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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band.

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lehrtenstand dort steht, viele Kräfte im Auslande bewog, einem Rufe hierher
zu folgen. Freilich gehörte ein ziemliches Maß Resignation dazu, um die
Jsolirung in wissenschaftlicher und geselliger Beziehung auf die Dauer einiger
Jahre auszuhalten, und eine gute Dosis Weltklugheit, um in wildfremden
Lande bald den richtigen Standpunkt in Erziehung und häuslichem Verhält¬
nisse zu treffen. Seit dem letzten Kriege hat aber die vovher schon peinlich
erschwerte Einwanderung deutscher Erzieher so gut wie aufgehört und die Pro¬
vinzen sino insofern dem Königreiche Polen gleichgestellt worden, als jeder
Ausländer, bevor er die Concession zum Unterrichten erhält, in den russischen
Unterthanenverband eintreten muß. Wenn nun schon früher sich Viele durch
die weite Entfernung von der Heimath abhalten ließen, einen Wirkungskreis
dort anzunehmen, wer wird es jetzt noch wagen, wo er dem Zaren Gehorsam
und Treue schwören muß? Und wer mag auch der Milderung des neuen Uka-
seS unbedingt vertrauen, nach welcher es später erlaubt sein soll, wieder aus
der Unterlhanschaft auszutreten? Der baltische Adel wird also auf inländische
Lehrer- beschränkt bleiben; von diesen gehen aber die Philologen gewöhnlich
gleich nach Vollendung ihrer Studien nach Petersburg und suchen dort im
Staatsdienste unterzukommen; die Theologen können aber kaum ein paar
Jahre im Privatdienste bleiben, weil ihnen mit dem Eintritt in das kanonische
Alter gewöhnlich auch schon eine Predigerstelle winkt. Die von Ausländern
gegründeten und meist tüchtig geleiteten Privaterziehungsanstalten, deren es in
Livland vier gibt, werden dieses Embargo ebenfalls schwer empfinden; schon
jetzt sehen sie sich gezwungen, als französische Lehrer sogenannte "Halbfran¬
zosen" d. h. Mischlinge französischen und russischen Blutes zu engagiren,
deren Bildung und Sitten ihnen gewöhnlich nur Aergerniß bereiten. Auch
die Lehrer der russischen Sprache sind gemeiniglich keine Zierden ihres Standes
und außerdem auch selten bei der Jugend beliebt, da bei derselben der berüch¬
tigte Ukas: "Daß kein Abiturient mit dem Zeugniß der Reife zur Universität
entlassen werden darf, welcher nicht die erste Censurnore in der russischen
Sprache erhalten hat," von der ersten Unterrichtszeit an nur Abneigung
gegen das aufgedrungene slawische Idiom und dessen Lehrer erregt. An den
öffentlichen Gymnasien hat diese Maßregel, welche dem russischen Lehrer grade-
zu ein Veto gegen jedes Prüfungsergebniß einräumt, natürlich demselben
auch eine Art von Principal geschaffen, das in den Händen manches unge¬
bildeten, launischen, vielleicht sogar nicht unbestechlichen Stockrussen eine äußerst
drückende Last für die Anstalten geworden ist.




lehrtenstand dort steht, viele Kräfte im Auslande bewog, einem Rufe hierher
zu folgen. Freilich gehörte ein ziemliches Maß Resignation dazu, um die
Jsolirung in wissenschaftlicher und geselliger Beziehung auf die Dauer einiger
Jahre auszuhalten, und eine gute Dosis Weltklugheit, um in wildfremden
Lande bald den richtigen Standpunkt in Erziehung und häuslichem Verhält¬
nisse zu treffen. Seit dem letzten Kriege hat aber die vovher schon peinlich
erschwerte Einwanderung deutscher Erzieher so gut wie aufgehört und die Pro¬
vinzen sino insofern dem Königreiche Polen gleichgestellt worden, als jeder
Ausländer, bevor er die Concession zum Unterrichten erhält, in den russischen
Unterthanenverband eintreten muß. Wenn nun schon früher sich Viele durch
die weite Entfernung von der Heimath abhalten ließen, einen Wirkungskreis
dort anzunehmen, wer wird es jetzt noch wagen, wo er dem Zaren Gehorsam
und Treue schwören muß? Und wer mag auch der Milderung des neuen Uka-
seS unbedingt vertrauen, nach welcher es später erlaubt sein soll, wieder aus
der Unterlhanschaft auszutreten? Der baltische Adel wird also auf inländische
Lehrer- beschränkt bleiben; von diesen gehen aber die Philologen gewöhnlich
gleich nach Vollendung ihrer Studien nach Petersburg und suchen dort im
Staatsdienste unterzukommen; die Theologen können aber kaum ein paar
Jahre im Privatdienste bleiben, weil ihnen mit dem Eintritt in das kanonische
Alter gewöhnlich auch schon eine Predigerstelle winkt. Die von Ausländern
gegründeten und meist tüchtig geleiteten Privaterziehungsanstalten, deren es in
Livland vier gibt, werden dieses Embargo ebenfalls schwer empfinden; schon
jetzt sehen sie sich gezwungen, als französische Lehrer sogenannte „Halbfran¬
zosen" d. h. Mischlinge französischen und russischen Blutes zu engagiren,
deren Bildung und Sitten ihnen gewöhnlich nur Aergerniß bereiten. Auch
die Lehrer der russischen Sprache sind gemeiniglich keine Zierden ihres Standes
und außerdem auch selten bei der Jugend beliebt, da bei derselben der berüch¬
tigte Ukas: „Daß kein Abiturient mit dem Zeugniß der Reife zur Universität
entlassen werden darf, welcher nicht die erste Censurnore in der russischen
Sprache erhalten hat," von der ersten Unterrichtszeit an nur Abneigung
gegen das aufgedrungene slawische Idiom und dessen Lehrer erregt. An den
öffentlichen Gymnasien hat diese Maßregel, welche dem russischen Lehrer grade-
zu ein Veto gegen jedes Prüfungsergebniß einräumt, natürlich demselben
auch eine Art von Principal geschaffen, das in den Händen manches unge¬
bildeten, launischen, vielleicht sogar nicht unbestechlichen Stockrussen eine äußerst
drückende Last für die Anstalten geworden ist.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104200/327>, abgerufen am 12.12.2024.