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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band.

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nichts weniger als eine tadelfreie Verwaltung und Negierung, aber jedenfalls
einen Zustand, der die Keime zum Bessern in sich enthält. Einer vielfach
verbreiteten Ansicht entgegen scheint es sogar, als ob grade die große Masse
der Bevölkerung im Gegensatz zu den bisher bevorrechteten Standen am mei¬
sten unter der britischen Herrschaft gewonnen hat, wäre es auch nur die erste
Bedingung zum Gedeihen, eine seit Jahrhunderten unbekannte Sicherheit ge¬
wesen. Das Geschlecht der "NabvbS", englische Beamte, welche sich mit in¬
dischem Raube rasch reich machen wollten, hat der Natur der Sache nach schon
unmittelbar nach den ersten großen Eroberungen aufgehört, so sehr auch ein
Theil der europäischen Presse noch für unsere Zeit daran glauben möchte, und
wir manches Mal selbst die wundersame Mähr haben lesen müssen, der ganze
Reichthum der englischen Aristokratie sei aus Ostindien geholt, als wenn un¬
fruchtbar erworbene und vergeudete Schätze nicht längst verschwunden wären
und der englische Handel und Gewerbfleiß nicht das Meiste gethan hätte.
Die bloße Eroberung von Schätzen ist zu allen Zeiten der Keim zum wirrh-
schafilichcn Verkommen gewesen für die Römer sowol in alter, wie für die
Spanier in neuerer Zeit,

Es gehört eigentlich sehr wenig Weisheit dazu, um zu erkennen, daß die
jetzigen Zustände der ostindischen Bevölkerungen einer nationalen Unabhängig¬
keit im Wege stehen. Inmitten der verschiedenen Kasten, Stämme, Reli¬
gionen und Interessen soll erst eine indische Nation geschaffen werden. Eine
Befreiung von c>er englischen Herrschaft würde im besten Falle oligarchische
Zustände sehr bedenklicher Art hervorrufen und schwerlich irgend welche
nennenswerthe Zeit andauern. Das ist denn auch der Grund, welcher der
englischen Herrschaft bisher die Lebensfähigkeit verliehen hat und wie wir
keinen Augenblick gezweifelt haben, ihr auch zum Siege über den Aufstand
Verhelfen wird. Der zweite Grund liegt dann in der entschieden größern gei¬
stigen und militärischen Befähigung der Engländer, uno wie unverkennbar
diese ist, das lehrt der merkwürdige Umstand, daß das englische vor Delhi in
aller Eile zusammengeraffte Heer von kaum 2000 M. inmitten der allgemeinen
Verwirrung und Verwüstung Wochen hindurch so lange Stand vor den zehn¬
fach stärkern Feinden gehalten hat, bis die Verstcukunge" herbeikamen. Schon
dies eine Factum bezeichnet die Hoffnungslosigkeit deö Aufstandes, denn die
Truppen, welche den Engländern gegenüberstanden, waren ja von ihnen selbst
militärisch geschult worden. Es ist in der That aus vielen an die Oeffent-
lichkeit gedrungenen Privatbriefen erstaunlich zu lesen, mit welcher raschen
Spannkraft die Engländer sich von ihrem ersten Schrecken erholt, und sich so¬
fort zu einem Widerstände gegen den Aufstand organistrt haben, wie er nicht
energischer sein konnte. Wo immer nur hundert Engländer, gleichviel ob Civil
oder Militär bei einander waren, haben sie die Sipoys in viel größerer Zahl


nichts weniger als eine tadelfreie Verwaltung und Negierung, aber jedenfalls
einen Zustand, der die Keime zum Bessern in sich enthält. Einer vielfach
verbreiteten Ansicht entgegen scheint es sogar, als ob grade die große Masse
der Bevölkerung im Gegensatz zu den bisher bevorrechteten Standen am mei¬
sten unter der britischen Herrschaft gewonnen hat, wäre es auch nur die erste
Bedingung zum Gedeihen, eine seit Jahrhunderten unbekannte Sicherheit ge¬
wesen. Das Geschlecht der „NabvbS", englische Beamte, welche sich mit in¬
dischem Raube rasch reich machen wollten, hat der Natur der Sache nach schon
unmittelbar nach den ersten großen Eroberungen aufgehört, so sehr auch ein
Theil der europäischen Presse noch für unsere Zeit daran glauben möchte, und
wir manches Mal selbst die wundersame Mähr haben lesen müssen, der ganze
Reichthum der englischen Aristokratie sei aus Ostindien geholt, als wenn un¬
fruchtbar erworbene und vergeudete Schätze nicht längst verschwunden wären
und der englische Handel und Gewerbfleiß nicht das Meiste gethan hätte.
Die bloße Eroberung von Schätzen ist zu allen Zeiten der Keim zum wirrh-
schafilichcn Verkommen gewesen für die Römer sowol in alter, wie für die
Spanier in neuerer Zeit,

Es gehört eigentlich sehr wenig Weisheit dazu, um zu erkennen, daß die
jetzigen Zustände der ostindischen Bevölkerungen einer nationalen Unabhängig¬
keit im Wege stehen. Inmitten der verschiedenen Kasten, Stämme, Reli¬
gionen und Interessen soll erst eine indische Nation geschaffen werden. Eine
Befreiung von c>er englischen Herrschaft würde im besten Falle oligarchische
Zustände sehr bedenklicher Art hervorrufen und schwerlich irgend welche
nennenswerthe Zeit andauern. Das ist denn auch der Grund, welcher der
englischen Herrschaft bisher die Lebensfähigkeit verliehen hat und wie wir
keinen Augenblick gezweifelt haben, ihr auch zum Siege über den Aufstand
Verhelfen wird. Der zweite Grund liegt dann in der entschieden größern gei¬
stigen und militärischen Befähigung der Engländer, uno wie unverkennbar
diese ist, das lehrt der merkwürdige Umstand, daß das englische vor Delhi in
aller Eile zusammengeraffte Heer von kaum 2000 M. inmitten der allgemeinen
Verwirrung und Verwüstung Wochen hindurch so lange Stand vor den zehn¬
fach stärkern Feinden gehalten hat, bis die Verstcukunge» herbeikamen. Schon
dies eine Factum bezeichnet die Hoffnungslosigkeit deö Aufstandes, denn die
Truppen, welche den Engländern gegenüberstanden, waren ja von ihnen selbst
militärisch geschult worden. Es ist in der That aus vielen an die Oeffent-
lichkeit gedrungenen Privatbriefen erstaunlich zu lesen, mit welcher raschen
Spannkraft die Engländer sich von ihrem ersten Schrecken erholt, und sich so¬
fort zu einem Widerstände gegen den Aufstand organistrt haben, wie er nicht
energischer sein konnte. Wo immer nur hundert Engländer, gleichviel ob Civil
oder Militär bei einander waren, haben sie die Sipoys in viel größerer Zahl


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[0398] nichts weniger als eine tadelfreie Verwaltung und Negierung, aber jedenfalls einen Zustand, der die Keime zum Bessern in sich enthält. Einer vielfach verbreiteten Ansicht entgegen scheint es sogar, als ob grade die große Masse der Bevölkerung im Gegensatz zu den bisher bevorrechteten Standen am mei¬ sten unter der britischen Herrschaft gewonnen hat, wäre es auch nur die erste Bedingung zum Gedeihen, eine seit Jahrhunderten unbekannte Sicherheit ge¬ wesen. Das Geschlecht der „NabvbS", englische Beamte, welche sich mit in¬ dischem Raube rasch reich machen wollten, hat der Natur der Sache nach schon unmittelbar nach den ersten großen Eroberungen aufgehört, so sehr auch ein Theil der europäischen Presse noch für unsere Zeit daran glauben möchte, und wir manches Mal selbst die wundersame Mähr haben lesen müssen, der ganze Reichthum der englischen Aristokratie sei aus Ostindien geholt, als wenn un¬ fruchtbar erworbene und vergeudete Schätze nicht längst verschwunden wären und der englische Handel und Gewerbfleiß nicht das Meiste gethan hätte. Die bloße Eroberung von Schätzen ist zu allen Zeiten der Keim zum wirrh- schafilichcn Verkommen gewesen für die Römer sowol in alter, wie für die Spanier in neuerer Zeit, Es gehört eigentlich sehr wenig Weisheit dazu, um zu erkennen, daß die jetzigen Zustände der ostindischen Bevölkerungen einer nationalen Unabhängig¬ keit im Wege stehen. Inmitten der verschiedenen Kasten, Stämme, Reli¬ gionen und Interessen soll erst eine indische Nation geschaffen werden. Eine Befreiung von c>er englischen Herrschaft würde im besten Falle oligarchische Zustände sehr bedenklicher Art hervorrufen und schwerlich irgend welche nennenswerthe Zeit andauern. Das ist denn auch der Grund, welcher der englischen Herrschaft bisher die Lebensfähigkeit verliehen hat und wie wir keinen Augenblick gezweifelt haben, ihr auch zum Siege über den Aufstand Verhelfen wird. Der zweite Grund liegt dann in der entschieden größern gei¬ stigen und militärischen Befähigung der Engländer, uno wie unverkennbar diese ist, das lehrt der merkwürdige Umstand, daß das englische vor Delhi in aller Eile zusammengeraffte Heer von kaum 2000 M. inmitten der allgemeinen Verwirrung und Verwüstung Wochen hindurch so lange Stand vor den zehn¬ fach stärkern Feinden gehalten hat, bis die Verstcukunge» herbeikamen. Schon dies eine Factum bezeichnet die Hoffnungslosigkeit deö Aufstandes, denn die Truppen, welche den Engländern gegenüberstanden, waren ja von ihnen selbst militärisch geschult worden. Es ist in der That aus vielen an die Oeffent- lichkeit gedrungenen Privatbriefen erstaunlich zu lesen, mit welcher raschen Spannkraft die Engländer sich von ihrem ersten Schrecken erholt, und sich so¬ fort zu einem Widerstände gegen den Aufstand organistrt haben, wie er nicht energischer sein konnte. Wo immer nur hundert Engländer, gleichviel ob Civil oder Militär bei einander waren, haben sie die Sipoys in viel größerer Zahl

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104200/398>, abgerufen am 01.07.2024.