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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band.

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tation namentlich von Seiten der Mohammedaner, welche die religiösen Be¬
fürchtungen der Braminenkaste bestens auszubeuten suchten und jetzt kam Ab¬
fall auf Abfall in ungeahnter Schnelligkeit. Nun wurden aber auch in England
die heftigsten Befürchtungen rege und eS war einiger Trost, als die nächste
Ueberlandpost zwar das Aufhören der Bengalarmee, aber auch das Treubleiben
der Heere von Madras und Bombay und die überall den Engländern günstige
Stimmung der Eingebornen berichten konnte. Und in diesen beiden Wen¬
dungen lag denn auch der Rettungsanker für die englische Herrschaft.

Wir brauchen nach demjenigen, was wir schon früher bemerkt, nicht weit¬
läufig auf die Verschiedenheit deS Bcngalheeres von den Truppen der beiden
anderen Präsidentschaften zu verweisen. Nur noch zwei Punkte verdienen
hervorgehoben zu werden. Im Bengalheere war nicht blos der Kasten-, son¬
dern auch ganz besonders der Familiengeist gehegt, indem sich aus Bequem¬
lichkeit allmälig der Gebrauch eingeschlichen hatte, daß die einzelnen Compagnien
jede sich aus bestimmten Gegenden und Dörfern recrutirten, ein Umstand,
der die Ansteckungsfähigkeit irgend welcher Meinungen nur vermehrte. In
den beiden andern Heeren dagegen ward nicht blos auf die Kaste nichts ge¬
geben, sondern ihre Bestandtheile,, namentlich die des Madrasheeres, waren
den Hindubraminen durch Sprache und Abstammung vielfach unähnlich, oft
selbst feindlich. Der Deccan, das südliche Dreieck Vorderindiens, hat verhält¬
nißmäßig noch die größte Dichtigkeit der ursprünglichen Bevölkerung Hindo-
stans, so daß eben ganz besondere Mißgriffe oder eine gefährliche Schlappe
der Engländer dazu gehörte, um die eingebornen Truppen aller drei Präsident¬
schaften gegen sie zu vereinen. Daß der Aufstand in die beiden andern
Präsidentschaften hier und da hinübergegriffen, an manchen Orten selbst alte
Hoffnungen rege gemacht, in Bombay und Madras manches Schreckensgerücht
und ungewöhnliche Vorsichtsmaßregeln hervorgerufen haben, versteht sich von
selbst. ES blieb indeß alles ruhig und die Engländer konnten ihre An¬
strengungen auf einen einzigen Punkt concentriren.

Was nun ferner die unier der englischen Civilverwallung lebenden Ein¬
gebornen betrifft, so sind in der Presse darüber vielfache Mißverständnisse laut
geworden. Man hat hartnäckig sich darauf capricirt, veraltete oder AuS-
nahmSzustände als bestehende Regel anzusehen. Daß der Beginn der englischen
Civilverwaltung nichts weniger als el" musterhafter gewesen, kann unbedenklich
zugegeben werden. ES ward in Ostindien im besten Stil der Eroberer ge-
plünoerl und alle Energie von Clive und Hastings konnte dem Unwesen nicht
steuern. Doch hat auch hierbei mehr die bisher Herrschende Classe als die
Masse der Bevölkerung gelitten. Als sich dann später das Bedürfniß nach
einer regelmäßigen Verwaltung geltend machte, entstanden neue Schwierigkeiten,
die theils in der Unkenntniß der Zustände, Iheis in den eigenthümlichen Ver-


tation namentlich von Seiten der Mohammedaner, welche die religiösen Be¬
fürchtungen der Braminenkaste bestens auszubeuten suchten und jetzt kam Ab¬
fall auf Abfall in ungeahnter Schnelligkeit. Nun wurden aber auch in England
die heftigsten Befürchtungen rege und eS war einiger Trost, als die nächste
Ueberlandpost zwar das Aufhören der Bengalarmee, aber auch das Treubleiben
der Heere von Madras und Bombay und die überall den Engländern günstige
Stimmung der Eingebornen berichten konnte. Und in diesen beiden Wen¬
dungen lag denn auch der Rettungsanker für die englische Herrschaft.

Wir brauchen nach demjenigen, was wir schon früher bemerkt, nicht weit¬
läufig auf die Verschiedenheit deS Bcngalheeres von den Truppen der beiden
anderen Präsidentschaften zu verweisen. Nur noch zwei Punkte verdienen
hervorgehoben zu werden. Im Bengalheere war nicht blos der Kasten-, son¬
dern auch ganz besonders der Familiengeist gehegt, indem sich aus Bequem¬
lichkeit allmälig der Gebrauch eingeschlichen hatte, daß die einzelnen Compagnien
jede sich aus bestimmten Gegenden und Dörfern recrutirten, ein Umstand,
der die Ansteckungsfähigkeit irgend welcher Meinungen nur vermehrte. In
den beiden andern Heeren dagegen ward nicht blos auf die Kaste nichts ge¬
geben, sondern ihre Bestandtheile,, namentlich die des Madrasheeres, waren
den Hindubraminen durch Sprache und Abstammung vielfach unähnlich, oft
selbst feindlich. Der Deccan, das südliche Dreieck Vorderindiens, hat verhält¬
nißmäßig noch die größte Dichtigkeit der ursprünglichen Bevölkerung Hindo-
stans, so daß eben ganz besondere Mißgriffe oder eine gefährliche Schlappe
der Engländer dazu gehörte, um die eingebornen Truppen aller drei Präsident¬
schaften gegen sie zu vereinen. Daß der Aufstand in die beiden andern
Präsidentschaften hier und da hinübergegriffen, an manchen Orten selbst alte
Hoffnungen rege gemacht, in Bombay und Madras manches Schreckensgerücht
und ungewöhnliche Vorsichtsmaßregeln hervorgerufen haben, versteht sich von
selbst. ES blieb indeß alles ruhig und die Engländer konnten ihre An¬
strengungen auf einen einzigen Punkt concentriren.

Was nun ferner die unier der englischen Civilverwallung lebenden Ein¬
gebornen betrifft, so sind in der Presse darüber vielfache Mißverständnisse laut
geworden. Man hat hartnäckig sich darauf capricirt, veraltete oder AuS-
nahmSzustände als bestehende Regel anzusehen. Daß der Beginn der englischen
Civilverwaltung nichts weniger als el» musterhafter gewesen, kann unbedenklich
zugegeben werden. ES ward in Ostindien im besten Stil der Eroberer ge-
plünoerl und alle Energie von Clive und Hastings konnte dem Unwesen nicht
steuern. Doch hat auch hierbei mehr die bisher Herrschende Classe als die
Masse der Bevölkerung gelitten. Als sich dann später das Bedürfniß nach
einer regelmäßigen Verwaltung geltend machte, entstanden neue Schwierigkeiten,
die theils in der Unkenntniß der Zustände, Iheis in den eigenthümlichen Ver-


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[0394] tation namentlich von Seiten der Mohammedaner, welche die religiösen Be¬ fürchtungen der Braminenkaste bestens auszubeuten suchten und jetzt kam Ab¬ fall auf Abfall in ungeahnter Schnelligkeit. Nun wurden aber auch in England die heftigsten Befürchtungen rege und eS war einiger Trost, als die nächste Ueberlandpost zwar das Aufhören der Bengalarmee, aber auch das Treubleiben der Heere von Madras und Bombay und die überall den Engländern günstige Stimmung der Eingebornen berichten konnte. Und in diesen beiden Wen¬ dungen lag denn auch der Rettungsanker für die englische Herrschaft. Wir brauchen nach demjenigen, was wir schon früher bemerkt, nicht weit¬ läufig auf die Verschiedenheit deS Bcngalheeres von den Truppen der beiden anderen Präsidentschaften zu verweisen. Nur noch zwei Punkte verdienen hervorgehoben zu werden. Im Bengalheere war nicht blos der Kasten-, son¬ dern auch ganz besonders der Familiengeist gehegt, indem sich aus Bequem¬ lichkeit allmälig der Gebrauch eingeschlichen hatte, daß die einzelnen Compagnien jede sich aus bestimmten Gegenden und Dörfern recrutirten, ein Umstand, der die Ansteckungsfähigkeit irgend welcher Meinungen nur vermehrte. In den beiden andern Heeren dagegen ward nicht blos auf die Kaste nichts ge¬ geben, sondern ihre Bestandtheile,, namentlich die des Madrasheeres, waren den Hindubraminen durch Sprache und Abstammung vielfach unähnlich, oft selbst feindlich. Der Deccan, das südliche Dreieck Vorderindiens, hat verhält¬ nißmäßig noch die größte Dichtigkeit der ursprünglichen Bevölkerung Hindo- stans, so daß eben ganz besondere Mißgriffe oder eine gefährliche Schlappe der Engländer dazu gehörte, um die eingebornen Truppen aller drei Präsident¬ schaften gegen sie zu vereinen. Daß der Aufstand in die beiden andern Präsidentschaften hier und da hinübergegriffen, an manchen Orten selbst alte Hoffnungen rege gemacht, in Bombay und Madras manches Schreckensgerücht und ungewöhnliche Vorsichtsmaßregeln hervorgerufen haben, versteht sich von selbst. ES blieb indeß alles ruhig und die Engländer konnten ihre An¬ strengungen auf einen einzigen Punkt concentriren. Was nun ferner die unier der englischen Civilverwallung lebenden Ein¬ gebornen betrifft, so sind in der Presse darüber vielfache Mißverständnisse laut geworden. Man hat hartnäckig sich darauf capricirt, veraltete oder AuS- nahmSzustände als bestehende Regel anzusehen. Daß der Beginn der englischen Civilverwaltung nichts weniger als el» musterhafter gewesen, kann unbedenklich zugegeben werden. ES ward in Ostindien im besten Stil der Eroberer ge- plünoerl und alle Energie von Clive und Hastings konnte dem Unwesen nicht steuern. Doch hat auch hierbei mehr die bisher Herrschende Classe als die Masse der Bevölkerung gelitten. Als sich dann später das Bedürfniß nach einer regelmäßigen Verwaltung geltend machte, entstanden neue Schwierigkeiten, die theils in der Unkenntniß der Zustände, Iheis in den eigenthümlichen Ver-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104200/394>, abgerufen am 12.12.2024.