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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band.

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anrichten kann!"") Wenn mir in Esthland meines Nachbars Kuh ein halbes
Feld abgeweidet hat, so kann ich nichts thun, sobald er mir nachweist, daß
mein Zaun ein Loch gehabt hat! Die Felder dehnen sich in unabsehbare
Ferne aus; das Winterkorn grünt lustig und verspricht eine reichliche Ernte,
denn es hat weder von der Kälte gelitten, noch ist es vom Kornwurm ver¬
wüstet worden. Der Frost tritt hier manchmal kurz vor der Blüte wieder
so heftig auf, daß besonders in Waldfeldern die Halme ganz weiß werden, als
waren sie reif. Außer den gewöhnlichen Engerlingen ist noch die Raupe der
xdalaena nootria oft eine Hauptfeindin der jungen Saat, welche dafür später
nur sehr selten von Hagelwettern heimgesucht wird. -- Ein anderer Theil der
Felder wird eben erst bestellt und wir sehen eine große Anzahl Bauern
pflügen und eggen. Die Bestellung des Landes wird immer en magss be¬
trieben. Denn da wol die Zahl der Tage deS "GehorchS" im Jahre fest¬
gesetzt ist, nicht aber die Zeit der Leistung, so sucht sich der Herr die vom
Wetter am meisten begünstigte Zeit heraus und bietet dann die Arbeiter
compagnienweise auf. Mit dem Stocke in der Hand, scheltend und schlagend,
treibt der Aufseher (esthnisch: Kubjas, keltisch: Wagger) zur Eile an r^ut die
ohnehin ohne Freude und Eifer verrichtete Zwangsarbeit gewinnt dadurch nur
noch mehr den Schein der Oberflächlichkeit. Außerdem liegt auch in der Be¬
schaffenheit der Ackerwerkzeuge, welche die Fröhner selbst mitbringen müssen,
wenig Hoffnung auf Gründlichkeit der Arbeit; denn der hiesige räderlose, flach
einschneidende Pflug durchkratzt blos die Erdrinde, anstatt sie zu durchfurchen,
und die leichte hölzerne Egge verursacht mehr Staub als Lockerheit der Schollen.
Da man aber seit Jahrhunderten so verfahren ist, liegt natürlich das tragbare
Land nicht tief und die in Knechtswirthschaften versuchte Anwendung neuerer
Pflüge erfordert deS todten Landes und der vielen Feldsteine wegen große
Vorsicht. In der Ferne sehen wir aus einer breiten Strecke den Erdboden
rauchen; es ist nach der Erklärung des Barons "ein. Küttisbrand", den die
Bauern aus einer wüst liegenden Stelle vornehmen. Man sticht dazu den
dürftigen Nasen vollständig heraus und baut daraus mit untermischten Reisig
kleine Meiler. Diese Arbeit belohnt sich wol durch eine Ernte; allein der
Boden ist dann auch so erschöpft, daß das Gras noch kümmerlicher darauf ge¬
deiht als vorher. Mit besserem Erfolge werden solche Brände auf gerodeten
Waldboden vorgenommen, wo man gewöhnlich die Aeste und Wurzeln der
Bäume mitverbrennt und nicht blos einen reichlichen Körnerertrag, sondern
auch später üppigen Holzwuchs erzielt.

Bevor wir in den Wald gelangen, passiren wir noch Wiesen und Moräste;
die ersteren, deren vorherrschende Blumenfarbe in dieser Jahreszeit bei uns



*) Derselbe Grundsatz gilt bekanntlich in den Ver. Staaten und ist die Ursache der hä߬
D. Red. lichen Wurmfenccn.

anrichten kann!"") Wenn mir in Esthland meines Nachbars Kuh ein halbes
Feld abgeweidet hat, so kann ich nichts thun, sobald er mir nachweist, daß
mein Zaun ein Loch gehabt hat! Die Felder dehnen sich in unabsehbare
Ferne aus; das Winterkorn grünt lustig und verspricht eine reichliche Ernte,
denn es hat weder von der Kälte gelitten, noch ist es vom Kornwurm ver¬
wüstet worden. Der Frost tritt hier manchmal kurz vor der Blüte wieder
so heftig auf, daß besonders in Waldfeldern die Halme ganz weiß werden, als
waren sie reif. Außer den gewöhnlichen Engerlingen ist noch die Raupe der
xdalaena nootria oft eine Hauptfeindin der jungen Saat, welche dafür später
nur sehr selten von Hagelwettern heimgesucht wird. — Ein anderer Theil der
Felder wird eben erst bestellt und wir sehen eine große Anzahl Bauern
pflügen und eggen. Die Bestellung des Landes wird immer en magss be¬
trieben. Denn da wol die Zahl der Tage deS „GehorchS" im Jahre fest¬
gesetzt ist, nicht aber die Zeit der Leistung, so sucht sich der Herr die vom
Wetter am meisten begünstigte Zeit heraus und bietet dann die Arbeiter
compagnienweise auf. Mit dem Stocke in der Hand, scheltend und schlagend,
treibt der Aufseher (esthnisch: Kubjas, keltisch: Wagger) zur Eile an r^ut die
ohnehin ohne Freude und Eifer verrichtete Zwangsarbeit gewinnt dadurch nur
noch mehr den Schein der Oberflächlichkeit. Außerdem liegt auch in der Be¬
schaffenheit der Ackerwerkzeuge, welche die Fröhner selbst mitbringen müssen,
wenig Hoffnung auf Gründlichkeit der Arbeit; denn der hiesige räderlose, flach
einschneidende Pflug durchkratzt blos die Erdrinde, anstatt sie zu durchfurchen,
und die leichte hölzerne Egge verursacht mehr Staub als Lockerheit der Schollen.
Da man aber seit Jahrhunderten so verfahren ist, liegt natürlich das tragbare
Land nicht tief und die in Knechtswirthschaften versuchte Anwendung neuerer
Pflüge erfordert deS todten Landes und der vielen Feldsteine wegen große
Vorsicht. In der Ferne sehen wir aus einer breiten Strecke den Erdboden
rauchen; es ist nach der Erklärung des Barons „ein. Küttisbrand", den die
Bauern aus einer wüst liegenden Stelle vornehmen. Man sticht dazu den
dürftigen Nasen vollständig heraus und baut daraus mit untermischten Reisig
kleine Meiler. Diese Arbeit belohnt sich wol durch eine Ernte; allein der
Boden ist dann auch so erschöpft, daß das Gras noch kümmerlicher darauf ge¬
deiht als vorher. Mit besserem Erfolge werden solche Brände auf gerodeten
Waldboden vorgenommen, wo man gewöhnlich die Aeste und Wurzeln der
Bäume mitverbrennt und nicht blos einen reichlichen Körnerertrag, sondern
auch später üppigen Holzwuchs erzielt.

Bevor wir in den Wald gelangen, passiren wir noch Wiesen und Moräste;
die ersteren, deren vorherrschende Blumenfarbe in dieser Jahreszeit bei uns



*) Derselbe Grundsatz gilt bekanntlich in den Ver. Staaten und ist die Ursache der hä߬
D. Red. lichen Wurmfenccn.
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[0324] anrichten kann!"") Wenn mir in Esthland meines Nachbars Kuh ein halbes Feld abgeweidet hat, so kann ich nichts thun, sobald er mir nachweist, daß mein Zaun ein Loch gehabt hat! Die Felder dehnen sich in unabsehbare Ferne aus; das Winterkorn grünt lustig und verspricht eine reichliche Ernte, denn es hat weder von der Kälte gelitten, noch ist es vom Kornwurm ver¬ wüstet worden. Der Frost tritt hier manchmal kurz vor der Blüte wieder so heftig auf, daß besonders in Waldfeldern die Halme ganz weiß werden, als waren sie reif. Außer den gewöhnlichen Engerlingen ist noch die Raupe der xdalaena nootria oft eine Hauptfeindin der jungen Saat, welche dafür später nur sehr selten von Hagelwettern heimgesucht wird. — Ein anderer Theil der Felder wird eben erst bestellt und wir sehen eine große Anzahl Bauern pflügen und eggen. Die Bestellung des Landes wird immer en magss be¬ trieben. Denn da wol die Zahl der Tage deS „GehorchS" im Jahre fest¬ gesetzt ist, nicht aber die Zeit der Leistung, so sucht sich der Herr die vom Wetter am meisten begünstigte Zeit heraus und bietet dann die Arbeiter compagnienweise auf. Mit dem Stocke in der Hand, scheltend und schlagend, treibt der Aufseher (esthnisch: Kubjas, keltisch: Wagger) zur Eile an r^ut die ohnehin ohne Freude und Eifer verrichtete Zwangsarbeit gewinnt dadurch nur noch mehr den Schein der Oberflächlichkeit. Außerdem liegt auch in der Be¬ schaffenheit der Ackerwerkzeuge, welche die Fröhner selbst mitbringen müssen, wenig Hoffnung auf Gründlichkeit der Arbeit; denn der hiesige räderlose, flach einschneidende Pflug durchkratzt blos die Erdrinde, anstatt sie zu durchfurchen, und die leichte hölzerne Egge verursacht mehr Staub als Lockerheit der Schollen. Da man aber seit Jahrhunderten so verfahren ist, liegt natürlich das tragbare Land nicht tief und die in Knechtswirthschaften versuchte Anwendung neuerer Pflüge erfordert deS todten Landes und der vielen Feldsteine wegen große Vorsicht. In der Ferne sehen wir aus einer breiten Strecke den Erdboden rauchen; es ist nach der Erklärung des Barons „ein. Küttisbrand", den die Bauern aus einer wüst liegenden Stelle vornehmen. Man sticht dazu den dürftigen Nasen vollständig heraus und baut daraus mit untermischten Reisig kleine Meiler. Diese Arbeit belohnt sich wol durch eine Ernte; allein der Boden ist dann auch so erschöpft, daß das Gras noch kümmerlicher darauf ge¬ deiht als vorher. Mit besserem Erfolge werden solche Brände auf gerodeten Waldboden vorgenommen, wo man gewöhnlich die Aeste und Wurzeln der Bäume mitverbrennt und nicht blos einen reichlichen Körnerertrag, sondern auch später üppigen Holzwuchs erzielt. Bevor wir in den Wald gelangen, passiren wir noch Wiesen und Moräste; die ersteren, deren vorherrschende Blumenfarbe in dieser Jahreszeit bei uns *) Derselbe Grundsatz gilt bekanntlich in den Ver. Staaten und ist die Ursache der hä߬ D. Red. lichen Wurmfenccn.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104200/324>, abgerufen am 22.07.2024.