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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band.

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das er laufen ließ und dort liegen blieb. Da ritt ein anderer grimmig auf
meinen Bruder zu, hieb ihm ein Stück vom Kopfe wol einen Thaler breit,
so daß ein Stück der Hirnschale, fast einen Deut groß, an dem abgehauenen
Stück sitzen blieb, und in demselben Hiebe mit der Spitze des Schwerts eine
Wunde in den Hals, ein halbes Viertel lang, daß er stürzte und als todt
behandelt wurde. Die Bösewichter plünderten den Wagen, bekamen alles,
was darauf war, ergriffen auch das Pferd ihres verwundeten Gesellen, und
da sie sahen, daß der so viel bekommen, daß nicht mehr viel von seinem Leben
vorhanden war, und da sie ihn nicht mit sich wegbringen konnten, ließen sie
ihn liegen. Dem Fuhrmann haben sie seine Pferde gelassen und sind mit dem
erlangten Raub davongeritten. Herr Heinrich Sonneberg ist aus den Büschen
wieder zum Wagen gekommen, sie haben meinen Bruder auf den Wagen ge¬
legt, die Frau hat sein Haupt mit ihren Tüchern umwunden in ihrem Schoße
gehalten, den todten Körper legten sie ihm zwischen die Beine, und fuhren so
langsam nach Nibbenitz. Dort wurde ihm so weit die Wunde verbunden, daß der
Chirurgus ihm an dem Hals etliche Hefte legen mußte. Das erscholl zu Rostock.
Der Rath schickte seine Diener an den Ort, die fanden den verwundeten
Schnapphahn und nahmen ihn mit sich nach Rostock, aber sobald sie ihn in
das Gefängniß brachten, verschied er leider, so daß man von ihm nicht erfahren
konnte, wer die andern waren. Doch blieb es nicht so ganz geheim, aber es
wurde von der Freundschaft vertuscht, daß es nicht jedermann erfahren möchte,
und so getrieben, daß gebührender Ernst von der hohen Obrigkeit nicht gebraucht
ward. Der todte Bösewicht jedoch wurde vors Recht gebracht und vom Gericht
hinaus vor die Landwehr geführt, daselbst wurde ihm der Kopf abgehauen und
auf den Staaten gesetzt, worauf er viele Jahre gesehn ward. Lagebusch brachte
die Geschichte nach Stralsund, der Rath ließ meinem Vater einen verschlossenen
Wagen mit vier Stadtpferden folgen, wir nahmen Betten mit und fuhren noch
den AveNd aus und durch die Nacht, fo daß wir am Morgen früh zu Nibbe¬
nitz ankamen. Wir fanden meinen Bruder gar schwach, blieben aber um der
Pferde willen den Tag zu Nibbenitz und ließen den entleibten Hermann
Lepper, nachdem gebührender Weise vor Gericht daS Recht über ihn gegangen
war, christlich und ehrlich zur Erde bestatten. Gegen Abend fuhren wir aus
Nibbenitz, die Nacht über nur Schritt vor Schritt, so daß wir den andern
Tag gegen Mittag in Stralsund ankamen. Als Meister Joachim Geelhar,
der berühmte Wundarzt, die Wunde in rechten Schick gebracht, wurde der
Patient ordentlich und bald geheilt.




das er laufen ließ und dort liegen blieb. Da ritt ein anderer grimmig auf
meinen Bruder zu, hieb ihm ein Stück vom Kopfe wol einen Thaler breit,
so daß ein Stück der Hirnschale, fast einen Deut groß, an dem abgehauenen
Stück sitzen blieb, und in demselben Hiebe mit der Spitze des Schwerts eine
Wunde in den Hals, ein halbes Viertel lang, daß er stürzte und als todt
behandelt wurde. Die Bösewichter plünderten den Wagen, bekamen alles,
was darauf war, ergriffen auch das Pferd ihres verwundeten Gesellen, und
da sie sahen, daß der so viel bekommen, daß nicht mehr viel von seinem Leben
vorhanden war, und da sie ihn nicht mit sich wegbringen konnten, ließen sie
ihn liegen. Dem Fuhrmann haben sie seine Pferde gelassen und sind mit dem
erlangten Raub davongeritten. Herr Heinrich Sonneberg ist aus den Büschen
wieder zum Wagen gekommen, sie haben meinen Bruder auf den Wagen ge¬
legt, die Frau hat sein Haupt mit ihren Tüchern umwunden in ihrem Schoße
gehalten, den todten Körper legten sie ihm zwischen die Beine, und fuhren so
langsam nach Nibbenitz. Dort wurde ihm so weit die Wunde verbunden, daß der
Chirurgus ihm an dem Hals etliche Hefte legen mußte. Das erscholl zu Rostock.
Der Rath schickte seine Diener an den Ort, die fanden den verwundeten
Schnapphahn und nahmen ihn mit sich nach Rostock, aber sobald sie ihn in
das Gefängniß brachten, verschied er leider, so daß man von ihm nicht erfahren
konnte, wer die andern waren. Doch blieb es nicht so ganz geheim, aber es
wurde von der Freundschaft vertuscht, daß es nicht jedermann erfahren möchte,
und so getrieben, daß gebührender Ernst von der hohen Obrigkeit nicht gebraucht
ward. Der todte Bösewicht jedoch wurde vors Recht gebracht und vom Gericht
hinaus vor die Landwehr geführt, daselbst wurde ihm der Kopf abgehauen und
auf den Staaten gesetzt, worauf er viele Jahre gesehn ward. Lagebusch brachte
die Geschichte nach Stralsund, der Rath ließ meinem Vater einen verschlossenen
Wagen mit vier Stadtpferden folgen, wir nahmen Betten mit und fuhren noch
den AveNd aus und durch die Nacht, fo daß wir am Morgen früh zu Nibbe¬
nitz ankamen. Wir fanden meinen Bruder gar schwach, blieben aber um der
Pferde willen den Tag zu Nibbenitz und ließen den entleibten Hermann
Lepper, nachdem gebührender Weise vor Gericht daS Recht über ihn gegangen
war, christlich und ehrlich zur Erde bestatten. Gegen Abend fuhren wir aus
Nibbenitz, die Nacht über nur Schritt vor Schritt, so daß wir den andern
Tag gegen Mittag in Stralsund ankamen. Als Meister Joachim Geelhar,
der berühmte Wundarzt, die Wunde in rechten Schick gebracht, wurde der
Patient ordentlich und bald geheilt.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104200/29>, abgerufen am 12.12.2024.