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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band.

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und ließ es unter einem falschen Namen als die Composition eines Kapell¬
meisters aus dem 17. Jahrhundert aufführe". Als es gefiel, dichtete und
cvniponirtc er den ersten und dritten Theil ("der Traum des Herodes, und,
"die Ankunft in Sais" genannt) hinzu, in welchen er jedoch, bis auf die hier
und da wiederkehrende Vermeidung des Leitlonö, die etwas mühsam fest¬
gehaltene Manier der Flucht nach Aegypten verläßt, und seinem Naturell wie¬
derum freien Lauf läßt. Seinem Naturell freien Lauf lassen -- kann man
diese Ausdrucksweise bei berliozschem Musikmachcn anwenden, wo keine spon¬
tane Melodie je eben dahin fließt, wo selten die Harmonie die natürliche
Grundlage derselben bildet, sondern fast von Note zu Note als Resultat einer
fast peinlichen Grübelei entsteht? Man weiß, mit welcher Beherrschung der Jn¬
strumentation Berlioz in seinem Orchesterwerke verfährt und wie er aus Klang¬
effecten und rhythmischen Combinationen oft die seltsam wirkendsten Dinge zu
weben weiß, -- aber seine Gesangwerke entbehren meistentheils allzusehr echten
Gesanges und sind mehr ein Gemisch steifer Declamation und über das Or¬
chester gewebter Noten mit Worten als ein Ganzes schöner, innig empfun¬
dener, vocaler Melodien. Da die Aufführung deS Werkes, (bis auf die schon
>n Leipzig und anderwärts ausgeführte Flucht nach Aegypten) unterblieb, sei eS,
weil man nicht damit zu Stande kommen konnte, sei es, wegen der Sprödig-
keit deö bei den Proben versammelten Publicums, wollen wir weder aus Tert
"och Musik hier näher eingehen. Der geehrte Leser möge uns glauben, wenn
wir die Versicherung geben, daß für ein deutsches Musikfest ein unpassen¬
deres Werk nicht leicht gefunden werden konnte.

In der von Heglit über das karlSruher Musikfest veröffentlichten Bro¬
schüre findet sich ein Brief von Liszt, in welchem er den Kritiken, welche seine
Leistungen als Dirigent damals hervorriefen, entgegentritt. Wir erlauben uns
einige der wesentlichsten Stellen daraus mitzutheilen.


"Die Werke, für welche ich öffentlich meine Bewunderung und Vorliebe
bekenne, gehören der Mehrzahl nach zu denjenigen, welche die mehr oder minder
"anhaften -- insbesondere die sogenannten "tüchtigen" Kapellmeister ---
Wenig oder gar nicht ihrer persönlichen Sympathie werth finden und zwar der¬
gestalt, daß eine von ihnen veranstaltete Aufführung zu den Seltenheiten ge¬
hört. Diese Werke, von denjenigen an, welche man jetzt gewöhnlich als dem
Stile der letzten Periode Beethovens angehörig bezeichnet (und deren Ursprung
man vor noch nicht langer Zeit, mit großem Mangel an Ehrfurcht, durch
d>e Taubheit und Geistesverwirrung Beethovens erklärte), erfordern meinem
^theile nach von Seiten des ausführenden Orchesters einen Fortschritt - dem
wir uns jetzt zu nähern scheinen, der aber noch weit entfernt ist, aller Orten
seiner Verwirklichung entgegenzugehen -- einen Fortschritt in der Betonung,
it> der Nhythmistrung, in der Art gewisse Stellen im Detail zu Phrasiren und

und ließ es unter einem falschen Namen als die Composition eines Kapell¬
meisters aus dem 17. Jahrhundert aufführe«. Als es gefiel, dichtete und
cvniponirtc er den ersten und dritten Theil („der Traum des Herodes, und,
„die Ankunft in Sais" genannt) hinzu, in welchen er jedoch, bis auf die hier
und da wiederkehrende Vermeidung des Leitlonö, die etwas mühsam fest¬
gehaltene Manier der Flucht nach Aegypten verläßt, und seinem Naturell wie¬
derum freien Lauf läßt. Seinem Naturell freien Lauf lassen — kann man
diese Ausdrucksweise bei berliozschem Musikmachcn anwenden, wo keine spon¬
tane Melodie je eben dahin fließt, wo selten die Harmonie die natürliche
Grundlage derselben bildet, sondern fast von Note zu Note als Resultat einer
fast peinlichen Grübelei entsteht? Man weiß, mit welcher Beherrschung der Jn¬
strumentation Berlioz in seinem Orchesterwerke verfährt und wie er aus Klang¬
effecten und rhythmischen Combinationen oft die seltsam wirkendsten Dinge zu
weben weiß, — aber seine Gesangwerke entbehren meistentheils allzusehr echten
Gesanges und sind mehr ein Gemisch steifer Declamation und über das Or¬
chester gewebter Noten mit Worten als ein Ganzes schöner, innig empfun¬
dener, vocaler Melodien. Da die Aufführung deS Werkes, (bis auf die schon
>n Leipzig und anderwärts ausgeführte Flucht nach Aegypten) unterblieb, sei eS,
weil man nicht damit zu Stande kommen konnte, sei es, wegen der Sprödig-
keit deö bei den Proben versammelten Publicums, wollen wir weder aus Tert
"och Musik hier näher eingehen. Der geehrte Leser möge uns glauben, wenn
wir die Versicherung geben, daß für ein deutsches Musikfest ein unpassen¬
deres Werk nicht leicht gefunden werden konnte.

In der von Heglit über das karlSruher Musikfest veröffentlichten Bro¬
schüre findet sich ein Brief von Liszt, in welchem er den Kritiken, welche seine
Leistungen als Dirigent damals hervorriefen, entgegentritt. Wir erlauben uns
einige der wesentlichsten Stellen daraus mitzutheilen.


„Die Werke, für welche ich öffentlich meine Bewunderung und Vorliebe
bekenne, gehören der Mehrzahl nach zu denjenigen, welche die mehr oder minder
»anhaften — insbesondere die sogenannten „tüchtigen" Kapellmeister -—
Wenig oder gar nicht ihrer persönlichen Sympathie werth finden und zwar der¬
gestalt, daß eine von ihnen veranstaltete Aufführung zu den Seltenheiten ge¬
hört. Diese Werke, von denjenigen an, welche man jetzt gewöhnlich als dem
Stile der letzten Periode Beethovens angehörig bezeichnet (und deren Ursprung
man vor noch nicht langer Zeit, mit großem Mangel an Ehrfurcht, durch
d>e Taubheit und Geistesverwirrung Beethovens erklärte), erfordern meinem
^theile nach von Seiten des ausführenden Orchesters einen Fortschritt - dem
wir uns jetzt zu nähern scheinen, der aber noch weit entfernt ist, aller Orten
seiner Verwirklichung entgegenzugehen — einen Fortschritt in der Betonung,
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104200/61>, abgerufen am 26.08.2024.