Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Auch in diesem poetischen Dilettantismus ist Trimalchio ebensowenig origi¬
nell als in dem musikalischen; derselbe war vielmehr noch in höherem Grade als
jener Mode. Zur Signatur der Periode, in der sich die petronischen Schilde¬
rungen bewegen, gehören in erster Reihe die belletristischen Tendenzen der
gebildeten Gesellschaft. Der breite Raum, den sie in dem geistigen Leben deS
ersten Jahrhunderts füllten, die unverhältnißmäßige Wichtigkeit, die ihnen bei¬
gelegt wurde, die Art, wie sie sich manifestirten -- alle diese Erscheinungen wur¬
den nur durch ein Zusammenwirken der äußern und innern Einflüsse möglich,
die überhaupt die Richtung jenes Zeitalters im Wesentlichen bestimmten.

In der augusteischen Zeit hatte Rom die größte Epoche seiner Poesie erlebt.
Man darf nur Virgil, Horaz, Tibull, Properz und Ovid nennen, (denn von man¬
chem andern damals gefeierten Dichter ist uns wenig mehr als der Name
geblieben), um die reiche und glänzende Fülle poetischer Productiynen sich zu
vergegenwärtigen, die damals im engen Zeitraum eines Menschenalters neben
einander reiften. Alle Gattungen waren hier vertreten, das Heldengedicht
und das Liebeslied, die zärtliche Elegie und die witzige Satire, das beschrei¬
bende und daS Lehrgedicht, und selbst das Drama fehlte nicht, nur daß hier
schwerlich etwas Lebensfähiges erschaffen wurden weil sonst diese Stücke nicht so
völlig verschollen sein würden. Auf den sämmtlichen übrigen Gebieten waren
die Leistungen in ihrer Art vollendet. Niemand kann es in den Sinn kommen, sie
zu dem Höchsten zu rechnen, was die Poesie überhaupt geschaffen hat, keinen
Augenblick kann man sich über ihren Mangel an Ursprünglichkeit täuschen, nie
über der reichen Begabung, dem großen Darstellungstalent, dem sichern und rei¬
nen Geschmack, der hohen Bildung dieser Dichter ihren Mangel an wahrer Ge¬
nialität vergessen. Aber indem sie mit der alten Poesie brachen, die wenigstens
in gewissem Sinne national heißen konnte, und sich auf die Höhe der univer¬
sellen, von Griechenland ausgegangenen Cultur stellten, brachten sie eine Revo¬
lution hervor, deren Folgen ebenso heilsam als dauernd empfunden wurden.
Sie zuerst bildeten die poetische Ausdrucksfähigkeit der Sprache allseitig aus
und verliehen ihr bewundernswerthen Reichthum, Schönheit und Kraft; sie schu¬
fen fast für jede Empfindungs- und Darstellungsweise mustergiltige Formen.
Es war keine Poesie, die sich an die Nation wendete (noch viel weniger an
die ganze Menschheit); sie sprach nur zu der gebildeten Gesellschaft, aus der sie
hervorgegangen war; weil sie auf den Voraussetzungen der Bildung beruhte,
konnte sie aus den Beifall der Masse nicht rechnen, ja sie hat ihn sogar aus¬
drücklich verschmäht. Populär ist von diesen Dichtern (außer Virgil, der seine
Popularität seinem Gegenstande verdankte) wol keiner geworden; dagegen sind
sie die auserwählten Lieblinge der Gebildeten nicht blos ihrer Zeit, sondern
aller Zeiten gewesen und geblieben.

Je beschränkter der Kreis war, für den die Werke dieser Dichter geschaffen


Auch in diesem poetischen Dilettantismus ist Trimalchio ebensowenig origi¬
nell als in dem musikalischen; derselbe war vielmehr noch in höherem Grade als
jener Mode. Zur Signatur der Periode, in der sich die petronischen Schilde¬
rungen bewegen, gehören in erster Reihe die belletristischen Tendenzen der
gebildeten Gesellschaft. Der breite Raum, den sie in dem geistigen Leben deS
ersten Jahrhunderts füllten, die unverhältnißmäßige Wichtigkeit, die ihnen bei¬
gelegt wurde, die Art, wie sie sich manifestirten — alle diese Erscheinungen wur¬
den nur durch ein Zusammenwirken der äußern und innern Einflüsse möglich,
die überhaupt die Richtung jenes Zeitalters im Wesentlichen bestimmten.

In der augusteischen Zeit hatte Rom die größte Epoche seiner Poesie erlebt.
Man darf nur Virgil, Horaz, Tibull, Properz und Ovid nennen, (denn von man¬
chem andern damals gefeierten Dichter ist uns wenig mehr als der Name
geblieben), um die reiche und glänzende Fülle poetischer Productiynen sich zu
vergegenwärtigen, die damals im engen Zeitraum eines Menschenalters neben
einander reiften. Alle Gattungen waren hier vertreten, das Heldengedicht
und das Liebeslied, die zärtliche Elegie und die witzige Satire, das beschrei¬
bende und daS Lehrgedicht, und selbst das Drama fehlte nicht, nur daß hier
schwerlich etwas Lebensfähiges erschaffen wurden weil sonst diese Stücke nicht so
völlig verschollen sein würden. Auf den sämmtlichen übrigen Gebieten waren
die Leistungen in ihrer Art vollendet. Niemand kann es in den Sinn kommen, sie
zu dem Höchsten zu rechnen, was die Poesie überhaupt geschaffen hat, keinen
Augenblick kann man sich über ihren Mangel an Ursprünglichkeit täuschen, nie
über der reichen Begabung, dem großen Darstellungstalent, dem sichern und rei¬
nen Geschmack, der hohen Bildung dieser Dichter ihren Mangel an wahrer Ge¬
nialität vergessen. Aber indem sie mit der alten Poesie brachen, die wenigstens
in gewissem Sinne national heißen konnte, und sich auf die Höhe der univer¬
sellen, von Griechenland ausgegangenen Cultur stellten, brachten sie eine Revo¬
lution hervor, deren Folgen ebenso heilsam als dauernd empfunden wurden.
Sie zuerst bildeten die poetische Ausdrucksfähigkeit der Sprache allseitig aus
und verliehen ihr bewundernswerthen Reichthum, Schönheit und Kraft; sie schu¬
fen fast für jede Empfindungs- und Darstellungsweise mustergiltige Formen.
Es war keine Poesie, die sich an die Nation wendete (noch viel weniger an
die ganze Menschheit); sie sprach nur zu der gebildeten Gesellschaft, aus der sie
hervorgegangen war; weil sie auf den Voraussetzungen der Bildung beruhte,
konnte sie aus den Beifall der Masse nicht rechnen, ja sie hat ihn sogar aus¬
drücklich verschmäht. Populär ist von diesen Dichtern (außer Virgil, der seine
Popularität seinem Gegenstande verdankte) wol keiner geworden; dagegen sind
sie die auserwählten Lieblinge der Gebildeten nicht blos ihrer Zeit, sondern
aller Zeiten gewesen und geblieben.

Je beschränkter der Kreis war, für den die Werke dieser Dichter geschaffen


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0010" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/104745"/>
            <p xml:id="ID_3"> Auch in diesem poetischen Dilettantismus ist Trimalchio ebensowenig origi¬<lb/>
nell als in dem musikalischen; derselbe war vielmehr noch in höherem Grade als<lb/>
jener Mode. Zur Signatur der Periode, in der sich die petronischen Schilde¬<lb/>
rungen bewegen, gehören in erster Reihe die belletristischen Tendenzen der<lb/>
gebildeten Gesellschaft. Der breite Raum, den sie in dem geistigen Leben deS<lb/>
ersten Jahrhunderts füllten, die unverhältnißmäßige Wichtigkeit, die ihnen bei¬<lb/>
gelegt wurde, die Art, wie sie sich manifestirten &#x2014; alle diese Erscheinungen wur¬<lb/>
den nur durch ein Zusammenwirken der äußern und innern Einflüsse möglich,<lb/>
die überhaupt die Richtung jenes Zeitalters im Wesentlichen bestimmten.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_4"> In der augusteischen Zeit hatte Rom die größte Epoche seiner Poesie erlebt.<lb/>
Man darf nur Virgil, Horaz, Tibull, Properz und Ovid nennen, (denn von man¬<lb/>
chem andern damals gefeierten Dichter ist uns wenig mehr als der Name<lb/>
geblieben), um die reiche und glänzende Fülle poetischer Productiynen sich zu<lb/>
vergegenwärtigen, die damals im engen Zeitraum eines Menschenalters neben<lb/>
einander reiften. Alle Gattungen waren hier vertreten, das Heldengedicht<lb/>
und das Liebeslied, die zärtliche Elegie und die witzige Satire, das beschrei¬<lb/>
bende und daS Lehrgedicht, und selbst das Drama fehlte nicht, nur daß hier<lb/>
schwerlich etwas Lebensfähiges erschaffen wurden weil sonst diese Stücke nicht so<lb/>
völlig verschollen sein würden. Auf den sämmtlichen übrigen Gebieten waren<lb/>
die Leistungen in ihrer Art vollendet. Niemand kann es in den Sinn kommen, sie<lb/>
zu dem Höchsten zu rechnen, was die Poesie überhaupt geschaffen hat, keinen<lb/>
Augenblick kann man sich über ihren Mangel an Ursprünglichkeit täuschen, nie<lb/>
über der reichen Begabung, dem großen Darstellungstalent, dem sichern und rei¬<lb/>
nen Geschmack, der hohen Bildung dieser Dichter ihren Mangel an wahrer Ge¬<lb/>
nialität vergessen. Aber indem sie mit der alten Poesie brachen, die wenigstens<lb/>
in gewissem Sinne national heißen konnte, und sich auf die Höhe der univer¬<lb/>
sellen, von Griechenland ausgegangenen Cultur stellten, brachten sie eine Revo¬<lb/>
lution hervor, deren Folgen ebenso heilsam als dauernd empfunden wurden.<lb/>
Sie zuerst bildeten die poetische Ausdrucksfähigkeit der Sprache allseitig aus<lb/>
und verliehen ihr bewundernswerthen Reichthum, Schönheit und Kraft; sie schu¬<lb/>
fen fast für jede Empfindungs- und Darstellungsweise mustergiltige Formen.<lb/>
Es war keine Poesie, die sich an die Nation wendete (noch viel weniger an<lb/>
die ganze Menschheit); sie sprach nur zu der gebildeten Gesellschaft, aus der sie<lb/>
hervorgegangen war; weil sie auf den Voraussetzungen der Bildung beruhte,<lb/>
konnte sie aus den Beifall der Masse nicht rechnen, ja sie hat ihn sogar aus¬<lb/>
drücklich verschmäht. Populär ist von diesen Dichtern (außer Virgil, der seine<lb/>
Popularität seinem Gegenstande verdankte) wol keiner geworden; dagegen sind<lb/>
sie die auserwählten Lieblinge der Gebildeten nicht blos ihrer Zeit, sondern<lb/>
aller Zeiten gewesen und geblieben.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_5" next="#ID_6"> Je beschränkter der Kreis war, für den die Werke dieser Dichter geschaffen</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0010] Auch in diesem poetischen Dilettantismus ist Trimalchio ebensowenig origi¬ nell als in dem musikalischen; derselbe war vielmehr noch in höherem Grade als jener Mode. Zur Signatur der Periode, in der sich die petronischen Schilde¬ rungen bewegen, gehören in erster Reihe die belletristischen Tendenzen der gebildeten Gesellschaft. Der breite Raum, den sie in dem geistigen Leben deS ersten Jahrhunderts füllten, die unverhältnißmäßige Wichtigkeit, die ihnen bei¬ gelegt wurde, die Art, wie sie sich manifestirten — alle diese Erscheinungen wur¬ den nur durch ein Zusammenwirken der äußern und innern Einflüsse möglich, die überhaupt die Richtung jenes Zeitalters im Wesentlichen bestimmten. In der augusteischen Zeit hatte Rom die größte Epoche seiner Poesie erlebt. Man darf nur Virgil, Horaz, Tibull, Properz und Ovid nennen, (denn von man¬ chem andern damals gefeierten Dichter ist uns wenig mehr als der Name geblieben), um die reiche und glänzende Fülle poetischer Productiynen sich zu vergegenwärtigen, die damals im engen Zeitraum eines Menschenalters neben einander reiften. Alle Gattungen waren hier vertreten, das Heldengedicht und das Liebeslied, die zärtliche Elegie und die witzige Satire, das beschrei¬ bende und daS Lehrgedicht, und selbst das Drama fehlte nicht, nur daß hier schwerlich etwas Lebensfähiges erschaffen wurden weil sonst diese Stücke nicht so völlig verschollen sein würden. Auf den sämmtlichen übrigen Gebieten waren die Leistungen in ihrer Art vollendet. Niemand kann es in den Sinn kommen, sie zu dem Höchsten zu rechnen, was die Poesie überhaupt geschaffen hat, keinen Augenblick kann man sich über ihren Mangel an Ursprünglichkeit täuschen, nie über der reichen Begabung, dem großen Darstellungstalent, dem sichern und rei¬ nen Geschmack, der hohen Bildung dieser Dichter ihren Mangel an wahrer Ge¬ nialität vergessen. Aber indem sie mit der alten Poesie brachen, die wenigstens in gewissem Sinne national heißen konnte, und sich auf die Höhe der univer¬ sellen, von Griechenland ausgegangenen Cultur stellten, brachten sie eine Revo¬ lution hervor, deren Folgen ebenso heilsam als dauernd empfunden wurden. Sie zuerst bildeten die poetische Ausdrucksfähigkeit der Sprache allseitig aus und verliehen ihr bewundernswerthen Reichthum, Schönheit und Kraft; sie schu¬ fen fast für jede Empfindungs- und Darstellungsweise mustergiltige Formen. Es war keine Poesie, die sich an die Nation wendete (noch viel weniger an die ganze Menschheit); sie sprach nur zu der gebildeten Gesellschaft, aus der sie hervorgegangen war; weil sie auf den Voraussetzungen der Bildung beruhte, konnte sie aus den Beifall der Masse nicht rechnen, ja sie hat ihn sogar aus¬ drücklich verschmäht. Populär ist von diesen Dichtern (außer Virgil, der seine Popularität seinem Gegenstande verdankte) wol keiner geworden; dagegen sind sie die auserwählten Lieblinge der Gebildeten nicht blos ihrer Zeit, sondern aller Zeiten gewesen und geblieben. Je beschränkter der Kreis war, für den die Werke dieser Dichter geschaffen

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104734
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104734/10
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104734/10>, abgerufen am 23.07.2024.