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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band.

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Engländer es sich bisweilen zum Vergnügen machen, mit Schillingen um sich
zu werfen, unter die Landplagen gehört. Er empfängt den Reisenden am
Hafendamm von Alerandrien, schallt ihm in Kairo aus zahllosen Eselsjungcu-
kehlen entgegen, quält ihn in den Moscheen, in den Bazars, auf jedem Spa¬
ziergange, wird ihm beim Hinaufsteigen auf die Pyramiden reichlich ein Du¬
tzend Mal zugerufen, trällert ihm wie ein Pelotonfeuer an jedem Landungs¬
platz stromaufwärts entgegen und verdirbt ihm ganz oben in Nubien noch die
Stimmung, die er von dem paradiesischen Philä zurückbringt. Nun hatte ein
englischer oder amerikanischer Doctor einen Araber von einer langwierigen und
gefährlichen Krankheit geheilt. Als der Mann gesund war, sprach er bei
seinem Arzt vor, wie dieser glaubte, um sich für die Aufopferung, mit der er
einen armen Teufel aus reiner Gutherzigkeit vier Wochen lang täglich mehr¬
mals besucht, zu bedanken. "Nun, ich wäre wieder gesund," sagte der Mann.
-- "Hin, ja -- freue mich, das zu sehen," erwiederte der Doctor. -- "Ich
bin gesund," wiederholte jener. -- "Ganz recht, ich sehe, daß Du gesund bist;
gehe hin und danke Gott." -- "Ja, aber -- gibts denn weiter nichts? Du
siehst doch, Chowadsche, ich bin ganz gesund." -- "Vollkommen gesund und
es war ein ziemlich schlimmer Fall. Geh nun an deine Arbeit und halte Dich
gut." -- "Aber gibts denn wirklich nichts weiter?" --

"Weiter, weiter -- was weiter?" --

"Bakschisch!" --

"Wofür?" --

,,Für die Erfahrung, die Du gemacht hast, indem Du mich curirtest."

,,Curirt ihn umsonst, den Schlingel, bezahlt ihm noch obendrein seine
Arzenei, und die Bestie kommt zu ihm und will Bakschisch haben, und das
mit der unbefangensten Miene von der Welt," sagte der Erzähler. ,,Und der
Doctor -- gab ihm?" fragten wir. -- "Natürlich! Wer widerstünde solcher
Naivetät?"

Ein anderer Vorwurf, der den Kairenern häufig gemacht wird, ist die
Neigung zu Übervortheilen. Er wird zu oft wiederholt, als daß er nicht be¬
gründet sein sollte. Indeß könnten die Ausnahmen leicht so zahlreich sein,
als die Fälle, welche die Regel bilden sollen. Uebrigens haben die Araber
der großen Mehrzahl der dort wohnenden Europäer, wo sie sie betrogen, nur
Gleiches mit Gleichem vergolten. Sodann aber, wenn Fremde sich über zu
hohe Preise beklagten, möchten wir die europäische Stadt sehen, wo Arabern,
welche den Markt nicht kennten, nicht dasselbe begegnen würde. Endlich
gilt ein Europäer, der zum Vergnügen an den Nil kommt, dem gesnMmten
dortigen Volke unter allen Umständen als ein Crösus, und wenn dazu noch
der Glaube tritt, die Reisenden, welche in den Ruinen herumsteigen, suchten
dort nach geheimnißvollen Schätzen, Zauberrltitteln und Talismanen, so ist


Grenzboten. III. 18S7. S8

Engländer es sich bisweilen zum Vergnügen machen, mit Schillingen um sich
zu werfen, unter die Landplagen gehört. Er empfängt den Reisenden am
Hafendamm von Alerandrien, schallt ihm in Kairo aus zahllosen Eselsjungcu-
kehlen entgegen, quält ihn in den Moscheen, in den Bazars, auf jedem Spa¬
ziergange, wird ihm beim Hinaufsteigen auf die Pyramiden reichlich ein Du¬
tzend Mal zugerufen, trällert ihm wie ein Pelotonfeuer an jedem Landungs¬
platz stromaufwärts entgegen und verdirbt ihm ganz oben in Nubien noch die
Stimmung, die er von dem paradiesischen Philä zurückbringt. Nun hatte ein
englischer oder amerikanischer Doctor einen Araber von einer langwierigen und
gefährlichen Krankheit geheilt. Als der Mann gesund war, sprach er bei
seinem Arzt vor, wie dieser glaubte, um sich für die Aufopferung, mit der er
einen armen Teufel aus reiner Gutherzigkeit vier Wochen lang täglich mehr¬
mals besucht, zu bedanken. „Nun, ich wäre wieder gesund," sagte der Mann.
— „Hin, ja — freue mich, das zu sehen," erwiederte der Doctor. — „Ich
bin gesund," wiederholte jener. — „Ganz recht, ich sehe, daß Du gesund bist;
gehe hin und danke Gott." — „Ja, aber — gibts denn weiter nichts? Du
siehst doch, Chowadsche, ich bin ganz gesund." — „Vollkommen gesund und
es war ein ziemlich schlimmer Fall. Geh nun an deine Arbeit und halte Dich
gut." — „Aber gibts denn wirklich nichts weiter?" —

„Weiter, weiter — was weiter?" —

„Bakschisch!" —

„Wofür?" —

,,Für die Erfahrung, die Du gemacht hast, indem Du mich curirtest."

,,Curirt ihn umsonst, den Schlingel, bezahlt ihm noch obendrein seine
Arzenei, und die Bestie kommt zu ihm und will Bakschisch haben, und das
mit der unbefangensten Miene von der Welt," sagte der Erzähler. ,,Und der
Doctor — gab ihm?" fragten wir. — „Natürlich! Wer widerstünde solcher
Naivetät?"

Ein anderer Vorwurf, der den Kairenern häufig gemacht wird, ist die
Neigung zu Übervortheilen. Er wird zu oft wiederholt, als daß er nicht be¬
gründet sein sollte. Indeß könnten die Ausnahmen leicht so zahlreich sein,
als die Fälle, welche die Regel bilden sollen. Uebrigens haben die Araber
der großen Mehrzahl der dort wohnenden Europäer, wo sie sie betrogen, nur
Gleiches mit Gleichem vergolten. Sodann aber, wenn Fremde sich über zu
hohe Preise beklagten, möchten wir die europäische Stadt sehen, wo Arabern,
welche den Markt nicht kennten, nicht dasselbe begegnen würde. Endlich
gilt ein Europäer, der zum Vergnügen an den Nil kommt, dem gesnMmten
dortigen Volke unter allen Umständen als ein Crösus, und wenn dazu noch
der Glaube tritt, die Reisenden, welche in den Ruinen herumsteigen, suchten
dort nach geheimnißvollen Schätzen, Zauberrltitteln und Talismanen, so ist


Grenzboten. III. 18S7. S8
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104200/465>, abgerufen am 24.08.2024.