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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band.

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begann in der deutschen Philosophie eine Entwicklungsphase, die alle ihre An¬
hänger und Gegner überraschte. Die jüngere Schule reichte dem politischen
und religiösen Radicalismus, ja der materialistischen Aufklärung deS 18. Jahr¬
hunderts die Hand. Man Halle sich zu den Deutschen geflüchtet, um sich an
ihren Idealen zu erwärmen, um mit Hilfe ihrer Gelehrsamkeit und ihres Tief-
sinncS, den Geist der Analyse zu überwinden. Nun sah man mit Schrecken,
daß die Verbündeten schlimmer waren als die Feinde. Zudem hatte man
ihrer nicht mehr nöthig, da durch Descartes und die Nominalisten deö Mitielalters
die Tradition aus einer anderen Seite hin wieder hergestellt war. Seit der
Zeit sprach sich Cousin nicht selten mit Bitterkeit, ja mit Geringschätzung über
die Denker aus, die er früher so hoch geehrt, und seine Schüler gingen zum
Theil noch weiter. Der Eklekticismus steckte offen die Fahne des Spiritualismus
auf und suchte sich den Vorkämpfern der Kirche zu nähern; allein diese waren
bedenklich geworden'und hatten allmählig gelernt, auf ihre eigene Kraft zu
vertrauen, und so sehen wir daS seltsame Schauspiel einer fortwährenden An¬
ziehung und Abstoßung.

Die Philosophie gab sich den Anschein, die religiöse Bewegung in ihrem
innersten Kern zu verstehen und psychologisch zu erklären; sie versicherte dasselbe
zu wollen, aber nach einer zuverlässigeren Methode. Sie wies mit Verachtung
den Verdacht des Pantheismus von sich und schonte selbst in dem Kampfe,
den sie doch nicht ganz vermeiden konnte, die empfindlichsten Stellen ihrer
Gegner. Die Bemühungen sind fruchtlos geblieben. Der Erfolg deS Eklek¬
ticismus war eben als Werk der Beredtsamkeit auf die Bedürfnisse und Vor-
uitheile einer bestimmten Zeit berechnet. DaS neue Geschlecht, das von
andern Voraussetzungen ausgeht, konnte die Begeisterung seiner Vorgänger
nicht theilen. Dennoch bleibt die philosophische Bewegung von 18-13 für die
Geschichte der Philosophie von der größten Wichtigkeit, sie Hot dem Gedanken
einen umfassenden Horizont eröffnet, sie hat dem Gefühl, welches sie freilich
nicht hervorgebracht, eine" edeln und stolzen SluSdruck gegeben und trotz ihrer
verschiedenen Schwankungen im Einzelnen ist sie in der Hauptsache doch ihrem
leitenden Jnstinct treu geblieben.

Als Cousin 1830 die Reden herausgab, die er in der Pairskammer ge¬
halten, fügte er sein politisches Glaubensbekenntniß hinzu. "Mein Princip
geht aus dem Verständniß und der Liebe zur französischen Revolution hervor-
Mit ihr bin ich geboren, ihre Fahnen, ihre Lieder sind die Erinnerungen mei¬
ner Kindheit. Von der ersten Zeit an, wo ich denken lernte, bin ich ihr durch
ein wechselvolles Lebe" treu geblieben. Meine ganze Philosophie enthält nichts


plusisnrg, etsrnits et tsmps, espaes se nombre, hö8meo et vis, irxtivisibilito se totnlits, P>'w'
eins, An et milisu, an sowohl les I'fers et " son xws luimbls üsKrs, innen tont snsewble,
triplo suum, v'sse " <jirs g, I" toiZ Oisu, naturf et Kumanits.

begann in der deutschen Philosophie eine Entwicklungsphase, die alle ihre An¬
hänger und Gegner überraschte. Die jüngere Schule reichte dem politischen
und religiösen Radicalismus, ja der materialistischen Aufklärung deS 18. Jahr¬
hunderts die Hand. Man Halle sich zu den Deutschen geflüchtet, um sich an
ihren Idealen zu erwärmen, um mit Hilfe ihrer Gelehrsamkeit und ihres Tief-
sinncS, den Geist der Analyse zu überwinden. Nun sah man mit Schrecken,
daß die Verbündeten schlimmer waren als die Feinde. Zudem hatte man
ihrer nicht mehr nöthig, da durch Descartes und die Nominalisten deö Mitielalters
die Tradition aus einer anderen Seite hin wieder hergestellt war. Seit der
Zeit sprach sich Cousin nicht selten mit Bitterkeit, ja mit Geringschätzung über
die Denker aus, die er früher so hoch geehrt, und seine Schüler gingen zum
Theil noch weiter. Der Eklekticismus steckte offen die Fahne des Spiritualismus
auf und suchte sich den Vorkämpfern der Kirche zu nähern; allein diese waren
bedenklich geworden'und hatten allmählig gelernt, auf ihre eigene Kraft zu
vertrauen, und so sehen wir daS seltsame Schauspiel einer fortwährenden An¬
ziehung und Abstoßung.

Die Philosophie gab sich den Anschein, die religiöse Bewegung in ihrem
innersten Kern zu verstehen und psychologisch zu erklären; sie versicherte dasselbe
zu wollen, aber nach einer zuverlässigeren Methode. Sie wies mit Verachtung
den Verdacht des Pantheismus von sich und schonte selbst in dem Kampfe,
den sie doch nicht ganz vermeiden konnte, die empfindlichsten Stellen ihrer
Gegner. Die Bemühungen sind fruchtlos geblieben. Der Erfolg deS Eklek¬
ticismus war eben als Werk der Beredtsamkeit auf die Bedürfnisse und Vor-
uitheile einer bestimmten Zeit berechnet. DaS neue Geschlecht, das von
andern Voraussetzungen ausgeht, konnte die Begeisterung seiner Vorgänger
nicht theilen. Dennoch bleibt die philosophische Bewegung von 18-13 für die
Geschichte der Philosophie von der größten Wichtigkeit, sie Hot dem Gedanken
einen umfassenden Horizont eröffnet, sie hat dem Gefühl, welches sie freilich
nicht hervorgebracht, eine» edeln und stolzen SluSdruck gegeben und trotz ihrer
verschiedenen Schwankungen im Einzelnen ist sie in der Hauptsache doch ihrem
leitenden Jnstinct treu geblieben.

Als Cousin 1830 die Reden herausgab, die er in der Pairskammer ge¬
halten, fügte er sein politisches Glaubensbekenntniß hinzu. „Mein Princip
geht aus dem Verständniß und der Liebe zur französischen Revolution hervor-
Mit ihr bin ich geboren, ihre Fahnen, ihre Lieder sind die Erinnerungen mei¬
ner Kindheit. Von der ersten Zeit an, wo ich denken lernte, bin ich ihr durch
ein wechselvolles Lebe» treu geblieben. Meine ganze Philosophie enthält nichts


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[0358] begann in der deutschen Philosophie eine Entwicklungsphase, die alle ihre An¬ hänger und Gegner überraschte. Die jüngere Schule reichte dem politischen und religiösen Radicalismus, ja der materialistischen Aufklärung deS 18. Jahr¬ hunderts die Hand. Man Halle sich zu den Deutschen geflüchtet, um sich an ihren Idealen zu erwärmen, um mit Hilfe ihrer Gelehrsamkeit und ihres Tief- sinncS, den Geist der Analyse zu überwinden. Nun sah man mit Schrecken, daß die Verbündeten schlimmer waren als die Feinde. Zudem hatte man ihrer nicht mehr nöthig, da durch Descartes und die Nominalisten deö Mitielalters die Tradition aus einer anderen Seite hin wieder hergestellt war. Seit der Zeit sprach sich Cousin nicht selten mit Bitterkeit, ja mit Geringschätzung über die Denker aus, die er früher so hoch geehrt, und seine Schüler gingen zum Theil noch weiter. Der Eklekticismus steckte offen die Fahne des Spiritualismus auf und suchte sich den Vorkämpfern der Kirche zu nähern; allein diese waren bedenklich geworden'und hatten allmählig gelernt, auf ihre eigene Kraft zu vertrauen, und so sehen wir daS seltsame Schauspiel einer fortwährenden An¬ ziehung und Abstoßung. Die Philosophie gab sich den Anschein, die religiöse Bewegung in ihrem innersten Kern zu verstehen und psychologisch zu erklären; sie versicherte dasselbe zu wollen, aber nach einer zuverlässigeren Methode. Sie wies mit Verachtung den Verdacht des Pantheismus von sich und schonte selbst in dem Kampfe, den sie doch nicht ganz vermeiden konnte, die empfindlichsten Stellen ihrer Gegner. Die Bemühungen sind fruchtlos geblieben. Der Erfolg deS Eklek¬ ticismus war eben als Werk der Beredtsamkeit auf die Bedürfnisse und Vor- uitheile einer bestimmten Zeit berechnet. DaS neue Geschlecht, das von andern Voraussetzungen ausgeht, konnte die Begeisterung seiner Vorgänger nicht theilen. Dennoch bleibt die philosophische Bewegung von 18-13 für die Geschichte der Philosophie von der größten Wichtigkeit, sie Hot dem Gedanken einen umfassenden Horizont eröffnet, sie hat dem Gefühl, welches sie freilich nicht hervorgebracht, eine» edeln und stolzen SluSdruck gegeben und trotz ihrer verschiedenen Schwankungen im Einzelnen ist sie in der Hauptsache doch ihrem leitenden Jnstinct treu geblieben. Als Cousin 1830 die Reden herausgab, die er in der Pairskammer ge¬ halten, fügte er sein politisches Glaubensbekenntniß hinzu. „Mein Princip geht aus dem Verständniß und der Liebe zur französischen Revolution hervor- Mit ihr bin ich geboren, ihre Fahnen, ihre Lieder sind die Erinnerungen mei¬ ner Kindheit. Von der ersten Zeit an, wo ich denken lernte, bin ich ihr durch ein wechselvolles Lebe» treu geblieben. Meine ganze Philosophie enthält nichts plusisnrg, etsrnits et tsmps, espaes se nombre, hö8meo et vis, irxtivisibilito se totnlits, P>'w' eins, An et milisu, an sowohl les I'fers et » son xws luimbls üsKrs, innen tont snsewble, triplo suum, v'sse » <jirs g, I» toiZ Oisu, naturf et Kumanits.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104200/358>, abgerufen am 03.07.2024.