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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band.

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modernen Kaiserstaates, den Actiengesellschaften und Fondbörsen, zu gestatten.
Wer verstanden hat, sich von Se. Arnaud in so kaiserlicher Weise zu befreien,
der wäre auch mit andern zweideutigen Gestalten, die ihm aus seiner Ver¬
gangenheit übrig geblieben sind, fertig geworden. Seine wirkliche Stütze, das
Heer Frankreichs, hätte einen Kriegsherrn, der im kaiserlichen Purpur daS
straffe und rauhe Leben des Soldaten theilt und wie der Soldat mit finsterm
Blick auf die verschwenderische Hetärenwirthschaft der reich gewordenen Börsen¬
spieler hinblickt, fest in sein Herz geschlossen. Wahrscheinlich hätte sein Regi¬
ment in keinem Fall den gewalsamen Ursprung verleugnen können, und es ist
sehr fraglich, ob eS ihm gelungen wäre, das Präfectenregiment entbehrlich zu
machen und der Nation selbst eine wirkliche Betheiligung am Staat zu ge¬
währen. Aber eS lag nach menschlichem Ermessen in seiner Gewalt, dem
Staat eine neue Grundlage zu geben und den besten seiner Gegner so zu
imponiren, wie einst Cromwell seinen Engländern imponirt hat. Die Finanzen
Frankreichs mit eiserner Hand in Ordnung bringen, dem leichtsinnigen,
kleinlichen, sinnlichen Egoismus einer Generation ohne Ideal und Glauben
den Ernst einer tiefen festgeschlossenen Natur entgegensetzen, für sich selbst Nichts
beanspruchen als die Herrschaft, mit ruhiger Kälte und Nichtachtung die
Tageslaunen seiner Hauptstadt überdauern, das, so scheint einem Deutschen,
war die Rolle, welche dem neuen Kaiser einen Halt gegeben hätte, einen Halt,
der eS ziemlich gleichgiltig machte, in welchem arithmetischen Verhältniß seine
Popularität zu den stillen Wünschen seiner Gegner stand. Wie kommt eS
doch, daß er diese Rolle nicht gefunden hat? Daß grade unter seinem straffen
Regiment die Frivolität, Ruchlosigkeit und der rohe Materialismus so furchtbare
Fortschritte machen, daß grade seine Anhänger für die Hauptbeförderer solcher
Richtung gelten, und daß zu seinem eignen bitteren Leidwesen daS Kaiserreich
vielen Franzosen verhaßt wird, nicht wegen seines Ursprungs, sondern wegen
der Gemeinheit solcher, welche ihm anhängen? Möge man eine solche Frage
nicht mit der kurzen Antwort abfertigen, welche nahe liegt. Der Kaiser hat
durch sechs Jahre dem ungläubigen Europa bewiesen, daß er kein gewöhnlicher
Mensch ist, sein egoistisches Wollen war nicht nur stets durch Klugheit ge¬
regelt, sondern mehr als einmal auch durch weises und großartiges Handeln
geadelt. Er hat zum wenigsten das verdient, ohne Leidenschaft beurtheilt zu
werden. Auch Cromwell regierte durch Polizeiwirthschaft und Gewalt, auch
ihn hob eine ungeheure That zur Herrschaft, auch er behauptete sich gegen den
Willen der Intelligenten und Tüchtigen seines Volkes durch sein Heer und
durch feine Spione, und doch starb mit ihm einer der größten Regenten Eng¬
lands. Auch Frankreich stand seit dem ersten Napoleon nicht so respectirt
und einflußreich unter den Mächten Europas als jetzt; sein Heer, seine
Flotte, die auswärtige Politik seines Kaisers müssen auch den mißvergnügten


modernen Kaiserstaates, den Actiengesellschaften und Fondbörsen, zu gestatten.
Wer verstanden hat, sich von Se. Arnaud in so kaiserlicher Weise zu befreien,
der wäre auch mit andern zweideutigen Gestalten, die ihm aus seiner Ver¬
gangenheit übrig geblieben sind, fertig geworden. Seine wirkliche Stütze, das
Heer Frankreichs, hätte einen Kriegsherrn, der im kaiserlichen Purpur daS
straffe und rauhe Leben des Soldaten theilt und wie der Soldat mit finsterm
Blick auf die verschwenderische Hetärenwirthschaft der reich gewordenen Börsen¬
spieler hinblickt, fest in sein Herz geschlossen. Wahrscheinlich hätte sein Regi¬
ment in keinem Fall den gewalsamen Ursprung verleugnen können, und es ist
sehr fraglich, ob eS ihm gelungen wäre, das Präfectenregiment entbehrlich zu
machen und der Nation selbst eine wirkliche Betheiligung am Staat zu ge¬
währen. Aber eS lag nach menschlichem Ermessen in seiner Gewalt, dem
Staat eine neue Grundlage zu geben und den besten seiner Gegner so zu
imponiren, wie einst Cromwell seinen Engländern imponirt hat. Die Finanzen
Frankreichs mit eiserner Hand in Ordnung bringen, dem leichtsinnigen,
kleinlichen, sinnlichen Egoismus einer Generation ohne Ideal und Glauben
den Ernst einer tiefen festgeschlossenen Natur entgegensetzen, für sich selbst Nichts
beanspruchen als die Herrschaft, mit ruhiger Kälte und Nichtachtung die
Tageslaunen seiner Hauptstadt überdauern, das, so scheint einem Deutschen,
war die Rolle, welche dem neuen Kaiser einen Halt gegeben hätte, einen Halt,
der eS ziemlich gleichgiltig machte, in welchem arithmetischen Verhältniß seine
Popularität zu den stillen Wünschen seiner Gegner stand. Wie kommt eS
doch, daß er diese Rolle nicht gefunden hat? Daß grade unter seinem straffen
Regiment die Frivolität, Ruchlosigkeit und der rohe Materialismus so furchtbare
Fortschritte machen, daß grade seine Anhänger für die Hauptbeförderer solcher
Richtung gelten, und daß zu seinem eignen bitteren Leidwesen daS Kaiserreich
vielen Franzosen verhaßt wird, nicht wegen seines Ursprungs, sondern wegen
der Gemeinheit solcher, welche ihm anhängen? Möge man eine solche Frage
nicht mit der kurzen Antwort abfertigen, welche nahe liegt. Der Kaiser hat
durch sechs Jahre dem ungläubigen Europa bewiesen, daß er kein gewöhnlicher
Mensch ist, sein egoistisches Wollen war nicht nur stets durch Klugheit ge¬
regelt, sondern mehr als einmal auch durch weises und großartiges Handeln
geadelt. Er hat zum wenigsten das verdient, ohne Leidenschaft beurtheilt zu
werden. Auch Cromwell regierte durch Polizeiwirthschaft und Gewalt, auch
ihn hob eine ungeheure That zur Herrschaft, auch er behauptete sich gegen den
Willen der Intelligenten und Tüchtigen seines Volkes durch sein Heer und
durch feine Spione, und doch starb mit ihm einer der größten Regenten Eng¬
lands. Auch Frankreich stand seit dem ersten Napoleon nicht so respectirt
und einflußreich unter den Mächten Europas als jetzt; sein Heer, seine
Flotte, die auswärtige Politik seines Kaisers müssen auch den mißvergnügten


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[0174] modernen Kaiserstaates, den Actiengesellschaften und Fondbörsen, zu gestatten. Wer verstanden hat, sich von Se. Arnaud in so kaiserlicher Weise zu befreien, der wäre auch mit andern zweideutigen Gestalten, die ihm aus seiner Ver¬ gangenheit übrig geblieben sind, fertig geworden. Seine wirkliche Stütze, das Heer Frankreichs, hätte einen Kriegsherrn, der im kaiserlichen Purpur daS straffe und rauhe Leben des Soldaten theilt und wie der Soldat mit finsterm Blick auf die verschwenderische Hetärenwirthschaft der reich gewordenen Börsen¬ spieler hinblickt, fest in sein Herz geschlossen. Wahrscheinlich hätte sein Regi¬ ment in keinem Fall den gewalsamen Ursprung verleugnen können, und es ist sehr fraglich, ob eS ihm gelungen wäre, das Präfectenregiment entbehrlich zu machen und der Nation selbst eine wirkliche Betheiligung am Staat zu ge¬ währen. Aber eS lag nach menschlichem Ermessen in seiner Gewalt, dem Staat eine neue Grundlage zu geben und den besten seiner Gegner so zu imponiren, wie einst Cromwell seinen Engländern imponirt hat. Die Finanzen Frankreichs mit eiserner Hand in Ordnung bringen, dem leichtsinnigen, kleinlichen, sinnlichen Egoismus einer Generation ohne Ideal und Glauben den Ernst einer tiefen festgeschlossenen Natur entgegensetzen, für sich selbst Nichts beanspruchen als die Herrschaft, mit ruhiger Kälte und Nichtachtung die Tageslaunen seiner Hauptstadt überdauern, das, so scheint einem Deutschen, war die Rolle, welche dem neuen Kaiser einen Halt gegeben hätte, einen Halt, der eS ziemlich gleichgiltig machte, in welchem arithmetischen Verhältniß seine Popularität zu den stillen Wünschen seiner Gegner stand. Wie kommt eS doch, daß er diese Rolle nicht gefunden hat? Daß grade unter seinem straffen Regiment die Frivolität, Ruchlosigkeit und der rohe Materialismus so furchtbare Fortschritte machen, daß grade seine Anhänger für die Hauptbeförderer solcher Richtung gelten, und daß zu seinem eignen bitteren Leidwesen daS Kaiserreich vielen Franzosen verhaßt wird, nicht wegen seines Ursprungs, sondern wegen der Gemeinheit solcher, welche ihm anhängen? Möge man eine solche Frage nicht mit der kurzen Antwort abfertigen, welche nahe liegt. Der Kaiser hat durch sechs Jahre dem ungläubigen Europa bewiesen, daß er kein gewöhnlicher Mensch ist, sein egoistisches Wollen war nicht nur stets durch Klugheit ge¬ regelt, sondern mehr als einmal auch durch weises und großartiges Handeln geadelt. Er hat zum wenigsten das verdient, ohne Leidenschaft beurtheilt zu werden. Auch Cromwell regierte durch Polizeiwirthschaft und Gewalt, auch ihn hob eine ungeheure That zur Herrschaft, auch er behauptete sich gegen den Willen der Intelligenten und Tüchtigen seines Volkes durch sein Heer und durch feine Spione, und doch starb mit ihm einer der größten Regenten Eng¬ lands. Auch Frankreich stand seit dem ersten Napoleon nicht so respectirt und einflußreich unter den Mächten Europas als jetzt; sein Heer, seine Flotte, die auswärtige Politik seines Kaisers müssen auch den mißvergnügten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104200/174>, abgerufen am 22.07.2024.