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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band.

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Jedes Mal, wenn wir Lust verriethen, bei Mondschein Ruinen in früher ge¬
fährlichen Gegenden zu besuchen, floß er und die ganze Schiffsmannschaft
über von Schreckgeschichten, nach denen es an diesen Stellen noch jetzt von
Räubern wimmelte. Wollte der Reis einen Ort nicht gern verlassen oder
umgekehrt, rascher fort als uns beliebte, so gab es tausend Ausflüchte, wobei
die Mannschaft eifrig secundirte. Ebenso steht eS mit andern Classen der untern
Stände, und daß auch die höheren sich auf das Lügen und Auöflüchtemachen
verstehen, beweisen zahlreiche Beispiele. Nur die Türken sind hiervon gewöhn¬
lich Ausnahmen.

Der Vorwurf der Trägheit wird durch das Klima entschuldigt und paßt
im Grunde nur auf einen Theil des Volkes. Ein kairenischer Handwerker
bedarf allerdings zu einer Arbeit, die ein deutscher in einem, ein amerikanischer
in einem halben Tage vollendet, zwei, auch drei Tage, da die Pfeife, die
Kaffeetasse und der Rosenkranz die Hälfte seiner Zeit in Anspruch nehmen.
Dagegen sind die Fellahin an ihren Schadufs (Wasscrschöpfmaschincn) und
die Matrosen des Nil auf der Ruderbank unglaublicher Anstrengungen fähig
und wir meinen nicht, daß europäische Arbeiter es ihnen hierin gleich zu thun
fähig sind, ein Umstand, der um so erstaunlicher ist, als diese Araber sich fast
nur von Linsen, Bohnen, grobem Brot und Datteln nähren.

Bei aller Unterwürfigkeit, welche der Aegypter an den Tag legt, ist er
doch überaus halsstarrig, zumal wenn es sich um die Zahlung von Steuern
handelt. Eine Menge lustiger Geschichten sind in dieser Hinsicht im Umlauf,
die alle darauf hinausgehen, daß ein Aegypter in der Regel nur durch die
Tortur der Bastonnave gezwungen werden kann, dem Kaiser zu geben, was
deS Kaisers ist, und daß es besonders auf dem Lande ein Ruhm ist, trotz
Stock und Kurbatsche den Beutel zuzuhalten. Ein Fellah hatte eine Summe
von fünf Thaler preußisch zu entrichten, ließ sich aber lieber prügeln, bis die
Haut zersprang, als daß er zahlte. Endlich wollte der Einnehmer, da er fort¬
während betheuerte, nichts zu haben, ihn laufen lassen, hielt es aber für Schul¬
digkeit, ihm eine tüchtige Ohrfeige mit auf den Weg zu geben, und siehe da,
der Schlag hatte die Wirkung, daß dem Burschen ein Goldstück aus dem Munde
fiel, welches sechsmal so viel werth war, als die geforderte Summe. Aber
auch in andern Beziehungen ist der Aegypter zäh, unlenksam und hartköpfig,
und namentlich wird er eine Arbeit nicht leicht so machen, wie sie bestellt ist
oder einen Gegenstand so einkaufen, wie man es wünscht. In letzterer Bezie¬
hung war unser Hassan, sonst ebenso unterwürfig, als ideenarm, stets reich an
Verlheidigungsgründen und Einwürfen. ES wäre doch so viel schöner -- es
wäre so Gebrauch im Lande -- es ginge durchaus nicht anders, hieß es, und
in den meisten Fällen war nachzugeben, wenn man nicht Gewalt anwenden
wollte. Hassan aber war nur ein Beispiel aller arabischen Dragomane. Die


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Jedes Mal, wenn wir Lust verriethen, bei Mondschein Ruinen in früher ge¬
fährlichen Gegenden zu besuchen, floß er und die ganze Schiffsmannschaft
über von Schreckgeschichten, nach denen es an diesen Stellen noch jetzt von
Räubern wimmelte. Wollte der Reis einen Ort nicht gern verlassen oder
umgekehrt, rascher fort als uns beliebte, so gab es tausend Ausflüchte, wobei
die Mannschaft eifrig secundirte. Ebenso steht eS mit andern Classen der untern
Stände, und daß auch die höheren sich auf das Lügen und Auöflüchtemachen
verstehen, beweisen zahlreiche Beispiele. Nur die Türken sind hiervon gewöhn¬
lich Ausnahmen.

Der Vorwurf der Trägheit wird durch das Klima entschuldigt und paßt
im Grunde nur auf einen Theil des Volkes. Ein kairenischer Handwerker
bedarf allerdings zu einer Arbeit, die ein deutscher in einem, ein amerikanischer
in einem halben Tage vollendet, zwei, auch drei Tage, da die Pfeife, die
Kaffeetasse und der Rosenkranz die Hälfte seiner Zeit in Anspruch nehmen.
Dagegen sind die Fellahin an ihren Schadufs (Wasscrschöpfmaschincn) und
die Matrosen des Nil auf der Ruderbank unglaublicher Anstrengungen fähig
und wir meinen nicht, daß europäische Arbeiter es ihnen hierin gleich zu thun
fähig sind, ein Umstand, der um so erstaunlicher ist, als diese Araber sich fast
nur von Linsen, Bohnen, grobem Brot und Datteln nähren.

Bei aller Unterwürfigkeit, welche der Aegypter an den Tag legt, ist er
doch überaus halsstarrig, zumal wenn es sich um die Zahlung von Steuern
handelt. Eine Menge lustiger Geschichten sind in dieser Hinsicht im Umlauf,
die alle darauf hinausgehen, daß ein Aegypter in der Regel nur durch die
Tortur der Bastonnave gezwungen werden kann, dem Kaiser zu geben, was
deS Kaisers ist, und daß es besonders auf dem Lande ein Ruhm ist, trotz
Stock und Kurbatsche den Beutel zuzuhalten. Ein Fellah hatte eine Summe
von fünf Thaler preußisch zu entrichten, ließ sich aber lieber prügeln, bis die
Haut zersprang, als daß er zahlte. Endlich wollte der Einnehmer, da er fort¬
während betheuerte, nichts zu haben, ihn laufen lassen, hielt es aber für Schul¬
digkeit, ihm eine tüchtige Ohrfeige mit auf den Weg zu geben, und siehe da,
der Schlag hatte die Wirkung, daß dem Burschen ein Goldstück aus dem Munde
fiel, welches sechsmal so viel werth war, als die geforderte Summe. Aber
auch in andern Beziehungen ist der Aegypter zäh, unlenksam und hartköpfig,
und namentlich wird er eine Arbeit nicht leicht so machen, wie sie bestellt ist
oder einen Gegenstand so einkaufen, wie man es wünscht. In letzterer Bezie¬
hung war unser Hassan, sonst ebenso unterwürfig, als ideenarm, stets reich an
Verlheidigungsgründen und Einwürfen. ES wäre doch so viel schöner — es
wäre so Gebrauch im Lande — es ginge durchaus nicht anders, hieß es, und
in den meisten Fällen war nachzugeben, wenn man nicht Gewalt anwenden
wollte. Hassan aber war nur ein Beispiel aller arabischen Dragomane. Die


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[0467] Jedes Mal, wenn wir Lust verriethen, bei Mondschein Ruinen in früher ge¬ fährlichen Gegenden zu besuchen, floß er und die ganze Schiffsmannschaft über von Schreckgeschichten, nach denen es an diesen Stellen noch jetzt von Räubern wimmelte. Wollte der Reis einen Ort nicht gern verlassen oder umgekehrt, rascher fort als uns beliebte, so gab es tausend Ausflüchte, wobei die Mannschaft eifrig secundirte. Ebenso steht eS mit andern Classen der untern Stände, und daß auch die höheren sich auf das Lügen und Auöflüchtemachen verstehen, beweisen zahlreiche Beispiele. Nur die Türken sind hiervon gewöhn¬ lich Ausnahmen. Der Vorwurf der Trägheit wird durch das Klima entschuldigt und paßt im Grunde nur auf einen Theil des Volkes. Ein kairenischer Handwerker bedarf allerdings zu einer Arbeit, die ein deutscher in einem, ein amerikanischer in einem halben Tage vollendet, zwei, auch drei Tage, da die Pfeife, die Kaffeetasse und der Rosenkranz die Hälfte seiner Zeit in Anspruch nehmen. Dagegen sind die Fellahin an ihren Schadufs (Wasscrschöpfmaschincn) und die Matrosen des Nil auf der Ruderbank unglaublicher Anstrengungen fähig und wir meinen nicht, daß europäische Arbeiter es ihnen hierin gleich zu thun fähig sind, ein Umstand, der um so erstaunlicher ist, als diese Araber sich fast nur von Linsen, Bohnen, grobem Brot und Datteln nähren. Bei aller Unterwürfigkeit, welche der Aegypter an den Tag legt, ist er doch überaus halsstarrig, zumal wenn es sich um die Zahlung von Steuern handelt. Eine Menge lustiger Geschichten sind in dieser Hinsicht im Umlauf, die alle darauf hinausgehen, daß ein Aegypter in der Regel nur durch die Tortur der Bastonnave gezwungen werden kann, dem Kaiser zu geben, was deS Kaisers ist, und daß es besonders auf dem Lande ein Ruhm ist, trotz Stock und Kurbatsche den Beutel zuzuhalten. Ein Fellah hatte eine Summe von fünf Thaler preußisch zu entrichten, ließ sich aber lieber prügeln, bis die Haut zersprang, als daß er zahlte. Endlich wollte der Einnehmer, da er fort¬ während betheuerte, nichts zu haben, ihn laufen lassen, hielt es aber für Schul¬ digkeit, ihm eine tüchtige Ohrfeige mit auf den Weg zu geben, und siehe da, der Schlag hatte die Wirkung, daß dem Burschen ein Goldstück aus dem Munde fiel, welches sechsmal so viel werth war, als die geforderte Summe. Aber auch in andern Beziehungen ist der Aegypter zäh, unlenksam und hartköpfig, und namentlich wird er eine Arbeit nicht leicht so machen, wie sie bestellt ist oder einen Gegenstand so einkaufen, wie man es wünscht. In letzterer Bezie¬ hung war unser Hassan, sonst ebenso unterwürfig, als ideenarm, stets reich an Verlheidigungsgründen und Einwürfen. ES wäre doch so viel schöner — es wäre so Gebrauch im Lande — es ginge durchaus nicht anders, hieß es, und in den meisten Fällen war nachzugeben, wenn man nicht Gewalt anwenden wollte. Hassan aber war nur ein Beispiel aller arabischen Dragomane. Die 58*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104200/467>, abgerufen am 12.12.2024.