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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band.

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liberale Seite in den Vordergrund, und wenn in der glänzenden Reihenfolge
bunter Systeme, die Cousin dem überraschten Volk vorführte, ein leitender Ton
blieb, so war es der deutsche Pantheismus. Als aber nach der Julirevolution
die Philosophen in ten Staatsdienst traten, und der Eklekticismus zur officiellen
Philosophie wurde, änderte sich die Sache. Der gefährlichste Feind war nicht
mehr die Legitimität, sondern der Socialismus, der sich zum Theil von den
Ideen der deutschen Pantheisten zu nähren schien. Mur kann nicht sagen,
daß die neue Philosophie ihren Inhalt änderte, aber sie kehrte eine andere
Angriffsseite heraus; sie suchte das Christenthum besser zu verstehen, sie be¬
kämpfte den Pantheismus, sie entsagte der deutschen Allianz, ja die Eklekuker,
Cousin an der Spitze, nahmen zuweilen gegen ihre alten Verbündeten, die
Kantianer und Hegelianer, einen sehr herausfordernden und absprechender Ton
an. Je conservativer indeß die Schule wurde, desto geringer wurde ihre Wir¬
kung, denn sie verzichtete auf das Werk, das sie zuerst in Angriff genommen,
auf die Herstellung eines neuen Glaubens, und kehrte zum alten zurück, für
den es bequemere Handhaben gab. Die kulturhistorische Bedeutung der Schule
liegt in der Zeit, wo sie liberal war, wo Gent) es als ein Werk des Teufels
bezeichnen konnte, daß Cousins Schriften in -100,000 Exemplaren verkauft
wurden. Die Naturwissenschaften, die früher durch die philosoplnsche Analyse
geleitet wurden, haben sich dem Eklekticismus ganz entzogen; sie nehmen von
ihm weder die Methode, noch den Inhalt. Was aber die sittlich politische
Gesinnung der Nation betrifft, so hat diese Philosophie wesentlich dazu bei¬
getragen, die Sache deö fortschreitenden Bürgerthums in einem bestimmten
Symbol, einer bestimmten Fahne zu vereinigen; und diese Fahne ist doch die¬
jenige, von welcher Frankreichs Zukunft hauptsächlich abhängt.

Auch Jouffroy kounte sich den allgemeinen Einwirkungen der Zeit nicht
entziehen. Mit der Julirevolution hörte die Aufgabe des Globe auf, die Mit¬
glieder zerstreuten sich, die einen traten in den Staatsdienst, die al dern kehrten
zu ihren Lehrstühlen zurück. Jouffroy erhielt den Lehrstuhl für die Geschickte
der modernen Philosophie, auch eine Stelle am "..'olle^ez an-1'i-rnLS 1832---Id37
und in der Akademie der Wissenschaften 1833. Mehr und mehr engte er seine
Forschung auf die Psychologie und die Beobachtung der Thatsachen ein. Er
wurde immer vorsichtiger in seineu Schlüssen, immer abgeneigter gegen einen
Uebergriff auf verwandle Gebiete; immer mißtrauischer gegen die historisch ent¬
wickelte Philosophie. "Dennoch muß man die Geschichte der Philosophie studiren,
weil sie zeigt, wie die Menschheit nach dem Wahren strebt. Die Menschen
denken, auch wo sie wären, ihre Irem sind geistige Thatsachen, und in diesem
Sinn niemals falsch. Es liegt Wahres im Falschen, Vernunft im Irrthum.
Nur ist die volle Wahrheit nirgend: man nähert sich ihr,, indem man alles
combinirt, was der menschliche Geist in den verschiedenen Phasen seiner Ent-


liberale Seite in den Vordergrund, und wenn in der glänzenden Reihenfolge
bunter Systeme, die Cousin dem überraschten Volk vorführte, ein leitender Ton
blieb, so war es der deutsche Pantheismus. Als aber nach der Julirevolution
die Philosophen in ten Staatsdienst traten, und der Eklekticismus zur officiellen
Philosophie wurde, änderte sich die Sache. Der gefährlichste Feind war nicht
mehr die Legitimität, sondern der Socialismus, der sich zum Theil von den
Ideen der deutschen Pantheisten zu nähren schien. Mur kann nicht sagen,
daß die neue Philosophie ihren Inhalt änderte, aber sie kehrte eine andere
Angriffsseite heraus; sie suchte das Christenthum besser zu verstehen, sie be¬
kämpfte den Pantheismus, sie entsagte der deutschen Allianz, ja die Eklekuker,
Cousin an der Spitze, nahmen zuweilen gegen ihre alten Verbündeten, die
Kantianer und Hegelianer, einen sehr herausfordernden und absprechender Ton
an. Je conservativer indeß die Schule wurde, desto geringer wurde ihre Wir¬
kung, denn sie verzichtete auf das Werk, das sie zuerst in Angriff genommen,
auf die Herstellung eines neuen Glaubens, und kehrte zum alten zurück, für
den es bequemere Handhaben gab. Die kulturhistorische Bedeutung der Schule
liegt in der Zeit, wo sie liberal war, wo Gent) es als ein Werk des Teufels
bezeichnen konnte, daß Cousins Schriften in -100,000 Exemplaren verkauft
wurden. Die Naturwissenschaften, die früher durch die philosoplnsche Analyse
geleitet wurden, haben sich dem Eklekticismus ganz entzogen; sie nehmen von
ihm weder die Methode, noch den Inhalt. Was aber die sittlich politische
Gesinnung der Nation betrifft, so hat diese Philosophie wesentlich dazu bei¬
getragen, die Sache deö fortschreitenden Bürgerthums in einem bestimmten
Symbol, einer bestimmten Fahne zu vereinigen; und diese Fahne ist doch die¬
jenige, von welcher Frankreichs Zukunft hauptsächlich abhängt.

Auch Jouffroy kounte sich den allgemeinen Einwirkungen der Zeit nicht
entziehen. Mit der Julirevolution hörte die Aufgabe des Globe auf, die Mit¬
glieder zerstreuten sich, die einen traten in den Staatsdienst, die al dern kehrten
zu ihren Lehrstühlen zurück. Jouffroy erhielt den Lehrstuhl für die Geschickte
der modernen Philosophie, auch eine Stelle am «..'olle^ez an-1'i-rnLS 1832—-Id37
und in der Akademie der Wissenschaften 1833. Mehr und mehr engte er seine
Forschung auf die Psychologie und die Beobachtung der Thatsachen ein. Er
wurde immer vorsichtiger in seineu Schlüssen, immer abgeneigter gegen einen
Uebergriff auf verwandle Gebiete; immer mißtrauischer gegen die historisch ent¬
wickelte Philosophie. „Dennoch muß man die Geschichte der Philosophie studiren,
weil sie zeigt, wie die Menschheit nach dem Wahren strebt. Die Menschen
denken, auch wo sie wären, ihre Irem sind geistige Thatsachen, und in diesem
Sinn niemals falsch. Es liegt Wahres im Falschen, Vernunft im Irrthum.
Nur ist die volle Wahrheit nirgend: man nähert sich ihr,, indem man alles
combinirt, was der menschliche Geist in den verschiedenen Phasen seiner Ent-


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[0447] liberale Seite in den Vordergrund, und wenn in der glänzenden Reihenfolge bunter Systeme, die Cousin dem überraschten Volk vorführte, ein leitender Ton blieb, so war es der deutsche Pantheismus. Als aber nach der Julirevolution die Philosophen in ten Staatsdienst traten, und der Eklekticismus zur officiellen Philosophie wurde, änderte sich die Sache. Der gefährlichste Feind war nicht mehr die Legitimität, sondern der Socialismus, der sich zum Theil von den Ideen der deutschen Pantheisten zu nähren schien. Mur kann nicht sagen, daß die neue Philosophie ihren Inhalt änderte, aber sie kehrte eine andere Angriffsseite heraus; sie suchte das Christenthum besser zu verstehen, sie be¬ kämpfte den Pantheismus, sie entsagte der deutschen Allianz, ja die Eklekuker, Cousin an der Spitze, nahmen zuweilen gegen ihre alten Verbündeten, die Kantianer und Hegelianer, einen sehr herausfordernden und absprechender Ton an. Je conservativer indeß die Schule wurde, desto geringer wurde ihre Wir¬ kung, denn sie verzichtete auf das Werk, das sie zuerst in Angriff genommen, auf die Herstellung eines neuen Glaubens, und kehrte zum alten zurück, für den es bequemere Handhaben gab. Die kulturhistorische Bedeutung der Schule liegt in der Zeit, wo sie liberal war, wo Gent) es als ein Werk des Teufels bezeichnen konnte, daß Cousins Schriften in -100,000 Exemplaren verkauft wurden. Die Naturwissenschaften, die früher durch die philosoplnsche Analyse geleitet wurden, haben sich dem Eklekticismus ganz entzogen; sie nehmen von ihm weder die Methode, noch den Inhalt. Was aber die sittlich politische Gesinnung der Nation betrifft, so hat diese Philosophie wesentlich dazu bei¬ getragen, die Sache deö fortschreitenden Bürgerthums in einem bestimmten Symbol, einer bestimmten Fahne zu vereinigen; und diese Fahne ist doch die¬ jenige, von welcher Frankreichs Zukunft hauptsächlich abhängt. Auch Jouffroy kounte sich den allgemeinen Einwirkungen der Zeit nicht entziehen. Mit der Julirevolution hörte die Aufgabe des Globe auf, die Mit¬ glieder zerstreuten sich, die einen traten in den Staatsdienst, die al dern kehrten zu ihren Lehrstühlen zurück. Jouffroy erhielt den Lehrstuhl für die Geschickte der modernen Philosophie, auch eine Stelle am «..'olle^ez an-1'i-rnLS 1832—-Id37 und in der Akademie der Wissenschaften 1833. Mehr und mehr engte er seine Forschung auf die Psychologie und die Beobachtung der Thatsachen ein. Er wurde immer vorsichtiger in seineu Schlüssen, immer abgeneigter gegen einen Uebergriff auf verwandle Gebiete; immer mißtrauischer gegen die historisch ent¬ wickelte Philosophie. „Dennoch muß man die Geschichte der Philosophie studiren, weil sie zeigt, wie die Menschheit nach dem Wahren strebt. Die Menschen denken, auch wo sie wären, ihre Irem sind geistige Thatsachen, und in diesem Sinn niemals falsch. Es liegt Wahres im Falschen, Vernunft im Irrthum. Nur ist die volle Wahrheit nirgend: man nähert sich ihr,, indem man alles combinirt, was der menschliche Geist in den verschiedenen Phasen seiner Ent-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104200/447>, abgerufen am 12.12.2024.