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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band.

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Untcrthanenschaft Rücksicht zu nehmen, ausdehnen, so haben jene Verträge,
die den Franken vor der Willkür orientalischer Richter sichern sollten, dahin
geführt, daß ihr Wirkungskreis als Zufluchtsstätte für Gesindel aller Art gilt.

Einige Beispiele werden genügen, zu zeigen, wie man im Schatten dieser
Verträge sündigt, und wie gering die Macht (oder der Wille?) mancher Con-
sulate ist, Uebelthäter zur Rechenschaft zu ziehen. Ein Jude, zweifelsohne
ein directer Abkömmling der Juden, die mit Jeremias nach den Fleischtöpfen
Aegyptens zurückkehrten (wenigstens war schon sein Urgroßvater Geldwechsler
im Hart El Jahud zu Kairo gewesen) erstach einen Mann auf offener Straße
und wurde, auf Vevaulassung eines Engländers, von den Kawasse" verhaftet.
Seine Schuld war erwiesen, seine Bestrafung würde nicht lange haben auf
sich warten lassen. wenn alles seinen rechten Gang gehabt hätte. Es sollte
aber seinen rechten Gang nicht haben. Der Mörder schickte alsbald nach dem
französischen Consul, halte eine lange Unterredung mit ihm, und den nächsten
Tag zeigte der Consul seinen Namen in der Liste seiner Proteges, und ver¬
langte, daß er ihm ausgeliefert würde. Die Regierung entsprach der Forde¬
rung, und von der gebührenden Bestrafung war nicht mehr die Rede. Kurze
Zeit nachher erschoß ein Arbeiter, der, wenn wir nicht irren, ebenfalls nnter
französischem Schutz stand, einen Kameraden, der ihn bei einem Wortwechsel
beleidigt. Der Mörder entfloh nach Syrien, kehrte aber nach Verlauf von
einigen Monaten wieder, und keiner Seele fiel eS ein, ihn zu behelligen.
Während unserer Anwesenheit wurden im Hotel d'Orient binnen vier Wochen
von italienischen und maltesischen Kellnern zweimal sehr bedeutende Dieb-
stähle an Fremden verübt, und weder das eine noch das andere Mal konnte
man der Schuldigen habhaft werden. Bald nachher wurde einem Engländer
in demselben Gasthof eine Summe Geldes entwendet, er hatte gegründeten
Verdacht auf einen von der Dienerschaft des Hauses und äußerte sich diesem
gegenüber in heftiger Weise. Da zog dieser einen Dolch und versetzte jenem
mehre Siiche, an denen er zwei Tage darauf starb. Der Schuldige wurde
dies Mal zwar ins Gefängniß gebracht, an eine Strafe für seine That aber
war nach der Meinung aller, die wir daiüber sprachen, kaum zu denken.

Daß Eingeborne unter derartigen Umständen Vor dem Frevelmuth solcher
sauberer ConsulatSschützlinge noch weniger sicher sind, versieht sich von selbst.
In Oberägypten würde deu Schuldigen die hier noch geltende Blutrache er¬
eilen. In Kairo deckt ihn unter allen Umständen und namentlich wenn er
nicht ohne Mittel ist, räh Ansehen des Consuls, Bei kleineren Beeinträchti¬
gungen aber wagt der Araber in der Regel nicht einmal zu klagen. Einmal
halte in unserm Gasthofe ein Fremder einen EselSbuben nach dem Bahnhof
geschickt, um einen dort zurückgelassenen Koffer zu holen. Der Bursche kam
nicht wieder, ,und der Eigenthümer des Koffers äußerte gegen den Oberkellner


Untcrthanenschaft Rücksicht zu nehmen, ausdehnen, so haben jene Verträge,
die den Franken vor der Willkür orientalischer Richter sichern sollten, dahin
geführt, daß ihr Wirkungskreis als Zufluchtsstätte für Gesindel aller Art gilt.

Einige Beispiele werden genügen, zu zeigen, wie man im Schatten dieser
Verträge sündigt, und wie gering die Macht (oder der Wille?) mancher Con-
sulate ist, Uebelthäter zur Rechenschaft zu ziehen. Ein Jude, zweifelsohne
ein directer Abkömmling der Juden, die mit Jeremias nach den Fleischtöpfen
Aegyptens zurückkehrten (wenigstens war schon sein Urgroßvater Geldwechsler
im Hart El Jahud zu Kairo gewesen) erstach einen Mann auf offener Straße
und wurde, auf Vevaulassung eines Engländers, von den Kawasse» verhaftet.
Seine Schuld war erwiesen, seine Bestrafung würde nicht lange haben auf
sich warten lassen. wenn alles seinen rechten Gang gehabt hätte. Es sollte
aber seinen rechten Gang nicht haben. Der Mörder schickte alsbald nach dem
französischen Consul, halte eine lange Unterredung mit ihm, und den nächsten
Tag zeigte der Consul seinen Namen in der Liste seiner Proteges, und ver¬
langte, daß er ihm ausgeliefert würde. Die Regierung entsprach der Forde¬
rung, und von der gebührenden Bestrafung war nicht mehr die Rede. Kurze
Zeit nachher erschoß ein Arbeiter, der, wenn wir nicht irren, ebenfalls nnter
französischem Schutz stand, einen Kameraden, der ihn bei einem Wortwechsel
beleidigt. Der Mörder entfloh nach Syrien, kehrte aber nach Verlauf von
einigen Monaten wieder, und keiner Seele fiel eS ein, ihn zu behelligen.
Während unserer Anwesenheit wurden im Hotel d'Orient binnen vier Wochen
von italienischen und maltesischen Kellnern zweimal sehr bedeutende Dieb-
stähle an Fremden verübt, und weder das eine noch das andere Mal konnte
man der Schuldigen habhaft werden. Bald nachher wurde einem Engländer
in demselben Gasthof eine Summe Geldes entwendet, er hatte gegründeten
Verdacht auf einen von der Dienerschaft des Hauses und äußerte sich diesem
gegenüber in heftiger Weise. Da zog dieser einen Dolch und versetzte jenem
mehre Siiche, an denen er zwei Tage darauf starb. Der Schuldige wurde
dies Mal zwar ins Gefängniß gebracht, an eine Strafe für seine That aber
war nach der Meinung aller, die wir daiüber sprachen, kaum zu denken.

Daß Eingeborne unter derartigen Umständen Vor dem Frevelmuth solcher
sauberer ConsulatSschützlinge noch weniger sicher sind, versieht sich von selbst.
In Oberägypten würde deu Schuldigen die hier noch geltende Blutrache er¬
eilen. In Kairo deckt ihn unter allen Umständen und namentlich wenn er
nicht ohne Mittel ist, räh Ansehen des Consuls, Bei kleineren Beeinträchti¬
gungen aber wagt der Araber in der Regel nicht einmal zu klagen. Einmal
halte in unserm Gasthofe ein Fremder einen EselSbuben nach dem Bahnhof
geschickt, um einen dort zurückgelassenen Koffer zu holen. Der Bursche kam
nicht wieder, ,und der Eigenthümer des Koffers äußerte gegen den Oberkellner


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[0508] Untcrthanenschaft Rücksicht zu nehmen, ausdehnen, so haben jene Verträge, die den Franken vor der Willkür orientalischer Richter sichern sollten, dahin geführt, daß ihr Wirkungskreis als Zufluchtsstätte für Gesindel aller Art gilt. Einige Beispiele werden genügen, zu zeigen, wie man im Schatten dieser Verträge sündigt, und wie gering die Macht (oder der Wille?) mancher Con- sulate ist, Uebelthäter zur Rechenschaft zu ziehen. Ein Jude, zweifelsohne ein directer Abkömmling der Juden, die mit Jeremias nach den Fleischtöpfen Aegyptens zurückkehrten (wenigstens war schon sein Urgroßvater Geldwechsler im Hart El Jahud zu Kairo gewesen) erstach einen Mann auf offener Straße und wurde, auf Vevaulassung eines Engländers, von den Kawasse» verhaftet. Seine Schuld war erwiesen, seine Bestrafung würde nicht lange haben auf sich warten lassen. wenn alles seinen rechten Gang gehabt hätte. Es sollte aber seinen rechten Gang nicht haben. Der Mörder schickte alsbald nach dem französischen Consul, halte eine lange Unterredung mit ihm, und den nächsten Tag zeigte der Consul seinen Namen in der Liste seiner Proteges, und ver¬ langte, daß er ihm ausgeliefert würde. Die Regierung entsprach der Forde¬ rung, und von der gebührenden Bestrafung war nicht mehr die Rede. Kurze Zeit nachher erschoß ein Arbeiter, der, wenn wir nicht irren, ebenfalls nnter französischem Schutz stand, einen Kameraden, der ihn bei einem Wortwechsel beleidigt. Der Mörder entfloh nach Syrien, kehrte aber nach Verlauf von einigen Monaten wieder, und keiner Seele fiel eS ein, ihn zu behelligen. Während unserer Anwesenheit wurden im Hotel d'Orient binnen vier Wochen von italienischen und maltesischen Kellnern zweimal sehr bedeutende Dieb- stähle an Fremden verübt, und weder das eine noch das andere Mal konnte man der Schuldigen habhaft werden. Bald nachher wurde einem Engländer in demselben Gasthof eine Summe Geldes entwendet, er hatte gegründeten Verdacht auf einen von der Dienerschaft des Hauses und äußerte sich diesem gegenüber in heftiger Weise. Da zog dieser einen Dolch und versetzte jenem mehre Siiche, an denen er zwei Tage darauf starb. Der Schuldige wurde dies Mal zwar ins Gefängniß gebracht, an eine Strafe für seine That aber war nach der Meinung aller, die wir daiüber sprachen, kaum zu denken. Daß Eingeborne unter derartigen Umständen Vor dem Frevelmuth solcher sauberer ConsulatSschützlinge noch weniger sicher sind, versieht sich von selbst. In Oberägypten würde deu Schuldigen die hier noch geltende Blutrache er¬ eilen. In Kairo deckt ihn unter allen Umständen und namentlich wenn er nicht ohne Mittel ist, räh Ansehen des Consuls, Bei kleineren Beeinträchti¬ gungen aber wagt der Araber in der Regel nicht einmal zu klagen. Einmal halte in unserm Gasthofe ein Fremder einen EselSbuben nach dem Bahnhof geschickt, um einen dort zurückgelassenen Koffer zu holen. Der Bursche kam nicht wieder, ,und der Eigenthümer des Koffers äußerte gegen den Oberkellner

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104200/508>, abgerufen am 01.07.2024.