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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band.

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zu, legen, ist von der Erfahrung noch nicht gegeben worden, denn die Ein¬
nahme von Kinburn, bei der beide mitwirkten, kann noch keineswegs für eine
ausreichende Probe angesehen werden. Ein Vorwurf, der den schwimmenden
Batterien gemacht wird, ist der, daß sie sich schwer dirigiren lassen. Ferner
muß es noch dahin gestellt bleiben, ob ihre Eisenpanzerung gegen spätere
bvlzensörmige und mit Spitzen aus Gußstahl versehene Geschosse ausreichen
wird. Endlich ist es Thatsache, daß sie einen bedeutenden Tiefgang haben
und darum in seichten Gewässern nicht mit demselben Vortheil wie die Kano¬
nenboote verwendet werden können. Die Affaire von Kinburn bot, in Hinsicht
auf die schwimmenden Batterien, nichts sehr Bemerkenswerthes dar. Es waren
tabu alles in allem drei im nahen Gefecht verwendet. Die eigentliche Ent¬
scheidung gaben nicht sie, sondern die Schraubenlinienschiffe.




Böranger.

Kaum haben wir über den Tod Alfred de Müssets berichtet, so trifft die
französische Lyrik ein zweiter, schwerer Schlag. Der vielgeliebte König der
Chanson ist gestorben. Zwar hat er seit vielen Jahren nichts gedichtet, aber
er war der Jugend ein Bild alter Hoffnungen, dem Alter eine Erinnerung
froher Tage. Das schönste Glück, das ein Dichter haben kann, war ihm zu
Theil geworden: ganz Frankreich wußte seine Lieder auswendig, ganz Frank¬
reich liebte seine Person. Er hat einen stattlichen Leichenzug gehabt; aber
seltsam, es waren nicht die Gestalten seiner Lieder, die seinem Sarge folgten,
eS waren schwarze Fracks, Uniformen, Livreen, was man will. Das Kaiser-
thum hat ihn bestattet, und eS wußte wohl, was eS that; das Volk war nur
Zuschauer, freilich nicht ein gleichgiltiger.

Es wird dem Deutschen schwer, an der französischen Lyrik einen un¬
mittelbaren Genuß zu finden. Bei den Engländern ist es anders. Byron,
Moore, Burns u. s. w. stehen uns in ihrer Form und in ihrer Empfindung so
nahe, daß wir es mit einheimischen Dichtern zu thun zu haben glauben; bei
den Franzosen dagegen, den Classtkern wie den Romantikern, müssen wir uns
erst künstlich den richtigen Gesichtspunkt aneignen, wir müssen uns daran
erinnern , daß den Romanen die äußere Schönheit deS Klanges wichtiger ist
als uns, und noch an vieles Andere; und wenn wir das mit dem gewissen¬
haftesten Eifer gethan, ist daS Resultat in der Regel doch nur ein geringes.
Nur ein Dichter macht eine Ausnahme: Beranger. Bei ihm haben wir keine
künstliche Perspective nöthig. Die Farbe seiner Bilder ist so lebhaft und


zu, legen, ist von der Erfahrung noch nicht gegeben worden, denn die Ein¬
nahme von Kinburn, bei der beide mitwirkten, kann noch keineswegs für eine
ausreichende Probe angesehen werden. Ein Vorwurf, der den schwimmenden
Batterien gemacht wird, ist der, daß sie sich schwer dirigiren lassen. Ferner
muß es noch dahin gestellt bleiben, ob ihre Eisenpanzerung gegen spätere
bvlzensörmige und mit Spitzen aus Gußstahl versehene Geschosse ausreichen
wird. Endlich ist es Thatsache, daß sie einen bedeutenden Tiefgang haben
und darum in seichten Gewässern nicht mit demselben Vortheil wie die Kano¬
nenboote verwendet werden können. Die Affaire von Kinburn bot, in Hinsicht
auf die schwimmenden Batterien, nichts sehr Bemerkenswerthes dar. Es waren
tabu alles in allem drei im nahen Gefecht verwendet. Die eigentliche Ent¬
scheidung gaben nicht sie, sondern die Schraubenlinienschiffe.




Böranger.

Kaum haben wir über den Tod Alfred de Müssets berichtet, so trifft die
französische Lyrik ein zweiter, schwerer Schlag. Der vielgeliebte König der
Chanson ist gestorben. Zwar hat er seit vielen Jahren nichts gedichtet, aber
er war der Jugend ein Bild alter Hoffnungen, dem Alter eine Erinnerung
froher Tage. Das schönste Glück, das ein Dichter haben kann, war ihm zu
Theil geworden: ganz Frankreich wußte seine Lieder auswendig, ganz Frank¬
reich liebte seine Person. Er hat einen stattlichen Leichenzug gehabt; aber
seltsam, es waren nicht die Gestalten seiner Lieder, die seinem Sarge folgten,
eS waren schwarze Fracks, Uniformen, Livreen, was man will. Das Kaiser-
thum hat ihn bestattet, und eS wußte wohl, was eS that; das Volk war nur
Zuschauer, freilich nicht ein gleichgiltiger.

Es wird dem Deutschen schwer, an der französischen Lyrik einen un¬
mittelbaren Genuß zu finden. Bei den Engländern ist es anders. Byron,
Moore, Burns u. s. w. stehen uns in ihrer Form und in ihrer Empfindung so
nahe, daß wir es mit einheimischen Dichtern zu thun zu haben glauben; bei
den Franzosen dagegen, den Classtkern wie den Romantikern, müssen wir uns
erst künstlich den richtigen Gesichtspunkt aneignen, wir müssen uns daran
erinnern , daß den Romanen die äußere Schönheit deS Klanges wichtiger ist
als uns, und noch an vieles Andere; und wenn wir das mit dem gewissen¬
haftesten Eifer gethan, ist daS Resultat in der Regel doch nur ein geringes.
Nur ein Dichter macht eine Ausnahme: Beranger. Bei ihm haben wir keine
künstliche Perspective nöthig. Die Farbe seiner Bilder ist so lebhaft und


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[0188] zu, legen, ist von der Erfahrung noch nicht gegeben worden, denn die Ein¬ nahme von Kinburn, bei der beide mitwirkten, kann noch keineswegs für eine ausreichende Probe angesehen werden. Ein Vorwurf, der den schwimmenden Batterien gemacht wird, ist der, daß sie sich schwer dirigiren lassen. Ferner muß es noch dahin gestellt bleiben, ob ihre Eisenpanzerung gegen spätere bvlzensörmige und mit Spitzen aus Gußstahl versehene Geschosse ausreichen wird. Endlich ist es Thatsache, daß sie einen bedeutenden Tiefgang haben und darum in seichten Gewässern nicht mit demselben Vortheil wie die Kano¬ nenboote verwendet werden können. Die Affaire von Kinburn bot, in Hinsicht auf die schwimmenden Batterien, nichts sehr Bemerkenswerthes dar. Es waren tabu alles in allem drei im nahen Gefecht verwendet. Die eigentliche Ent¬ scheidung gaben nicht sie, sondern die Schraubenlinienschiffe. Böranger. Kaum haben wir über den Tod Alfred de Müssets berichtet, so trifft die französische Lyrik ein zweiter, schwerer Schlag. Der vielgeliebte König der Chanson ist gestorben. Zwar hat er seit vielen Jahren nichts gedichtet, aber er war der Jugend ein Bild alter Hoffnungen, dem Alter eine Erinnerung froher Tage. Das schönste Glück, das ein Dichter haben kann, war ihm zu Theil geworden: ganz Frankreich wußte seine Lieder auswendig, ganz Frank¬ reich liebte seine Person. Er hat einen stattlichen Leichenzug gehabt; aber seltsam, es waren nicht die Gestalten seiner Lieder, die seinem Sarge folgten, eS waren schwarze Fracks, Uniformen, Livreen, was man will. Das Kaiser- thum hat ihn bestattet, und eS wußte wohl, was eS that; das Volk war nur Zuschauer, freilich nicht ein gleichgiltiger. Es wird dem Deutschen schwer, an der französischen Lyrik einen un¬ mittelbaren Genuß zu finden. Bei den Engländern ist es anders. Byron, Moore, Burns u. s. w. stehen uns in ihrer Form und in ihrer Empfindung so nahe, daß wir es mit einheimischen Dichtern zu thun zu haben glauben; bei den Franzosen dagegen, den Classtkern wie den Romantikern, müssen wir uns erst künstlich den richtigen Gesichtspunkt aneignen, wir müssen uns daran erinnern , daß den Romanen die äußere Schönheit deS Klanges wichtiger ist als uns, und noch an vieles Andere; und wenn wir das mit dem gewissen¬ haftesten Eifer gethan, ist daS Resultat in der Regel doch nur ein geringes. Nur ein Dichter macht eine Ausnahme: Beranger. Bei ihm haben wir keine künstliche Perspective nöthig. Die Farbe seiner Bilder ist so lebhaft und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104200/188>, abgerufen am 25.08.2024.