Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band.uns als unvorbereitetes Denkmal diese Höhlengruft. Nach dem Tode dürfen Die Romane des Heliodor, Tatius und Longus führen nun noch ein 9*
uns als unvorbereitetes Denkmal diese Höhlengruft. Nach dem Tode dürfen Die Romane des Heliodor, Tatius und Longus führen nun noch ein 9*
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0075" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/104276"/> <p xml:id="ID_215" prev="#ID_214"> uns als unvorbereitetes Denkmal diese Höhlengruft. Nach dem Tode dürfen<lb/> wir ewig zusammen sein, wenn auch im Leben die Gottheit eS uns versagt<lb/> hat" Mit dieser glühend empfundenen Klage vergleiche man aber den assen-<lb/> «irten Eingang der Rede, mit welcher Chäriklea auf die Bewerbung eines<lb/> Räuberhauptmanns antwortet: „Da ihr mir die Erlaubniß zu reden und einen<lb/> ersten Beweis Eurer Freundlichkeit dadurch gebt, daß ihr lieber durch Ueber-<lb/> redung als Gewalt Erlaubtes erreichen wollt, übrigens auch eure Verhand¬<lb/> lungen sich nur auf mich erstrecken, so bin ich gezwungen, aus den Schranken<lb/> der Jungfrauensitte herauszutreten und auf den Antrag des Gebieters zu ant¬<lb/> worten und noch dazu im Kreise so vieler Männer." In ähnlichen gespreizten<lb/> und stelzenhaften Phrasen muß sich Chäriklea so oft bewegen, daß ihr schon<lb/> im Alterthume von vielen Seiten ihre sophistische Sprache vorgeworfen wurde.</p><lb/> <p xml:id="ID_216"> Die Romane des Heliodor, Tatius und Longus führen nun noch ein<lb/> Element-in sich, das ganz den Eindruck macht, als ob es uicht blos Ingre¬<lb/> dienz, sondern der vorzüglichste Theil deS Zweckes sein sollte. ES ist in ihnen<lb/> «ne Flut gelehrter Notizen abgelagert, Malerei, Gartenkunst, Grammatik,<lb/> Kriegskunst, Philosophie, Geographie, Geschichte, Mythologie, Jurisprudenz,<lb/> Naturgeschichte, Theologie — fast alle Zweige deS damaligen Wissens haben<lb/> zu der gelehrten Ausstaffirung dieser Werke beitragen müssen. Namentlich das<lb/> Werk des Tatius ähnelt in dieser Beziehung dem berühmten und hochgelehrten<lb/> Romane „Arminius und Thusnelde" von Daniel Kasper von Lobenstein.<lb/> Die philosophischen Sentenzen deö ersteren würden sich ebenso leicht in einem<lb/> ?-Mu8 semsmiosus sammeln lassen, als dies mit dem zweiten im LoKeustei-<lb/> nws 8enwntiosu8 wirklich geschehen ist. Je länger man -in diesen Romanen<lb/> der hastigen und athemlosen Entfaltung gelehrter Vielwisser« folgt, je mehr<lb/> man diese klingenden, aber hohl klingenden Phrasen betrachtet, desto weniger<lb/> kann man den Gedanken abweisen, daß der Flitter der Sprache und daS<lb/> Prunken mit Gelehrsamkeit den Verfassern als die Hauptsache, die Fabel des<lb/> Romans selbst als Nebensache erschien. Hierzu tritt noch ein Umstand, der<lb/> den Charakter der Verfasser in ein noch klareres Licht stellt. Diese gelehrten<lb/> Notizen, diese blendenden Philosophen,?, diese lieblichen Bilder — fast alle<lb/> diese Blüten der Poesie und Erudition sind auf dem Boden der grenzenlosesten<lb/> Nachahmung gewachsen. Aristoteles. Plato, Plutarch, Theokrit und Ana-<lb/> kreon haben ganz besonders zu diesen Romanen beisteuern müssen. Gesellen<lb/> wir diese Nachahmungslust noch zu den vorher erwähnten Charakterzügen, daß<lb/> die Sprache sich durch außerordentliche Glätte auszeichnet, daß die sprachliche<lb/> Form, häufig inhaltsleer, doch Werth an und für sich in Anspruch nimmt,<lb/> daß der Gedanke nur seiner schönen Form wegen Werth hat — und man hat<lb/> alle die Merkmale beisammen, welche diese Romane als Erzeugnisse der<lb/> Lungern Sophistik charakterisiren.</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> 9*</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0075]
uns als unvorbereitetes Denkmal diese Höhlengruft. Nach dem Tode dürfen
wir ewig zusammen sein, wenn auch im Leben die Gottheit eS uns versagt
hat" Mit dieser glühend empfundenen Klage vergleiche man aber den assen-
«irten Eingang der Rede, mit welcher Chäriklea auf die Bewerbung eines
Räuberhauptmanns antwortet: „Da ihr mir die Erlaubniß zu reden und einen
ersten Beweis Eurer Freundlichkeit dadurch gebt, daß ihr lieber durch Ueber-
redung als Gewalt Erlaubtes erreichen wollt, übrigens auch eure Verhand¬
lungen sich nur auf mich erstrecken, so bin ich gezwungen, aus den Schranken
der Jungfrauensitte herauszutreten und auf den Antrag des Gebieters zu ant¬
worten und noch dazu im Kreise so vieler Männer." In ähnlichen gespreizten
und stelzenhaften Phrasen muß sich Chäriklea so oft bewegen, daß ihr schon
im Alterthume von vielen Seiten ihre sophistische Sprache vorgeworfen wurde.
Die Romane des Heliodor, Tatius und Longus führen nun noch ein
Element-in sich, das ganz den Eindruck macht, als ob es uicht blos Ingre¬
dienz, sondern der vorzüglichste Theil deS Zweckes sein sollte. ES ist in ihnen
«ne Flut gelehrter Notizen abgelagert, Malerei, Gartenkunst, Grammatik,
Kriegskunst, Philosophie, Geographie, Geschichte, Mythologie, Jurisprudenz,
Naturgeschichte, Theologie — fast alle Zweige deS damaligen Wissens haben
zu der gelehrten Ausstaffirung dieser Werke beitragen müssen. Namentlich das
Werk des Tatius ähnelt in dieser Beziehung dem berühmten und hochgelehrten
Romane „Arminius und Thusnelde" von Daniel Kasper von Lobenstein.
Die philosophischen Sentenzen deö ersteren würden sich ebenso leicht in einem
?-Mu8 semsmiosus sammeln lassen, als dies mit dem zweiten im LoKeustei-
nws 8enwntiosu8 wirklich geschehen ist. Je länger man -in diesen Romanen
der hastigen und athemlosen Entfaltung gelehrter Vielwisser« folgt, je mehr
man diese klingenden, aber hohl klingenden Phrasen betrachtet, desto weniger
kann man den Gedanken abweisen, daß der Flitter der Sprache und daS
Prunken mit Gelehrsamkeit den Verfassern als die Hauptsache, die Fabel des
Romans selbst als Nebensache erschien. Hierzu tritt noch ein Umstand, der
den Charakter der Verfasser in ein noch klareres Licht stellt. Diese gelehrten
Notizen, diese blendenden Philosophen,?, diese lieblichen Bilder — fast alle
diese Blüten der Poesie und Erudition sind auf dem Boden der grenzenlosesten
Nachahmung gewachsen. Aristoteles. Plato, Plutarch, Theokrit und Ana-
kreon haben ganz besonders zu diesen Romanen beisteuern müssen. Gesellen
wir diese Nachahmungslust noch zu den vorher erwähnten Charakterzügen, daß
die Sprache sich durch außerordentliche Glätte auszeichnet, daß die sprachliche
Form, häufig inhaltsleer, doch Werth an und für sich in Anspruch nimmt,
daß der Gedanke nur seiner schönen Form wegen Werth hat — und man hat
alle die Merkmale beisammen, welche diese Romane als Erzeugnisse der
Lungern Sophistik charakterisiren.
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