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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band.

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Musikanten einfielen, bis der Lärm so betäubend wurde, daß wir die Feder
hinlegen mußten.

Eine Klingel rief uns zum Frühstück in den Speisesaal hinunter, und
wir waren wieder in Europa, in Deutschland. Die orientalischen Divans an
den Wänden, das Schnitzwerk am Hinterfenster, die Balkendecke, ein und der
andere Tarbusch wollten nicht recht dazu passen. Die Gesellschaft an der
Tafel aber war so europäisch wie irgend eine zwischen Hamburg und Venedig,
und die Deutschen waren an der Tabledhote sogar durch die Mehrzahl ver¬
treten. Oben an saß vor seiner Serviette Preußen, repräsentirt durch Pastor
Fliedner von Kaiserswerth, den Gründer der Diakonissenanstalren, durch eine
stattliche Frau Regierungsräthin aus Magdeburg nebst zwei hübschen blassen
Töchtern, durch zwei berliner Artilleriefeuerwerker, die, dem Vicekönig zur
Verbesserung seiner Armee geliehen, hier Ofsiziersrang bekleideten, und durch
einige Kaufleute und Makler. Uns gegenüber unterhielt sich Frankfurt in
Gestalt eines großen, starken, uns später sehr werth gewordenen Herrn mit
einem Nachbar, der mit den ersten Worten verrieth, daß seine Wiege in
Schwaben gestanden. Das deutsche Oestreich hatte zu diesem internationalen
Dejeuner einen redseligen Gutsbesitzer aus der Gegend von Linz und einige
Htindlungsbeflissene gesandt. Sachsen zu vertreten hatte der Verfasser dieser
Darstellung die Ehre. Daß endlich auch die deutsche Schweiz nicht ohne Re¬
präsentanten war, wurden wir schon nach der Suppe an den echt zürcherischen
Schnarch- und Zischlauten inne, mit welchen hinter einer kleinen Verschan¬
zung von Maccarvnis mit Parmesankäse, neben der ein grüner Römer und
ein Champagnerglas sich als Bastionen erhoben, ein gutmüthiger Hitzkopf den
kecken Angriff der beiden Artilleristen auf Neuenburg abzuschlagen bestrebt war.

Die Lage des Hotels unmittelbar am Eingange der Hauptstraße deS
Frankenviertels, welche zugleich die geradeste, breiteste und, da in sie alle Wege
aus den innern Quartieren nach der Esbekieh, der Promenade, nach Bulak,
dem Hasen Kairos, und nach der Eisenbahn münden, die belebteste der ganzen
Stadt ist, empfahl es, die Ausführung unseres Planes, nach welchem wir
erst Kairo an uns vorübergehen lassen und dann selbst an Kairo vorüber¬
gehen wollten, hier zu beginnen. Der große Erker des Speisesaals war wie
für uns und unsern Bleistift geschaffen, um. den Riesenmummenschanz, als
welcher dem Fremden das Treiben auf jener Straße erscheint, in seiner ganzen
abenteuerlichen Farbenpracht und Gestaliensülle, mit seinen Contrasten und
seinen Ueberraschungen zu zeichnen, und sofort nach Aufhebung der Tafel
machten wir uns ans Werk, das mehr Genuß als Arbeit war.

-Die am häusigsten wiederkehrenden Farben in der Menschenflut, die sich
vom Morgen bis in die Nacht aus dem Halbdunkel der oben bedeckten Straße
nach dem sonnebeschienenen Platze vor dem Gasthofe schillernd herauswälzt,


Musikanten einfielen, bis der Lärm so betäubend wurde, daß wir die Feder
hinlegen mußten.

Eine Klingel rief uns zum Frühstück in den Speisesaal hinunter, und
wir waren wieder in Europa, in Deutschland. Die orientalischen Divans an
den Wänden, das Schnitzwerk am Hinterfenster, die Balkendecke, ein und der
andere Tarbusch wollten nicht recht dazu passen. Die Gesellschaft an der
Tafel aber war so europäisch wie irgend eine zwischen Hamburg und Venedig,
und die Deutschen waren an der Tabledhote sogar durch die Mehrzahl ver¬
treten. Oben an saß vor seiner Serviette Preußen, repräsentirt durch Pastor
Fliedner von Kaiserswerth, den Gründer der Diakonissenanstalren, durch eine
stattliche Frau Regierungsräthin aus Magdeburg nebst zwei hübschen blassen
Töchtern, durch zwei berliner Artilleriefeuerwerker, die, dem Vicekönig zur
Verbesserung seiner Armee geliehen, hier Ofsiziersrang bekleideten, und durch
einige Kaufleute und Makler. Uns gegenüber unterhielt sich Frankfurt in
Gestalt eines großen, starken, uns später sehr werth gewordenen Herrn mit
einem Nachbar, der mit den ersten Worten verrieth, daß seine Wiege in
Schwaben gestanden. Das deutsche Oestreich hatte zu diesem internationalen
Dejeuner einen redseligen Gutsbesitzer aus der Gegend von Linz und einige
Htindlungsbeflissene gesandt. Sachsen zu vertreten hatte der Verfasser dieser
Darstellung die Ehre. Daß endlich auch die deutsche Schweiz nicht ohne Re¬
präsentanten war, wurden wir schon nach der Suppe an den echt zürcherischen
Schnarch- und Zischlauten inne, mit welchen hinter einer kleinen Verschan¬
zung von Maccarvnis mit Parmesankäse, neben der ein grüner Römer und
ein Champagnerglas sich als Bastionen erhoben, ein gutmüthiger Hitzkopf den
kecken Angriff der beiden Artilleristen auf Neuenburg abzuschlagen bestrebt war.

Die Lage des Hotels unmittelbar am Eingange der Hauptstraße deS
Frankenviertels, welche zugleich die geradeste, breiteste und, da in sie alle Wege
aus den innern Quartieren nach der Esbekieh, der Promenade, nach Bulak,
dem Hasen Kairos, und nach der Eisenbahn münden, die belebteste der ganzen
Stadt ist, empfahl es, die Ausführung unseres Planes, nach welchem wir
erst Kairo an uns vorübergehen lassen und dann selbst an Kairo vorüber¬
gehen wollten, hier zu beginnen. Der große Erker des Speisesaals war wie
für uns und unsern Bleistift geschaffen, um. den Riesenmummenschanz, als
welcher dem Fremden das Treiben auf jener Straße erscheint, in seiner ganzen
abenteuerlichen Farbenpracht und Gestaliensülle, mit seinen Contrasten und
seinen Ueberraschungen zu zeichnen, und sofort nach Aufhebung der Tafel
machten wir uns ans Werk, das mehr Genuß als Arbeit war.

-Die am häusigsten wiederkehrenden Farben in der Menschenflut, die sich
vom Morgen bis in die Nacht aus dem Halbdunkel der oben bedeckten Straße
nach dem sonnebeschienenen Platze vor dem Gasthofe schillernd herauswälzt,


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[0376] Musikanten einfielen, bis der Lärm so betäubend wurde, daß wir die Feder hinlegen mußten. Eine Klingel rief uns zum Frühstück in den Speisesaal hinunter, und wir waren wieder in Europa, in Deutschland. Die orientalischen Divans an den Wänden, das Schnitzwerk am Hinterfenster, die Balkendecke, ein und der andere Tarbusch wollten nicht recht dazu passen. Die Gesellschaft an der Tafel aber war so europäisch wie irgend eine zwischen Hamburg und Venedig, und die Deutschen waren an der Tabledhote sogar durch die Mehrzahl ver¬ treten. Oben an saß vor seiner Serviette Preußen, repräsentirt durch Pastor Fliedner von Kaiserswerth, den Gründer der Diakonissenanstalren, durch eine stattliche Frau Regierungsräthin aus Magdeburg nebst zwei hübschen blassen Töchtern, durch zwei berliner Artilleriefeuerwerker, die, dem Vicekönig zur Verbesserung seiner Armee geliehen, hier Ofsiziersrang bekleideten, und durch einige Kaufleute und Makler. Uns gegenüber unterhielt sich Frankfurt in Gestalt eines großen, starken, uns später sehr werth gewordenen Herrn mit einem Nachbar, der mit den ersten Worten verrieth, daß seine Wiege in Schwaben gestanden. Das deutsche Oestreich hatte zu diesem internationalen Dejeuner einen redseligen Gutsbesitzer aus der Gegend von Linz und einige Htindlungsbeflissene gesandt. Sachsen zu vertreten hatte der Verfasser dieser Darstellung die Ehre. Daß endlich auch die deutsche Schweiz nicht ohne Re¬ präsentanten war, wurden wir schon nach der Suppe an den echt zürcherischen Schnarch- und Zischlauten inne, mit welchen hinter einer kleinen Verschan¬ zung von Maccarvnis mit Parmesankäse, neben der ein grüner Römer und ein Champagnerglas sich als Bastionen erhoben, ein gutmüthiger Hitzkopf den kecken Angriff der beiden Artilleristen auf Neuenburg abzuschlagen bestrebt war. Die Lage des Hotels unmittelbar am Eingange der Hauptstraße deS Frankenviertels, welche zugleich die geradeste, breiteste und, da in sie alle Wege aus den innern Quartieren nach der Esbekieh, der Promenade, nach Bulak, dem Hasen Kairos, und nach der Eisenbahn münden, die belebteste der ganzen Stadt ist, empfahl es, die Ausführung unseres Planes, nach welchem wir erst Kairo an uns vorübergehen lassen und dann selbst an Kairo vorüber¬ gehen wollten, hier zu beginnen. Der große Erker des Speisesaals war wie für uns und unsern Bleistift geschaffen, um. den Riesenmummenschanz, als welcher dem Fremden das Treiben auf jener Straße erscheint, in seiner ganzen abenteuerlichen Farbenpracht und Gestaliensülle, mit seinen Contrasten und seinen Ueberraschungen zu zeichnen, und sofort nach Aufhebung der Tafel machten wir uns ans Werk, das mehr Genuß als Arbeit war. -Die am häusigsten wiederkehrenden Farben in der Menschenflut, die sich vom Morgen bis in die Nacht aus dem Halbdunkel der oben bedeckten Straße nach dem sonnebeschienenen Platze vor dem Gasthofe schillernd herauswälzt,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104200/376>, abgerufen am 02.10.2024.