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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band.

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oder ein ähnliches Manoeuver gegen die guten Sitten des Kaufmannsstandes
sei; man hat sich in Zeiten der Noth schon zu schlimmern Dingen entschlossen.
Aber der Wechsel beruht vor allem in der Sicherheit des Vertrauens in den
Gang des Verkehrs; wie aber, wenn die Capitalansammlung an vielen Enden
und Ecken ins Stocken gerathen ist und wenn das Vertrauen in die Zukunft
nur von den kürzesten Periodey lebt? Wir wollen gar nicht leugnen, daß der
erste Anlaß zum gesteigerten Disconto in der Unfähigkeit der großen Kapi¬
talisten und der Banken lag, den doppelten Ansprüchen der Fondsbörse und
des reellen Verkehrs zu genügen; aber die Permanenz dieses Zustandes gegen¬
über den hohen Procenten, welche bei größerer Sicherheit der kaufmännische
Verkehr bot, weist aus eine Krankheit dieses letztern hin, der nicht durch bloßen
Geldzufluß abzuhelfen ist. Wo sie liegt, das kann keinem Zweifel unterworfen
sein. Man wird aber auch erkennen, weshalb die vielfachen Mittel zur He¬
bung der Krankheit, welche nur auf Symptome loscurirten, ohne allen Er¬
folg waren.

Doch wir wollen unsere Leser nicht weiter in einem Labyrinth von Unter¬
suchungen herumfuhren, von denen nur die Hauptpunkte angedeutet werden
können. So viel wird aus dem Gesagten klar sein, daß neben der großen
Politik eine Kette von Ursachen und Wirkungen mitspielt, die weniger sichtbar
als die großen Ereignisse, aber auch weniger zu beherrschen sind, und ihre
Einflüsse auf diese nicht verfehlen. Daß dieser Nebenstrom oder Gegenstrom,
je nach der Lage der Dinge, sich im Gelde concentrirt, liegt eben darin, daß
das Geld der Repräsentant des wirthschaftlichen Werthes ist und die wirth¬
schaftliche Bewegung ihren eignen, von allerhöchsten und höchsten Befehlen
unabhängigen Gang geht. Man hat in Frankreich und anderswo nicht dem
Materialismus, sondern der schmuzigsten, aus Uebervortheilung gerichteten
Speculation einen Thron errichtet, der alle Kräfte, die ihm sich nahen, in
seinen Bereich zu ziehen sucht und das mit größerm Erfolge erreicht hat, als
man wahrscheinlich wollte und wollen konnte. Wir sagten aber schon zu An¬
fang, man kann keinen Bundesgenossen haben, der nicht Neigung hat, Herr
zu werden.

Daß der Zustand der wirthschaftlichen Entwicklung, wie er sich aus den
Politischen Verhältnissen ergibt, durch das Zusammentreffen mit andern Ereig¬
nissen der Zeit noch schwieriger wird, versteht sich von selbst. Wir rechnen
dahin nicht die Goldaufsindungen, die vielleicht eher ein Palliativ zu nennen
sind, das aber grade unter dem Einfluß der politischen Zustände nicht seine
ganze Kraft ausübt. Der größte Theil des in England ankommenden Goldes
geht nämlich auf den verschiedensten Wegen nach Frankreich hinüber, um dort
im Verkehr zu verschwinden, man weiß nicht wo und wie. Ein Theil mag
immerhin daS nach Asten abfließende Silber zu ersetzen bestimmt sein, kaun


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oder ein ähnliches Manoeuver gegen die guten Sitten des Kaufmannsstandes
sei; man hat sich in Zeiten der Noth schon zu schlimmern Dingen entschlossen.
Aber der Wechsel beruht vor allem in der Sicherheit des Vertrauens in den
Gang des Verkehrs; wie aber, wenn die Capitalansammlung an vielen Enden
und Ecken ins Stocken gerathen ist und wenn das Vertrauen in die Zukunft
nur von den kürzesten Periodey lebt? Wir wollen gar nicht leugnen, daß der
erste Anlaß zum gesteigerten Disconto in der Unfähigkeit der großen Kapi¬
talisten und der Banken lag, den doppelten Ansprüchen der Fondsbörse und
des reellen Verkehrs zu genügen; aber die Permanenz dieses Zustandes gegen¬
über den hohen Procenten, welche bei größerer Sicherheit der kaufmännische
Verkehr bot, weist aus eine Krankheit dieses letztern hin, der nicht durch bloßen
Geldzufluß abzuhelfen ist. Wo sie liegt, das kann keinem Zweifel unterworfen
sein. Man wird aber auch erkennen, weshalb die vielfachen Mittel zur He¬
bung der Krankheit, welche nur auf Symptome loscurirten, ohne allen Er¬
folg waren.

Doch wir wollen unsere Leser nicht weiter in einem Labyrinth von Unter¬
suchungen herumfuhren, von denen nur die Hauptpunkte angedeutet werden
können. So viel wird aus dem Gesagten klar sein, daß neben der großen
Politik eine Kette von Ursachen und Wirkungen mitspielt, die weniger sichtbar
als die großen Ereignisse, aber auch weniger zu beherrschen sind, und ihre
Einflüsse auf diese nicht verfehlen. Daß dieser Nebenstrom oder Gegenstrom,
je nach der Lage der Dinge, sich im Gelde concentrirt, liegt eben darin, daß
das Geld der Repräsentant des wirthschaftlichen Werthes ist und die wirth¬
schaftliche Bewegung ihren eignen, von allerhöchsten und höchsten Befehlen
unabhängigen Gang geht. Man hat in Frankreich und anderswo nicht dem
Materialismus, sondern der schmuzigsten, aus Uebervortheilung gerichteten
Speculation einen Thron errichtet, der alle Kräfte, die ihm sich nahen, in
seinen Bereich zu ziehen sucht und das mit größerm Erfolge erreicht hat, als
man wahrscheinlich wollte und wollen konnte. Wir sagten aber schon zu An¬
fang, man kann keinen Bundesgenossen haben, der nicht Neigung hat, Herr
zu werden.

Daß der Zustand der wirthschaftlichen Entwicklung, wie er sich aus den
Politischen Verhältnissen ergibt, durch das Zusammentreffen mit andern Ereig¬
nissen der Zeit noch schwieriger wird, versteht sich von selbst. Wir rechnen
dahin nicht die Goldaufsindungen, die vielleicht eher ein Palliativ zu nennen
sind, das aber grade unter dem Einfluß der politischen Zustände nicht seine
ganze Kraft ausübt. Der größte Theil des in England ankommenden Goldes
geht nämlich auf den verschiedensten Wegen nach Frankreich hinüber, um dort
im Verkehr zu verschwinden, man weiß nicht wo und wie. Ein Theil mag
immerhin daS nach Asten abfließende Silber zu ersetzen bestimmt sein, kaun


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104200/139>, abgerufen am 01.07.2024.