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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band.

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Moldau, und die Localregierung darf keinem östreichischen Unterthan zu
Leibe, ohne den Herrn Starosten vorher um Erlaubniß gebeten zu haben. Wenn
man sich erinnert, aus was für Leuten die große Majorität der Starosteischütz-
linge in den Provinzen besteht, und nun noch dazu nimmt, daß die Hälfte
der Juden mit östreichischen Pässen versehen sind, so kann man sich denken,
waS eine JSpravnitschie für unaufhörliche Plackereien mit dieser Classe der
Gesellschaft hat. Dabei sind die Starosten nicht etwa aus dem östreichischen
Ministerium detachirte Beamte, sondern Individuen, die man im Lande auf¬
findet und die den Gulden Münz, den ihnen jede Bittschrift einträgt, oft äußerst
nöthig haben. Menschen von sehr mangelhafter Bildung kommen daher nicht
selten zu solchen Posten, und es schwillt ihnen gewaltig der Kamm, wenn sie
den Doppeladler über ihre bescheidene Hausthür nageln können. Mit welcher
Grandezza diese kleinen Lichter während der östreichischen Occupation in den
Kreisstädten auftraten, war höchst ergötzlich zu beobachten, aber ein trauriges
Gefühl ergriff den Freund des Landes dabei. Daß dergleichen Verhältnisse
dazu beitragen müssen, die Herzen allem Oestreichischen zu entfremden, ist leicht
einzusehen. Auch das preußische Consulat in Jassy unterhält dergleichen Sta¬
rosten im Innern des Landes, aber in weit geringerer Anzahl, und es ist uns
nie ein Conflict derselben mit den Localbehörden zu Ohren gekommen.

Auch unter den Kaufleuten gibt es eine Menge Ausländer. Sie fangen
mit äußerst beschränkten Mitteln an und machen durchgehends so brillante
Geschäfte, daß sie gewöhnlich nach Verlauf einer Reihe von Jahren begütert
in die Heimath zurückkehren. Da sie durch keine Vorschrift an irgend eine
Specialität gebunden sind, so häufen sie in ihren Gewölben auf, was nur ir¬
gend als gangbarer Artikel gelten kann; wir haben schon Möbel, Gewehre,
Käse und Wein in einem Bücherladen, Stiefel bei einem Marchand-Tailleur,
und Cigarren bei einem Haarkräuöler gesehen. Diese Herrn verkaufen ihre
Waaren zu ungeheueren Preisen; waS man in Deutschland mit einem Thaler
bezahlt, kostet in der Moldau nicht selten drei, und wenn man ihnen ihre
Unverschämtheit vorwirft, so antworten sie zu ihrer Entschuldigung: wir sind
nicht der Luftveränderung wegen in die Moldau gekommen. Man könnte
ihnen diese Ansicht, die in civilisirten Ländern sehr viel strenger beurtheilt
werden würde, allenfalls verzeihen, wenn nicht bei vielen dieser Ausländer,
und besonders bei den Franzosen, die Sitte herrschte, nach Kräften loszuziehen
über das Land, daS sie ernährt. Je runder der Beutel wird, desto gröber
werden die Ausdrücke, mit denen sie ihre Vergleiche zwischen Jassy und Paris
oder Wien ausschmücken, bis das Vermögen gemacht ist und ein neuer Hunger¬
leider an die Stelle des abziehenden tritt. Die moldauischen Bojaren dulden
das mit wegwerfender Gleichgiltigkeit, und es sind uns nur wenige Beispiele
handgreiflicher Gegendemonstration vorgekommen.


Moldau, und die Localregierung darf keinem östreichischen Unterthan zu
Leibe, ohne den Herrn Starosten vorher um Erlaubniß gebeten zu haben. Wenn
man sich erinnert, aus was für Leuten die große Majorität der Starosteischütz-
linge in den Provinzen besteht, und nun noch dazu nimmt, daß die Hälfte
der Juden mit östreichischen Pässen versehen sind, so kann man sich denken,
waS eine JSpravnitschie für unaufhörliche Plackereien mit dieser Classe der
Gesellschaft hat. Dabei sind die Starosten nicht etwa aus dem östreichischen
Ministerium detachirte Beamte, sondern Individuen, die man im Lande auf¬
findet und die den Gulden Münz, den ihnen jede Bittschrift einträgt, oft äußerst
nöthig haben. Menschen von sehr mangelhafter Bildung kommen daher nicht
selten zu solchen Posten, und es schwillt ihnen gewaltig der Kamm, wenn sie
den Doppeladler über ihre bescheidene Hausthür nageln können. Mit welcher
Grandezza diese kleinen Lichter während der östreichischen Occupation in den
Kreisstädten auftraten, war höchst ergötzlich zu beobachten, aber ein trauriges
Gefühl ergriff den Freund des Landes dabei. Daß dergleichen Verhältnisse
dazu beitragen müssen, die Herzen allem Oestreichischen zu entfremden, ist leicht
einzusehen. Auch das preußische Consulat in Jassy unterhält dergleichen Sta¬
rosten im Innern des Landes, aber in weit geringerer Anzahl, und es ist uns
nie ein Conflict derselben mit den Localbehörden zu Ohren gekommen.

Auch unter den Kaufleuten gibt es eine Menge Ausländer. Sie fangen
mit äußerst beschränkten Mitteln an und machen durchgehends so brillante
Geschäfte, daß sie gewöhnlich nach Verlauf einer Reihe von Jahren begütert
in die Heimath zurückkehren. Da sie durch keine Vorschrift an irgend eine
Specialität gebunden sind, so häufen sie in ihren Gewölben auf, was nur ir¬
gend als gangbarer Artikel gelten kann; wir haben schon Möbel, Gewehre,
Käse und Wein in einem Bücherladen, Stiefel bei einem Marchand-Tailleur,
und Cigarren bei einem Haarkräuöler gesehen. Diese Herrn verkaufen ihre
Waaren zu ungeheueren Preisen; waS man in Deutschland mit einem Thaler
bezahlt, kostet in der Moldau nicht selten drei, und wenn man ihnen ihre
Unverschämtheit vorwirft, so antworten sie zu ihrer Entschuldigung: wir sind
nicht der Luftveränderung wegen in die Moldau gekommen. Man könnte
ihnen diese Ansicht, die in civilisirten Ländern sehr viel strenger beurtheilt
werden würde, allenfalls verzeihen, wenn nicht bei vielen dieser Ausländer,
und besonders bei den Franzosen, die Sitte herrschte, nach Kräften loszuziehen
über das Land, daS sie ernährt. Je runder der Beutel wird, desto gröber
werden die Ausdrücke, mit denen sie ihre Vergleiche zwischen Jassy und Paris
oder Wien ausschmücken, bis das Vermögen gemacht ist und ein neuer Hunger¬
leider an die Stelle des abziehenden tritt. Die moldauischen Bojaren dulden
das mit wegwerfender Gleichgiltigkeit, und es sind uns nur wenige Beispiele
handgreiflicher Gegendemonstration vorgekommen.


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[0125] Moldau, und die Localregierung darf keinem östreichischen Unterthan zu Leibe, ohne den Herrn Starosten vorher um Erlaubniß gebeten zu haben. Wenn man sich erinnert, aus was für Leuten die große Majorität der Starosteischütz- linge in den Provinzen besteht, und nun noch dazu nimmt, daß die Hälfte der Juden mit östreichischen Pässen versehen sind, so kann man sich denken, waS eine JSpravnitschie für unaufhörliche Plackereien mit dieser Classe der Gesellschaft hat. Dabei sind die Starosten nicht etwa aus dem östreichischen Ministerium detachirte Beamte, sondern Individuen, die man im Lande auf¬ findet und die den Gulden Münz, den ihnen jede Bittschrift einträgt, oft äußerst nöthig haben. Menschen von sehr mangelhafter Bildung kommen daher nicht selten zu solchen Posten, und es schwillt ihnen gewaltig der Kamm, wenn sie den Doppeladler über ihre bescheidene Hausthür nageln können. Mit welcher Grandezza diese kleinen Lichter während der östreichischen Occupation in den Kreisstädten auftraten, war höchst ergötzlich zu beobachten, aber ein trauriges Gefühl ergriff den Freund des Landes dabei. Daß dergleichen Verhältnisse dazu beitragen müssen, die Herzen allem Oestreichischen zu entfremden, ist leicht einzusehen. Auch das preußische Consulat in Jassy unterhält dergleichen Sta¬ rosten im Innern des Landes, aber in weit geringerer Anzahl, und es ist uns nie ein Conflict derselben mit den Localbehörden zu Ohren gekommen. Auch unter den Kaufleuten gibt es eine Menge Ausländer. Sie fangen mit äußerst beschränkten Mitteln an und machen durchgehends so brillante Geschäfte, daß sie gewöhnlich nach Verlauf einer Reihe von Jahren begütert in die Heimath zurückkehren. Da sie durch keine Vorschrift an irgend eine Specialität gebunden sind, so häufen sie in ihren Gewölben auf, was nur ir¬ gend als gangbarer Artikel gelten kann; wir haben schon Möbel, Gewehre, Käse und Wein in einem Bücherladen, Stiefel bei einem Marchand-Tailleur, und Cigarren bei einem Haarkräuöler gesehen. Diese Herrn verkaufen ihre Waaren zu ungeheueren Preisen; waS man in Deutschland mit einem Thaler bezahlt, kostet in der Moldau nicht selten drei, und wenn man ihnen ihre Unverschämtheit vorwirft, so antworten sie zu ihrer Entschuldigung: wir sind nicht der Luftveränderung wegen in die Moldau gekommen. Man könnte ihnen diese Ansicht, die in civilisirten Ländern sehr viel strenger beurtheilt werden würde, allenfalls verzeihen, wenn nicht bei vielen dieser Ausländer, und besonders bei den Franzosen, die Sitte herrschte, nach Kräften loszuziehen über das Land, daS sie ernährt. Je runder der Beutel wird, desto gröber werden die Ausdrücke, mit denen sie ihre Vergleiche zwischen Jassy und Paris oder Wien ausschmücken, bis das Vermögen gemacht ist und ein neuer Hunger¬ leider an die Stelle des abziehenden tritt. Die moldauischen Bojaren dulden das mit wegwerfender Gleichgiltigkeit, und es sind uns nur wenige Beispiele handgreiflicher Gegendemonstration vorgekommen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104200/125>, abgerufen am 22.07.2024.