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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band.

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Dschamna durch Kanalverbindungen zu landwirtschaftlichen Zwecken nutzbar
gemacht, und so eine Gegend, die bisher bei jedem Ernteausfall der Hungers -
noth nahe kam,' zu einer wahre" Kornkammer erhoben. Es ist ein eigenthüm¬
liches Schicksal, daß grade diese Gegend der Mittelpunkt der Empörung gegen
die englische Herrschaft geworden ist; wahrscheinlich ist das aber auch der
Grund, weshalb allen Nachrichten zufolge die ackerbautreibende Bevölkerung
an dem Aufstande nicht Theil genommen, hie und da selbst eine feindselige
Stellung gegen die Sipoys el-ngcnommcn hat. Unter den muhammedanischen
Kaisern war für dieselbe ein Zustand des Gedeihens und des Wohllebens um
so weniger erreichbar, da der ganze Nordwesten Bengalens bis nach Surat
hinab voll war von Räubern und Mördern. Wir besitzen noch in der naiven
Erzählung eines waghalsigen Beamten der englischen Compagnie vom 1.1617
eine Bestätigung dieses gefährlichen Zustandes. Grade die arbeitende Classe,
der großen Mehrzahl nach Hindus, litt am meisten darunter.

Ebensowenig aber waren die religiösen Zustände deS Landes für dessen
Aufkommen förderlich. Bei der buntesten Verschiedenheit im Glaubensbe¬
kenntniß war ihnen allen doch ein Grundzug gemeinsam, der der strengsten
Abschließung voneinander. Die Kaste oder die Abstammung gab einem jeden
die Stellung im Leben, und zwar nicht blos in religiöser, sondern auch in
bürgerlicher Beziehung, denn an die Kaste schloß sich das Familien- und daS
Erbrecht. Die künftige und die jetzige Eristenz ist also für den Hindu aufs
Engste damit verknüpft, daß er nichts vornehme, was den Verlust der Kaste
nach sich ziehen könnte. Vor allen Dingen beschädigt ihn die Berührung des
Unreinen, sei dies ein Mensch von niederer oder überhaupt keiner Kaste oder
um verbotener Gegenstand. Er ist base,r ewig von gesellschaftlichen Schranken
umgeben, die sein Dasein fesseln. Mögen wir auch die tiefe Weisheit des
altern Hinduthums noch so sehr bewundern, die Form hatte cillmälig das
Wesen ganz verdeckt, so sehr, daß von einem sittlichen Einfluß der Vraminen-
religivn kaum noch die Rede sein konnte. Die Bestechlichkeit, die Unzuver-
lässigkeit, die Lüge und der Meineid, das waren grade die Eigenschaften der
höhern Classen, welche die Engländer als Erbschaft der Vergangenheit anzu¬
treten hatten, und welche es ihnen sehr lange fast als unmöglich erscheinen
ließen, die Eingebovnen in größerer Zahl zu einflußreichen Beamtenstellen zu
verwenden. Sie haben erst mit der Zeit und durch das eigne Beispiel der
mannhaften Geradheit sich eine bessere und zuverlässigere Generation erziehen
müssen. Ein religiöser Eifer zum Proselhtismuö mußte natürlich den eigent¬
lichen Hindus ganz fehlen; nur die Muhammedaner hatten noch jenen Geist
der Eroberung bewahrt, der noch immer gern zu gewaltsamen Bekehrungen
griff. Gemeinsam aber hatten Hindus sowol als Muhammedaner ein zahl¬
reiches, unwissendes und begehrliches Priesterthum- Nirgend so wie in Ost-


Grenzbotein III. j,<2

Dschamna durch Kanalverbindungen zu landwirtschaftlichen Zwecken nutzbar
gemacht, und so eine Gegend, die bisher bei jedem Ernteausfall der Hungers -
noth nahe kam,' zu einer wahre» Kornkammer erhoben. Es ist ein eigenthüm¬
liches Schicksal, daß grade diese Gegend der Mittelpunkt der Empörung gegen
die englische Herrschaft geworden ist; wahrscheinlich ist das aber auch der
Grund, weshalb allen Nachrichten zufolge die ackerbautreibende Bevölkerung
an dem Aufstande nicht Theil genommen, hie und da selbst eine feindselige
Stellung gegen die Sipoys el-ngcnommcn hat. Unter den muhammedanischen
Kaisern war für dieselbe ein Zustand des Gedeihens und des Wohllebens um
so weniger erreichbar, da der ganze Nordwesten Bengalens bis nach Surat
hinab voll war von Räubern und Mördern. Wir besitzen noch in der naiven
Erzählung eines waghalsigen Beamten der englischen Compagnie vom 1.1617
eine Bestätigung dieses gefährlichen Zustandes. Grade die arbeitende Classe,
der großen Mehrzahl nach Hindus, litt am meisten darunter.

Ebensowenig aber waren die religiösen Zustände deS Landes für dessen
Aufkommen förderlich. Bei der buntesten Verschiedenheit im Glaubensbe¬
kenntniß war ihnen allen doch ein Grundzug gemeinsam, der der strengsten
Abschließung voneinander. Die Kaste oder die Abstammung gab einem jeden
die Stellung im Leben, und zwar nicht blos in religiöser, sondern auch in
bürgerlicher Beziehung, denn an die Kaste schloß sich das Familien- und daS
Erbrecht. Die künftige und die jetzige Eristenz ist also für den Hindu aufs
Engste damit verknüpft, daß er nichts vornehme, was den Verlust der Kaste
nach sich ziehen könnte. Vor allen Dingen beschädigt ihn die Berührung des
Unreinen, sei dies ein Mensch von niederer oder überhaupt keiner Kaste oder
um verbotener Gegenstand. Er ist base,r ewig von gesellschaftlichen Schranken
umgeben, die sein Dasein fesseln. Mögen wir auch die tiefe Weisheit des
altern Hinduthums noch so sehr bewundern, die Form hatte cillmälig das
Wesen ganz verdeckt, so sehr, daß von einem sittlichen Einfluß der Vraminen-
religivn kaum noch die Rede sein konnte. Die Bestechlichkeit, die Unzuver-
lässigkeit, die Lüge und der Meineid, das waren grade die Eigenschaften der
höhern Classen, welche die Engländer als Erbschaft der Vergangenheit anzu¬
treten hatten, und welche es ihnen sehr lange fast als unmöglich erscheinen
ließen, die Eingebovnen in größerer Zahl zu einflußreichen Beamtenstellen zu
verwenden. Sie haben erst mit der Zeit und durch das eigne Beispiel der
mannhaften Geradheit sich eine bessere und zuverlässigere Generation erziehen
müssen. Ein religiöser Eifer zum Proselhtismuö mußte natürlich den eigent¬
lichen Hindus ganz fehlen; nur die Muhammedaner hatten noch jenen Geist
der Eroberung bewahrt, der noch immer gern zu gewaltsamen Bekehrungen
griff. Gemeinsam aber hatten Hindus sowol als Muhammedaner ein zahl¬
reiches, unwissendes und begehrliches Priesterthum- Nirgend so wie in Ost-


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[0337] Dschamna durch Kanalverbindungen zu landwirtschaftlichen Zwecken nutzbar gemacht, und so eine Gegend, die bisher bei jedem Ernteausfall der Hungers - noth nahe kam,' zu einer wahre» Kornkammer erhoben. Es ist ein eigenthüm¬ liches Schicksal, daß grade diese Gegend der Mittelpunkt der Empörung gegen die englische Herrschaft geworden ist; wahrscheinlich ist das aber auch der Grund, weshalb allen Nachrichten zufolge die ackerbautreibende Bevölkerung an dem Aufstande nicht Theil genommen, hie und da selbst eine feindselige Stellung gegen die Sipoys el-ngcnommcn hat. Unter den muhammedanischen Kaisern war für dieselbe ein Zustand des Gedeihens und des Wohllebens um so weniger erreichbar, da der ganze Nordwesten Bengalens bis nach Surat hinab voll war von Räubern und Mördern. Wir besitzen noch in der naiven Erzählung eines waghalsigen Beamten der englischen Compagnie vom 1.1617 eine Bestätigung dieses gefährlichen Zustandes. Grade die arbeitende Classe, der großen Mehrzahl nach Hindus, litt am meisten darunter. Ebensowenig aber waren die religiösen Zustände deS Landes für dessen Aufkommen förderlich. Bei der buntesten Verschiedenheit im Glaubensbe¬ kenntniß war ihnen allen doch ein Grundzug gemeinsam, der der strengsten Abschließung voneinander. Die Kaste oder die Abstammung gab einem jeden die Stellung im Leben, und zwar nicht blos in religiöser, sondern auch in bürgerlicher Beziehung, denn an die Kaste schloß sich das Familien- und daS Erbrecht. Die künftige und die jetzige Eristenz ist also für den Hindu aufs Engste damit verknüpft, daß er nichts vornehme, was den Verlust der Kaste nach sich ziehen könnte. Vor allen Dingen beschädigt ihn die Berührung des Unreinen, sei dies ein Mensch von niederer oder überhaupt keiner Kaste oder um verbotener Gegenstand. Er ist base,r ewig von gesellschaftlichen Schranken umgeben, die sein Dasein fesseln. Mögen wir auch die tiefe Weisheit des altern Hinduthums noch so sehr bewundern, die Form hatte cillmälig das Wesen ganz verdeckt, so sehr, daß von einem sittlichen Einfluß der Vraminen- religivn kaum noch die Rede sein konnte. Die Bestechlichkeit, die Unzuver- lässigkeit, die Lüge und der Meineid, das waren grade die Eigenschaften der höhern Classen, welche die Engländer als Erbschaft der Vergangenheit anzu¬ treten hatten, und welche es ihnen sehr lange fast als unmöglich erscheinen ließen, die Eingebovnen in größerer Zahl zu einflußreichen Beamtenstellen zu verwenden. Sie haben erst mit der Zeit und durch das eigne Beispiel der mannhaften Geradheit sich eine bessere und zuverlässigere Generation erziehen müssen. Ein religiöser Eifer zum Proselhtismuö mußte natürlich den eigent¬ lichen Hindus ganz fehlen; nur die Muhammedaner hatten noch jenen Geist der Eroberung bewahrt, der noch immer gern zu gewaltsamen Bekehrungen griff. Gemeinsam aber hatten Hindus sowol als Muhammedaner ein zahl¬ reiches, unwissendes und begehrliches Priesterthum- Nirgend so wie in Ost- Grenzbotein III. j,<2

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104200/337>, abgerufen am 02.10.2024.