirten dann, unterwegs einen Ort nach dem
andern einnehmend, auf die große Stadt Linsina. in der Provinz Schankung
^S, schlugen hier am 4. April mehre kaiserliche Generale und erstürmten darauf
am ^2. April jenen wichtigen Platz.

Die Armee, der diese letztere zu Hilfe geschickt worden, hatte inzwischen
ihre Position in Tsinghai verlassen und etwa neun Monate nach ihrem Aus-
bruch von Nanking d,en Rückzug nach Süden angetreten. Sie bewerkstelligte
denselben aber in aller Ordnung und sehr langsam, nahm verschiedene Orte
en> und kämpfte, wie es scheint, siegreich bis Ende Juni mit den Kaiser¬
lichen. Dann vereinigte sie sich mit den in Linsing stehen gebliebenen Taipings
^r Hilfsarmee. Erst neun Monate später räumten die Insurgenten das
Land nördlich vom gelben Fluß vollständig.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104734/231>, abgerufen am 23.07.2024.