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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band.

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der Fünfhundert einzutreten. Noch glaubte er an das Gedeihen der Republik,
aber als der Staatsstreich vom 18. Fructidor seine Wahl annullirte uni" eine
neue Verfolgung begann, meinte er einzusehen, daß nur die Wiederherstellung
der Monarchie ein geordnetes Staatsleben möglich mache. Das Princip der
Legitimität war bei ihm nicht, wie bei den meisten seiner Zeitgenossen, Sache
des Herzens und der Phantasie, sondern die Frucht reifer männlicher Studien,
ein Dogma der socialen Vernunft. Er war überzeugt, daß in dem fortwäh¬
renden Wechsel der öffentlichen Meinung eine bleibende Autorität aufrecht er¬
halten werden müsse, um die geschichtliche Tradition fortzupflanzen. Da bei
ihm die Ueberzeugung stets in die That überging, betheiligte er sich an einer
royalistischen Verschwörung und correspondirte mit dem Prätendenten, bis er
sich von der Fruchtlosigkeit dieser Bemühungen überzeugte und sich aufs Land
zurückzog. Die Aufrichtung des Kaiserthums konnte ihn in seiner royalistischen
Gesinnung nicht erschüttern, da er in ihm die Herrschaft der rohen Gewalt
verabscheute. Man hat später den heilsamen Einfluß dieser Periode wieder
anerkannt, die Zeitgenossen konnten nicht so unparteiisch sein: Die Allmacht
der Polizei, die Verachtung jedes freien Gedankens, die beständige Kriegfüh¬
rung ohne ein greifbares Ziel, die Willkür und Ungerechtigkeit gegen die Ein¬
zelnen, das alles mußte einen Mann empören, der von einem leidenschaftlichen
Rechtsgefühl durchdrungen war. -- Gleich nach seiner Rückkehr aufs Land
verheirathete er sich mit einer Dame aus einem altadeligen Hause. In der
Erziehung seiner Kinder bewährte er zunächst die Strenge seines Charakters.
Eine alte, ebensq fromme als praktische Haushälterin seiner Mutter erhielt die
Hauptleitung derselben. Die Kinder wurden den strengsten Entbehrungen
unterworfen; sie mußten sich durch häufigen Krankenbesuch mit dem Anblick
des Leidens und des Todes vertraut machen und sich überall daran gewöhnen,
rasch und verständig einzugreifen. Jei5e Stunde des Tages hatte ihre regel¬
mäßige Beschäftigung. Die Frivolitäten des Zeitalters, nicht blos die gesell¬
schaftlichen Vergnügungen und die Romanlectüre, sondern auch die Künste
waren verbannt; die Phantasie wurde unterdrückt, dagegen das Rechtsgefühl,
die Wahrheitsliebe und der gesunde Menschenverstand ausgebildet. Es war
nicht Trockenheit des Gemüths, aus der dieses Erziehungssystem hervorging,
sondern Ueberzeugung; und wenn der Vater von seinen Kindern unbedingte
Unterwerfung unter das Gebot der Pflicht verlangte, so ging er ihnen in der
Strenge gegen sich selbst voran.

Mittlerweile hatte der Kaiser 18-10 die Universität gegründet, und Royer-
Collard wurde durch seine beiden Freunde Pastoret und Fontanes nach langem
Sträuben bestimmt, -18-I-I den Lehrstuhl der Philosophie zu übernehmen. Man
konnte sein Bedenken wol begreifen, denn wenn er auch viel nachgedacht und
viel gelesen hatte, (Pascal, Corneille, Bossuet, Racine, La Bruyere, Mil-


der Fünfhundert einzutreten. Noch glaubte er an das Gedeihen der Republik,
aber als der Staatsstreich vom 18. Fructidor seine Wahl annullirte uni» eine
neue Verfolgung begann, meinte er einzusehen, daß nur die Wiederherstellung
der Monarchie ein geordnetes Staatsleben möglich mache. Das Princip der
Legitimität war bei ihm nicht, wie bei den meisten seiner Zeitgenossen, Sache
des Herzens und der Phantasie, sondern die Frucht reifer männlicher Studien,
ein Dogma der socialen Vernunft. Er war überzeugt, daß in dem fortwäh¬
renden Wechsel der öffentlichen Meinung eine bleibende Autorität aufrecht er¬
halten werden müsse, um die geschichtliche Tradition fortzupflanzen. Da bei
ihm die Ueberzeugung stets in die That überging, betheiligte er sich an einer
royalistischen Verschwörung und correspondirte mit dem Prätendenten, bis er
sich von der Fruchtlosigkeit dieser Bemühungen überzeugte und sich aufs Land
zurückzog. Die Aufrichtung des Kaiserthums konnte ihn in seiner royalistischen
Gesinnung nicht erschüttern, da er in ihm die Herrschaft der rohen Gewalt
verabscheute. Man hat später den heilsamen Einfluß dieser Periode wieder
anerkannt, die Zeitgenossen konnten nicht so unparteiisch sein: Die Allmacht
der Polizei, die Verachtung jedes freien Gedankens, die beständige Kriegfüh¬
rung ohne ein greifbares Ziel, die Willkür und Ungerechtigkeit gegen die Ein¬
zelnen, das alles mußte einen Mann empören, der von einem leidenschaftlichen
Rechtsgefühl durchdrungen war. — Gleich nach seiner Rückkehr aufs Land
verheirathete er sich mit einer Dame aus einem altadeligen Hause. In der
Erziehung seiner Kinder bewährte er zunächst die Strenge seines Charakters.
Eine alte, ebensq fromme als praktische Haushälterin seiner Mutter erhielt die
Hauptleitung derselben. Die Kinder wurden den strengsten Entbehrungen
unterworfen; sie mußten sich durch häufigen Krankenbesuch mit dem Anblick
des Leidens und des Todes vertraut machen und sich überall daran gewöhnen,
rasch und verständig einzugreifen. Jei5e Stunde des Tages hatte ihre regel¬
mäßige Beschäftigung. Die Frivolitäten des Zeitalters, nicht blos die gesell¬
schaftlichen Vergnügungen und die Romanlectüre, sondern auch die Künste
waren verbannt; die Phantasie wurde unterdrückt, dagegen das Rechtsgefühl,
die Wahrheitsliebe und der gesunde Menschenverstand ausgebildet. Es war
nicht Trockenheit des Gemüths, aus der dieses Erziehungssystem hervorging,
sondern Ueberzeugung; und wenn der Vater von seinen Kindern unbedingte
Unterwerfung unter das Gebot der Pflicht verlangte, so ging er ihnen in der
Strenge gegen sich selbst voran.

Mittlerweile hatte der Kaiser 18-10 die Universität gegründet, und Royer-
Collard wurde durch seine beiden Freunde Pastoret und Fontanes nach langem
Sträuben bestimmt, -18-I-I den Lehrstuhl der Philosophie zu übernehmen. Man
konnte sein Bedenken wol begreifen, denn wenn er auch viel nachgedacht und
viel gelesen hatte, (Pascal, Corneille, Bossuet, Racine, La Bruyere, Mil-


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[0306] der Fünfhundert einzutreten. Noch glaubte er an das Gedeihen der Republik, aber als der Staatsstreich vom 18. Fructidor seine Wahl annullirte uni» eine neue Verfolgung begann, meinte er einzusehen, daß nur die Wiederherstellung der Monarchie ein geordnetes Staatsleben möglich mache. Das Princip der Legitimität war bei ihm nicht, wie bei den meisten seiner Zeitgenossen, Sache des Herzens und der Phantasie, sondern die Frucht reifer männlicher Studien, ein Dogma der socialen Vernunft. Er war überzeugt, daß in dem fortwäh¬ renden Wechsel der öffentlichen Meinung eine bleibende Autorität aufrecht er¬ halten werden müsse, um die geschichtliche Tradition fortzupflanzen. Da bei ihm die Ueberzeugung stets in die That überging, betheiligte er sich an einer royalistischen Verschwörung und correspondirte mit dem Prätendenten, bis er sich von der Fruchtlosigkeit dieser Bemühungen überzeugte und sich aufs Land zurückzog. Die Aufrichtung des Kaiserthums konnte ihn in seiner royalistischen Gesinnung nicht erschüttern, da er in ihm die Herrschaft der rohen Gewalt verabscheute. Man hat später den heilsamen Einfluß dieser Periode wieder anerkannt, die Zeitgenossen konnten nicht so unparteiisch sein: Die Allmacht der Polizei, die Verachtung jedes freien Gedankens, die beständige Kriegfüh¬ rung ohne ein greifbares Ziel, die Willkür und Ungerechtigkeit gegen die Ein¬ zelnen, das alles mußte einen Mann empören, der von einem leidenschaftlichen Rechtsgefühl durchdrungen war. — Gleich nach seiner Rückkehr aufs Land verheirathete er sich mit einer Dame aus einem altadeligen Hause. In der Erziehung seiner Kinder bewährte er zunächst die Strenge seines Charakters. Eine alte, ebensq fromme als praktische Haushälterin seiner Mutter erhielt die Hauptleitung derselben. Die Kinder wurden den strengsten Entbehrungen unterworfen; sie mußten sich durch häufigen Krankenbesuch mit dem Anblick des Leidens und des Todes vertraut machen und sich überall daran gewöhnen, rasch und verständig einzugreifen. Jei5e Stunde des Tages hatte ihre regel¬ mäßige Beschäftigung. Die Frivolitäten des Zeitalters, nicht blos die gesell¬ schaftlichen Vergnügungen und die Romanlectüre, sondern auch die Künste waren verbannt; die Phantasie wurde unterdrückt, dagegen das Rechtsgefühl, die Wahrheitsliebe und der gesunde Menschenverstand ausgebildet. Es war nicht Trockenheit des Gemüths, aus der dieses Erziehungssystem hervorging, sondern Ueberzeugung; und wenn der Vater von seinen Kindern unbedingte Unterwerfung unter das Gebot der Pflicht verlangte, so ging er ihnen in der Strenge gegen sich selbst voran. Mittlerweile hatte der Kaiser 18-10 die Universität gegründet, und Royer- Collard wurde durch seine beiden Freunde Pastoret und Fontanes nach langem Sträuben bestimmt, -18-I-I den Lehrstuhl der Philosophie zu übernehmen. Man konnte sein Bedenken wol begreifen, denn wenn er auch viel nachgedacht und viel gelesen hatte, (Pascal, Corneille, Bossuet, Racine, La Bruyere, Mil-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104200/306>, abgerufen am 24.08.2024.