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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band.

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eS in der alten in Ostindien gebräuchlichen Form, unter der Gesammtbürgschaft
eines Districts, wieder einzuführe".

Als die Engländer das nordwestliche Bengalen, da wo jetzt der Aufstand
wüthet, erwarben, wurden neue Erperimente vorgenommen. Die Beamten der
Compagnie brachten den Willen mit, die Steuervnhällnisse auf Grundlage der
bisherigen Einrichtungen anzuordnen, leider aber eine noch größere Unkenntinß
derselben. Wie im südlichen Bengalen wollten sie auch hier Grundbesitzer und
Pächter finden, indem sie fast ohne Ausnahme die wirklichen Ackerbauer als
letztere in ihre Steuerregister eintrugen. Diesem Irrthum kamen denn die ein¬
heimischen Unterbeamten zu Hilfe; sie fanden die wirklichen Grundbesitzer
heraus, Strohpuppen, hinter denen sie selbst steckten, und so geschah eS, daß
plötzlich eine Menge kleiner Grundeigenthümer nach Ablauf der angeblichen
Pacht Haus und Hos verloren, während in den Händen einzelner Beamten,
größtentheils Mohammedaner, sich ungeheure Reichthümer sammelten. Ein An¬
rufen der englischen Gerichte half um so weniger, als die Richter meistentheils die
Steuereinnehmer selbst waren und immer wieder auf die Steuerbücher recurrirten.
Erst als die allgemeine Unzufriedenheit sich durch unverkennbare Thatsachen
kund gab, entdeckten die Engländer ihren Fehler, wußten aber lange Zeit den
traurigen Folgen desselben nicht abzuhelfen, bis endlich im Jahre 1817 ein
entschlossener Richter, der nicht zugleich Steuereinnehmer war, bei einem
Rechtsstreit es wagte, sich von den Fictionen der Steuerbücher zu befreien, zu
erkennen, was wirklich Rechtens war und die höhern richterlichen und Ver¬
waltungsbehörden in Kalkutta für seine Ansicht zu gewinnen. Eine theilweise
Restitution des wahren Sachverhältnisses wurde vorgenommen, so daß allmä-
lig ein ziemlich zufriedenstellender Zustand des Landbesitzes heraustrat. Ver¬
vollkommnet wurde diese Gunst der Verhältnisse für das nordwestliche Bengalen
durch die früher schon erwähnten Kanalanlagen zwischen Ganges und Dschumna,
welche ein ausgedehntes System der Bewässerung ermöglichten, so daß seit¬
dem diese Gegend nicht mehr der Gefahr einer Hungersnoth durch Dürre
unterlag.

Man sieht, die englische Civilverwaltung hat mit großen Fehlern be¬
gonnen und sie nur hier und da wieder gut zu machen gewußt. Die meiste"
Irrthümer wurden indeß durch die Zeit selbst geheilt, nachdem der neue Zu¬
stand ein fester geworden war und nachdem allmälig das Getriebe der e"g-
lischen Verwaltung umgewandelt wurde. Die Comptvirdiener und Steuerein¬
nehmer der ersten Zeit machten später wirklichen Beamten Platz, Männern,
die durch jene Thatkraft und Zuverlässigkeit sich auszeichneten, welche der
eigentliche Inhalt der englischen Herrscherbegabung ist. Es ist übrigens el"
Irrthum, wenn neuerdings in der Presse behauptet worden ist, die ausgedehnte
Verwendung von Militärs zu höhern Civilstellen sei neueren Datums. Sie


eS in der alten in Ostindien gebräuchlichen Form, unter der Gesammtbürgschaft
eines Districts, wieder einzuführe».

Als die Engländer das nordwestliche Bengalen, da wo jetzt der Aufstand
wüthet, erwarben, wurden neue Erperimente vorgenommen. Die Beamten der
Compagnie brachten den Willen mit, die Steuervnhällnisse auf Grundlage der
bisherigen Einrichtungen anzuordnen, leider aber eine noch größere Unkenntinß
derselben. Wie im südlichen Bengalen wollten sie auch hier Grundbesitzer und
Pächter finden, indem sie fast ohne Ausnahme die wirklichen Ackerbauer als
letztere in ihre Steuerregister eintrugen. Diesem Irrthum kamen denn die ein¬
heimischen Unterbeamten zu Hilfe; sie fanden die wirklichen Grundbesitzer
heraus, Strohpuppen, hinter denen sie selbst steckten, und so geschah eS, daß
plötzlich eine Menge kleiner Grundeigenthümer nach Ablauf der angeblichen
Pacht Haus und Hos verloren, während in den Händen einzelner Beamten,
größtentheils Mohammedaner, sich ungeheure Reichthümer sammelten. Ein An¬
rufen der englischen Gerichte half um so weniger, als die Richter meistentheils die
Steuereinnehmer selbst waren und immer wieder auf die Steuerbücher recurrirten.
Erst als die allgemeine Unzufriedenheit sich durch unverkennbare Thatsachen
kund gab, entdeckten die Engländer ihren Fehler, wußten aber lange Zeit den
traurigen Folgen desselben nicht abzuhelfen, bis endlich im Jahre 1817 ein
entschlossener Richter, der nicht zugleich Steuereinnehmer war, bei einem
Rechtsstreit es wagte, sich von den Fictionen der Steuerbücher zu befreien, zu
erkennen, was wirklich Rechtens war und die höhern richterlichen und Ver¬
waltungsbehörden in Kalkutta für seine Ansicht zu gewinnen. Eine theilweise
Restitution des wahren Sachverhältnisses wurde vorgenommen, so daß allmä-
lig ein ziemlich zufriedenstellender Zustand des Landbesitzes heraustrat. Ver¬
vollkommnet wurde diese Gunst der Verhältnisse für das nordwestliche Bengalen
durch die früher schon erwähnten Kanalanlagen zwischen Ganges und Dschumna,
welche ein ausgedehntes System der Bewässerung ermöglichten, so daß seit¬
dem diese Gegend nicht mehr der Gefahr einer Hungersnoth durch Dürre
unterlag.

Man sieht, die englische Civilverwaltung hat mit großen Fehlern be¬
gonnen und sie nur hier und da wieder gut zu machen gewußt. Die meiste»
Irrthümer wurden indeß durch die Zeit selbst geheilt, nachdem der neue Zu¬
stand ein fester geworden war und nachdem allmälig das Getriebe der e»g-
lischen Verwaltung umgewandelt wurde. Die Comptvirdiener und Steuerein¬
nehmer der ersten Zeit machten später wirklichen Beamten Platz, Männern,
die durch jene Thatkraft und Zuverlässigkeit sich auszeichneten, welche der
eigentliche Inhalt der englischen Herrscherbegabung ist. Es ist übrigens el»
Irrthum, wenn neuerdings in der Presse behauptet worden ist, die ausgedehnte
Verwendung von Militärs zu höhern Civilstellen sei neueren Datums. Sie


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[0396] eS in der alten in Ostindien gebräuchlichen Form, unter der Gesammtbürgschaft eines Districts, wieder einzuführe». Als die Engländer das nordwestliche Bengalen, da wo jetzt der Aufstand wüthet, erwarben, wurden neue Erperimente vorgenommen. Die Beamten der Compagnie brachten den Willen mit, die Steuervnhällnisse auf Grundlage der bisherigen Einrichtungen anzuordnen, leider aber eine noch größere Unkenntinß derselben. Wie im südlichen Bengalen wollten sie auch hier Grundbesitzer und Pächter finden, indem sie fast ohne Ausnahme die wirklichen Ackerbauer als letztere in ihre Steuerregister eintrugen. Diesem Irrthum kamen denn die ein¬ heimischen Unterbeamten zu Hilfe; sie fanden die wirklichen Grundbesitzer heraus, Strohpuppen, hinter denen sie selbst steckten, und so geschah eS, daß plötzlich eine Menge kleiner Grundeigenthümer nach Ablauf der angeblichen Pacht Haus und Hos verloren, während in den Händen einzelner Beamten, größtentheils Mohammedaner, sich ungeheure Reichthümer sammelten. Ein An¬ rufen der englischen Gerichte half um so weniger, als die Richter meistentheils die Steuereinnehmer selbst waren und immer wieder auf die Steuerbücher recurrirten. Erst als die allgemeine Unzufriedenheit sich durch unverkennbare Thatsachen kund gab, entdeckten die Engländer ihren Fehler, wußten aber lange Zeit den traurigen Folgen desselben nicht abzuhelfen, bis endlich im Jahre 1817 ein entschlossener Richter, der nicht zugleich Steuereinnehmer war, bei einem Rechtsstreit es wagte, sich von den Fictionen der Steuerbücher zu befreien, zu erkennen, was wirklich Rechtens war und die höhern richterlichen und Ver¬ waltungsbehörden in Kalkutta für seine Ansicht zu gewinnen. Eine theilweise Restitution des wahren Sachverhältnisses wurde vorgenommen, so daß allmä- lig ein ziemlich zufriedenstellender Zustand des Landbesitzes heraustrat. Ver¬ vollkommnet wurde diese Gunst der Verhältnisse für das nordwestliche Bengalen durch die früher schon erwähnten Kanalanlagen zwischen Ganges und Dschumna, welche ein ausgedehntes System der Bewässerung ermöglichten, so daß seit¬ dem diese Gegend nicht mehr der Gefahr einer Hungersnoth durch Dürre unterlag. Man sieht, die englische Civilverwaltung hat mit großen Fehlern be¬ gonnen und sie nur hier und da wieder gut zu machen gewußt. Die meiste» Irrthümer wurden indeß durch die Zeit selbst geheilt, nachdem der neue Zu¬ stand ein fester geworden war und nachdem allmälig das Getriebe der e»g- lischen Verwaltung umgewandelt wurde. Die Comptvirdiener und Steuerein¬ nehmer der ersten Zeit machten später wirklichen Beamten Platz, Männern, die durch jene Thatkraft und Zuverlässigkeit sich auszeichneten, welche der eigentliche Inhalt der englischen Herrscherbegabung ist. Es ist übrigens el» Irrthum, wenn neuerdings in der Presse behauptet worden ist, die ausgedehnte Verwendung von Militärs zu höhern Civilstellen sei neueren Datums. Sie

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104200/396>, abgerufen am 12.12.2024.