Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band.vergißt. Er ist streng und unerbittlich gegen seine Gegner. Er besitzt in der Es verstand sich von sich selbst, daß die erste Restauration sich ihres vergißt. Er ist streng und unerbittlich gegen seine Gegner. Er besitzt in der Es verstand sich von sich selbst, daß die erste Restauration sich ihres <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0309" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/104510"/> <p xml:id="ID_825" prev="#ID_824"> vergißt. Er ist streng und unerbittlich gegen seine Gegner. Er besitzt in der<lb/> Widerlegung eine niederschmetternde Kürze, die um so eindringlicher wirkt, da<lb/> der Ausdruck immer fein bleibt. So wenn er von der sensualistischen Philo¬<lb/> sophie spricht, die durch ihre Paradvrien die Menge von einem Theil der<lb/> Achtung befreit, die sie von ihr verlangt. Obgleich immer ernst, wird er doch<lb/> nie Pedant. Seine Einbildungskraft arbeitet mit dem Verstände in gleicher<lb/> Richtung. Der Ausdruck steht ihm in seiner ganzen Fülle zu Gebot; er ver¬<lb/> steckt seine Leidenschaft nicht, er läßt ihr vielmehr freien Lauf, und die Stärke<lb/> seiner eignen Ueberzeugung prägt, sich dem weniger entwickelten Willen seiner<lb/> Zuhörer ein, die sich zugleich an der Ueberlegenheit erfreuen, mit welcher die<lb/> Gegner zu Boden geschlagen werden. Diese Macht der Gesinnung, die seine<lb/> Wirksamkeit so außerordentlich steigerte, war zugleich die Schwäche seiner<lb/> Wissenschaft. , Aus sittlichen Gründen war er Gegner von Cabanis und Se.<lb/> Lambert; er bekämpfte sie in den Ansichten ihres Lehrers Condillac. Die<lb/> Psychologie war in seinen Augen nicht der Zweck, sondern das Mittel. Er<lb/> analysirte nicht aus rein wissenschaftlichem Interesse, sondern um die Mate¬<lb/> rialisten und Skeptiker zu widerlegen. Seine Ueberzeugung war fertig, bevor<lb/> er die.Thatsachen sammelte und erörterte, und so wurden die wissenschaftlichen<lb/> Thatsachen nach dem Bedürfniß der sittlichen Ueberzeugung modificirt. Er<lb/> hat auf die öffentliche Meinung einen mächtigen und heilsamen Einfluß aus¬<lb/> geübt, die eigentliche Wissenschaft hat er nicht gefördert. Später hat er es<lb/> mitunter bedauert, daß die Restauration ihn den wissenschaftlichen Arbeiten<lb/> entfremdete; er konnte aber mit Beruhigung seinen Lehrstuhl ausgeben, da er<lb/> ihn seinen eifrigen und talentvollen Schülern, Cousin :c., „den Fürsten der<lb/> Jugend," überließ.</p><lb/> <p xml:id="ID_826" next="#ID_827"> Es verstand sich von sich selbst, daß die erste Restauration sich ihres<lb/> alten Anhängers erinnerte. Er erhielt eine bedeutende Stelle im Unterrichts¬<lb/> wesen, man bot ihm auch einen Adelsbrief an. Was den letztern betrifft, so<lb/> erwiderte er dem Minister: „Meine Hingebung an die Sache des Königthums<lb/> ist groß genug, um diese Impertinenz zu vergessen." Dieser Bürgerstolz gehört<lb/> auch zu seinen wesentlichen Charakterzügen. Nach der zweiten Restauration<lb/> wurde er Deputierter, und zugleich Präsident der Commission für das Unter¬<lb/> richtswesen. Was seine politische Ueberzeugung betrifft, so war ihm die con-<lb/> stitutionelle Form nicht die Hauptsache, wie ihm denn überhaupt die Negie¬<lb/> rung nur als ein Mittel zum Zweck erschien. Einheit pes Staats, unbeding¬<lb/> ter Fortschritt der Bildung, Aufhebung aller Vorrechte, Gleichheit vor dem<lb/> Gesetz, Glaubensfreiheit und feste Ordnung der. Rechtsverhältnisse, das war<lb/> der Inhalt seines Programms. Das Erbkönigthum und das Repräsentativ-<lb/> system erschienen ihm als zweckmäßige Mittel zur Durchführung dieses Pro¬<lb/> gramms, aber eben nur als Mittel. Einen Doktrinär im eigentlichen Sinn</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0309]
vergißt. Er ist streng und unerbittlich gegen seine Gegner. Er besitzt in der
Widerlegung eine niederschmetternde Kürze, die um so eindringlicher wirkt, da
der Ausdruck immer fein bleibt. So wenn er von der sensualistischen Philo¬
sophie spricht, die durch ihre Paradvrien die Menge von einem Theil der
Achtung befreit, die sie von ihr verlangt. Obgleich immer ernst, wird er doch
nie Pedant. Seine Einbildungskraft arbeitet mit dem Verstände in gleicher
Richtung. Der Ausdruck steht ihm in seiner ganzen Fülle zu Gebot; er ver¬
steckt seine Leidenschaft nicht, er läßt ihr vielmehr freien Lauf, und die Stärke
seiner eignen Ueberzeugung prägt, sich dem weniger entwickelten Willen seiner
Zuhörer ein, die sich zugleich an der Ueberlegenheit erfreuen, mit welcher die
Gegner zu Boden geschlagen werden. Diese Macht der Gesinnung, die seine
Wirksamkeit so außerordentlich steigerte, war zugleich die Schwäche seiner
Wissenschaft. , Aus sittlichen Gründen war er Gegner von Cabanis und Se.
Lambert; er bekämpfte sie in den Ansichten ihres Lehrers Condillac. Die
Psychologie war in seinen Augen nicht der Zweck, sondern das Mittel. Er
analysirte nicht aus rein wissenschaftlichem Interesse, sondern um die Mate¬
rialisten und Skeptiker zu widerlegen. Seine Ueberzeugung war fertig, bevor
er die.Thatsachen sammelte und erörterte, und so wurden die wissenschaftlichen
Thatsachen nach dem Bedürfniß der sittlichen Ueberzeugung modificirt. Er
hat auf die öffentliche Meinung einen mächtigen und heilsamen Einfluß aus¬
geübt, die eigentliche Wissenschaft hat er nicht gefördert. Später hat er es
mitunter bedauert, daß die Restauration ihn den wissenschaftlichen Arbeiten
entfremdete; er konnte aber mit Beruhigung seinen Lehrstuhl ausgeben, da er
ihn seinen eifrigen und talentvollen Schülern, Cousin :c., „den Fürsten der
Jugend," überließ.
Es verstand sich von sich selbst, daß die erste Restauration sich ihres
alten Anhängers erinnerte. Er erhielt eine bedeutende Stelle im Unterrichts¬
wesen, man bot ihm auch einen Adelsbrief an. Was den letztern betrifft, so
erwiderte er dem Minister: „Meine Hingebung an die Sache des Königthums
ist groß genug, um diese Impertinenz zu vergessen." Dieser Bürgerstolz gehört
auch zu seinen wesentlichen Charakterzügen. Nach der zweiten Restauration
wurde er Deputierter, und zugleich Präsident der Commission für das Unter¬
richtswesen. Was seine politische Ueberzeugung betrifft, so war ihm die con-
stitutionelle Form nicht die Hauptsache, wie ihm denn überhaupt die Negie¬
rung nur als ein Mittel zum Zweck erschien. Einheit pes Staats, unbeding¬
ter Fortschritt der Bildung, Aufhebung aller Vorrechte, Gleichheit vor dem
Gesetz, Glaubensfreiheit und feste Ordnung der. Rechtsverhältnisse, das war
der Inhalt seines Programms. Das Erbkönigthum und das Repräsentativ-
system erschienen ihm als zweckmäßige Mittel zur Durchführung dieses Pro¬
gramms, aber eben nur als Mittel. Einen Doktrinär im eigentlichen Sinn
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