Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Es ist ein seltsames Zusammentreffen, daß in die Krisis die Feier des Kur¬
ban Bairam oder das muselmanische Opferfest hineinfällt. Während man sich auf
den Straßen der fränkischen Quartiere allerwärts über das Drängniß des Augen¬
blicks unterhielt, zogen durch die engen Gassen der türkischen Viertel mit gesenktem
Haupte viele tausend Widder, und wurde die ganze Aufmerksamkeit und das aus¬
schließliche Interesse der moslcmitischen Bevölkerung davon in Anspruch genommen,
beim Kauf einen fetten Hammel zu erwischen. Das Hirtenleben drängt sich bei
diesem einstigen Nomadenvolk noch heute dann und wann bis in die Mitte seiner
großen Hauptstadt ein, und eine bedeutungsvolle Reminiscenz früherer Zeiten ist
es, wenn heute der Padischah in der Dschami des Sultan Achmed sein Opfer voll¬
zog d. h. einen Widder mit eigner Hand schlachtete. Dem Thier sind die Hörner
vergoldet und zwei Kammerherrn halten es bei der Execution.




Literatur.

Erde und Ewigkeit. Von G. H. Otto Volger. Frankfurt a. M. Ver¬
lag von Meidinger, Sohn und.Conip. -- Der Verfasser gibt seinem Buch den Ne-
bentitel: "Natürliche Geschichte der Erde als kreisender Entwickelungsgang im Ge¬
gensatze zur naturwidriger Geologie der Revolutionen und Katastrophen." Die
Ausführung dieses Themas macht aus den ersten Blick den Eindruck des Wunder¬
lichen. Die Form ist halb Poesie, halb Prosa, eine Art Prvphetcnsprachc, die in
der Einleitung: "Menschliches Streben: Ein Friedensgruß Vorübergehenden und
Eintretenden" überschrieben, ein vollkommner Dithyrambus, halb Bombast, l/ath
Sentimentalität ist und auch in den folgenden Capiteln: 1. Endlichkeit und Ewig¬
keit. Betrachtungen in den Vorhallen. S. Urkunden zur Geschichte der Erde. Eine
Rundschau im Heiligthum der Wissenschaft. Die ewige Zerstörung. Die ewige
Wage. Die ewige Verjüngung u. s. w. sich in den eigensten Formen bewegt.
Der Verfasser scheint von dem, was er gesunden,' förmlich berauscht zu sein, und
Man sollte hinter seinem Phrascnputz kaum einen Mann der Wissenschaft vermuthen.
Dennoch ist er ein tüchtiger Mineralog, ein ziemlich scharfer Denker, ein gebildeter
Mann überhaupt. Sein Ziel, der Beweis der Sätze: Es gibt nichts Neues unter
der Sonne; kein Ding hat einen Anfang, keins ein Ende; die Annahme eines auf¬
steigenden Entwickelungsganges hat nicht den Schatten eines Rechts für sich, alles
Werden ist ewiger Kreislauf u. a. fällt unter sein eignes Gesetz, d. h. die Behaup¬
tung ist auch nichts Neues, schon einer der sieben Weisen Griechenlands trug sie
vor. Daß sie richtig ist, wird ihm der eine und der andere Naturforscher, sicher
aber kein Kenner der Geschichte zugeben. Wäre sonach der letzte Gewinn, den das
Buch erstrebt, werthlos, so kann man aus dem Apparat, den es anwendet, um da¬
hin zu gelangen, viel schätzbares lernen und manches Vorurtheil verlieren, und
so bleibt von der Lectüre der Schrift immerhin so viel zurück, daß man dem Ver-


Es ist ein seltsames Zusammentreffen, daß in die Krisis die Feier des Kur¬
ban Bairam oder das muselmanische Opferfest hineinfällt. Während man sich auf
den Straßen der fränkischen Quartiere allerwärts über das Drängniß des Augen¬
blicks unterhielt, zogen durch die engen Gassen der türkischen Viertel mit gesenktem
Haupte viele tausend Widder, und wurde die ganze Aufmerksamkeit und das aus¬
schließliche Interesse der moslcmitischen Bevölkerung davon in Anspruch genommen,
beim Kauf einen fetten Hammel zu erwischen. Das Hirtenleben drängt sich bei
diesem einstigen Nomadenvolk noch heute dann und wann bis in die Mitte seiner
großen Hauptstadt ein, und eine bedeutungsvolle Reminiscenz früherer Zeiten ist
es, wenn heute der Padischah in der Dschami des Sultan Achmed sein Opfer voll¬
zog d. h. einen Widder mit eigner Hand schlachtete. Dem Thier sind die Hörner
vergoldet und zwei Kammerherrn halten es bei der Execution.




Literatur.

Erde und Ewigkeit. Von G. H. Otto Volger. Frankfurt a. M. Ver¬
lag von Meidinger, Sohn und.Conip. — Der Verfasser gibt seinem Buch den Ne-
bentitel: „Natürliche Geschichte der Erde als kreisender Entwickelungsgang im Ge¬
gensatze zur naturwidriger Geologie der Revolutionen und Katastrophen." Die
Ausführung dieses Themas macht aus den ersten Blick den Eindruck des Wunder¬
lichen. Die Form ist halb Poesie, halb Prosa, eine Art Prvphetcnsprachc, die in
der Einleitung: „Menschliches Streben: Ein Friedensgruß Vorübergehenden und
Eintretenden" überschrieben, ein vollkommner Dithyrambus, halb Bombast, l/ath
Sentimentalität ist und auch in den folgenden Capiteln: 1. Endlichkeit und Ewig¬
keit. Betrachtungen in den Vorhallen. S. Urkunden zur Geschichte der Erde. Eine
Rundschau im Heiligthum der Wissenschaft. Die ewige Zerstörung. Die ewige
Wage. Die ewige Verjüngung u. s. w. sich in den eigensten Formen bewegt.
Der Verfasser scheint von dem, was er gesunden,' förmlich berauscht zu sein, und
Man sollte hinter seinem Phrascnputz kaum einen Mann der Wissenschaft vermuthen.
Dennoch ist er ein tüchtiger Mineralog, ein ziemlich scharfer Denker, ein gebildeter
Mann überhaupt. Sein Ziel, der Beweis der Sätze: Es gibt nichts Neues unter
der Sonne; kein Ding hat einen Anfang, keins ein Ende; die Annahme eines auf¬
steigenden Entwickelungsganges hat nicht den Schatten eines Rechts für sich, alles
Werden ist ewiger Kreislauf u. a. fällt unter sein eignes Gesetz, d. h. die Behaup¬
tung ist auch nichts Neues, schon einer der sieben Weisen Griechenlands trug sie
vor. Daß sie richtig ist, wird ihm der eine und der andere Naturforscher, sicher
aber kein Kenner der Geschichte zugeben. Wäre sonach der letzte Gewinn, den das
Buch erstrebt, werthlos, so kann man aus dem Apparat, den es anwendet, um da¬
hin zu gelangen, viel schätzbares lernen und manches Vorurtheil verlieren, und
so bleibt von der Lectüre der Schrift immerhin so viel zurück, daß man dem Ver-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0287" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/104488"/>
            <p xml:id="ID_770"> Es ist ein seltsames Zusammentreffen, daß in die Krisis die Feier des Kur¬<lb/>
ban Bairam oder das muselmanische Opferfest hineinfällt. Während man sich auf<lb/>
den Straßen der fränkischen Quartiere allerwärts über das Drängniß des Augen¬<lb/>
blicks unterhielt, zogen durch die engen Gassen der türkischen Viertel mit gesenktem<lb/>
Haupte viele tausend Widder, und wurde die ganze Aufmerksamkeit und das aus¬<lb/>
schließliche Interesse der moslcmitischen Bevölkerung davon in Anspruch genommen,<lb/>
beim Kauf einen fetten Hammel zu erwischen. Das Hirtenleben drängt sich bei<lb/>
diesem einstigen Nomadenvolk noch heute dann und wann bis in die Mitte seiner<lb/>
großen Hauptstadt ein, und eine bedeutungsvolle Reminiscenz früherer Zeiten ist<lb/>
es, wenn heute der Padischah in der Dschami des Sultan Achmed sein Opfer voll¬<lb/>
zog d. h. einen Widder mit eigner Hand schlachtete. Dem Thier sind die Hörner<lb/>
vergoldet und zwei Kammerherrn halten es bei der Execution.</p><lb/>
            <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          </div>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Literatur.</head><lb/>
          <p xml:id="ID_771" next="#ID_772"> Erde und Ewigkeit. Von G. H. Otto Volger. Frankfurt a. M. Ver¬<lb/>
lag von Meidinger, Sohn und.Conip. &#x2014; Der Verfasser gibt seinem Buch den Ne-<lb/>
bentitel: &#x201E;Natürliche Geschichte der Erde als kreisender Entwickelungsgang im Ge¬<lb/>
gensatze zur naturwidriger Geologie der Revolutionen und Katastrophen." Die<lb/>
Ausführung dieses Themas macht aus den ersten Blick den Eindruck des Wunder¬<lb/>
lichen. Die Form ist halb Poesie, halb Prosa, eine Art Prvphetcnsprachc, die in<lb/>
der Einleitung: &#x201E;Menschliches Streben: Ein Friedensgruß Vorübergehenden und<lb/>
Eintretenden" überschrieben, ein vollkommner Dithyrambus, halb Bombast, l/ath<lb/>
Sentimentalität ist und auch in den folgenden Capiteln: 1. Endlichkeit und Ewig¬<lb/>
keit. Betrachtungen in den Vorhallen. S. Urkunden zur Geschichte der Erde. Eine<lb/>
Rundschau im Heiligthum der Wissenschaft. Die ewige Zerstörung. Die ewige<lb/>
Wage. Die ewige Verjüngung u. s. w. sich in den eigensten Formen bewegt.<lb/>
Der Verfasser scheint von dem, was er gesunden,' förmlich berauscht zu sein, und<lb/>
Man sollte hinter seinem Phrascnputz kaum einen Mann der Wissenschaft vermuthen.<lb/>
Dennoch ist er ein tüchtiger Mineralog, ein ziemlich scharfer Denker, ein gebildeter<lb/>
Mann überhaupt. Sein Ziel, der Beweis der Sätze: Es gibt nichts Neues unter<lb/>
der Sonne; kein Ding hat einen Anfang, keins ein Ende; die Annahme eines auf¬<lb/>
steigenden Entwickelungsganges hat nicht den Schatten eines Rechts für sich, alles<lb/>
Werden ist ewiger Kreislauf u. a. fällt unter sein eignes Gesetz, d. h. die Behaup¬<lb/>
tung ist auch nichts Neues, schon einer der sieben Weisen Griechenlands trug sie<lb/>
vor. Daß sie richtig ist, wird ihm der eine und der andere Naturforscher, sicher<lb/>
aber kein Kenner der Geschichte zugeben. Wäre sonach der letzte Gewinn, den das<lb/>
Buch erstrebt, werthlos, so kann man aus dem Apparat, den es anwendet, um da¬<lb/>
hin zu gelangen, viel schätzbares lernen und manches Vorurtheil verlieren, und<lb/>
so bleibt von der Lectüre der Schrift immerhin so viel zurück, daß man dem Ver-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0287] Es ist ein seltsames Zusammentreffen, daß in die Krisis die Feier des Kur¬ ban Bairam oder das muselmanische Opferfest hineinfällt. Während man sich auf den Straßen der fränkischen Quartiere allerwärts über das Drängniß des Augen¬ blicks unterhielt, zogen durch die engen Gassen der türkischen Viertel mit gesenktem Haupte viele tausend Widder, und wurde die ganze Aufmerksamkeit und das aus¬ schließliche Interesse der moslcmitischen Bevölkerung davon in Anspruch genommen, beim Kauf einen fetten Hammel zu erwischen. Das Hirtenleben drängt sich bei diesem einstigen Nomadenvolk noch heute dann und wann bis in die Mitte seiner großen Hauptstadt ein, und eine bedeutungsvolle Reminiscenz früherer Zeiten ist es, wenn heute der Padischah in der Dschami des Sultan Achmed sein Opfer voll¬ zog d. h. einen Widder mit eigner Hand schlachtete. Dem Thier sind die Hörner vergoldet und zwei Kammerherrn halten es bei der Execution. Literatur. Erde und Ewigkeit. Von G. H. Otto Volger. Frankfurt a. M. Ver¬ lag von Meidinger, Sohn und.Conip. — Der Verfasser gibt seinem Buch den Ne- bentitel: „Natürliche Geschichte der Erde als kreisender Entwickelungsgang im Ge¬ gensatze zur naturwidriger Geologie der Revolutionen und Katastrophen." Die Ausführung dieses Themas macht aus den ersten Blick den Eindruck des Wunder¬ lichen. Die Form ist halb Poesie, halb Prosa, eine Art Prvphetcnsprachc, die in der Einleitung: „Menschliches Streben: Ein Friedensgruß Vorübergehenden und Eintretenden" überschrieben, ein vollkommner Dithyrambus, halb Bombast, l/ath Sentimentalität ist und auch in den folgenden Capiteln: 1. Endlichkeit und Ewig¬ keit. Betrachtungen in den Vorhallen. S. Urkunden zur Geschichte der Erde. Eine Rundschau im Heiligthum der Wissenschaft. Die ewige Zerstörung. Die ewige Wage. Die ewige Verjüngung u. s. w. sich in den eigensten Formen bewegt. Der Verfasser scheint von dem, was er gesunden,' förmlich berauscht zu sein, und Man sollte hinter seinem Phrascnputz kaum einen Mann der Wissenschaft vermuthen. Dennoch ist er ein tüchtiger Mineralog, ein ziemlich scharfer Denker, ein gebildeter Mann überhaupt. Sein Ziel, der Beweis der Sätze: Es gibt nichts Neues unter der Sonne; kein Ding hat einen Anfang, keins ein Ende; die Annahme eines auf¬ steigenden Entwickelungsganges hat nicht den Schatten eines Rechts für sich, alles Werden ist ewiger Kreislauf u. a. fällt unter sein eignes Gesetz, d. h. die Behaup¬ tung ist auch nichts Neues, schon einer der sieben Weisen Griechenlands trug sie vor. Daß sie richtig ist, wird ihm der eine und der andere Naturforscher, sicher aber kein Kenner der Geschichte zugeben. Wäre sonach der letzte Gewinn, den das Buch erstrebt, werthlos, so kann man aus dem Apparat, den es anwendet, um da¬ hin zu gelangen, viel schätzbares lernen und manches Vorurtheil verlieren, und so bleibt von der Lectüre der Schrift immerhin so viel zurück, daß man dem Ver-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104200
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104200/287
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104200/287>, abgerufen am 12.12.2024.