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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band.

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aber dafür geht auch der hin und wieder ans Rohe streifende Uebermuth und die
in manchem anderen Lande zu findende Ueberzeugung von der eignen Un¬
fehlbarkeit mit verloren, was grade kein Unglück ist. Der moldauische Offizier
unterscheidet sich von dem Civilbeamten nur dadurch, daß er einen blauen
Rock mit rothem Kragen trägt; in allem Uebrigen steht er diesem gleich. Er
horcht aufmerksam auf die Erzählungen der Gereisten, schwärmt in der Hoff¬
nung, auch einmal die weite Welt zu sehen, und hält unterdeß fest an der
Ueberzeugung, daß sein Vaterland einer schönen Zukunft entgegengeht. Die
Vaterlandsliebe ist überhaupt sehr warm bei den Rumänen aller Classen.

Da wir uns vorgenommen haben, alle Bestandtheile der Bevölkerung zu
analysiren, so dürfen die zahllosen Juden nicht vergessen werden: sie bilden in
den Städten einen so bedeutenden Theil der Einwohnerschaft, daß am Sonn¬
abend Handel und Wandel zu stocken scheint, wenn der Hebräer seinen Laden
schließt.

Bei streng geregelten gesellschaftlichen Zuständen ist der Speculationsgeist
der Juden gewiß kein Unglück für das Land, das sie bewohnen und kann bei
einigem guten Willen selbst als eine Wohlthat in nationalökonomischer Hin¬
sicht gelten. Die Juden in Deutschland sind sogar hin und wieder recht wackere
Patrioten. In der Moldau aber ist das anders. Mit einigen ehrenhafter
Ausnahmen ist das Volk Abrahams hier eine Landplage.

Bettelarm kommen sie gewöhnlich über die Grenze, finden Unterstützung
bei ihren Glaubensgenossen, und fangen ihre Laufbahn in der Regel damit
an, daß sie in den Dörfer den Bauern spirituösen, Tabak und dergleichen
verkaufen, und eS ist kaum zu glauben, wie sie ihre Kunden behandeln, wenn
diese erst einmal einen Schluck über den Durst genommen. Mit doppelter
und dreifacher Kreide wird die Schuld deS Schnapsliebhabers angeschrieben,
der am Ende seine ganze Ernte um einen Spottpreis hergeben muß, um den
Gläubiger los zu werden. Beharrlich hält Moses das elende Leben in einer
von der Gutsherrschaft gepachteten Dorfschenke aus, erträgt die Prügel und
Fußtritte, die er zuweilen bekommt, wie die Schattenseite eines jeden irdischen
Glücks, sammelt sich endlich ein kleines Capital, und fängt dann an, Ge¬
schäfte in ausgedehntem Maßstabe zu treiben. Er wird Krämer in einer
Stadt, oder verlegt sich auf Branntwein- und Getreidehandel im Großen, sein
wichtigstes Geschäft bleibt jedenfalls der Wucher. Zehn Procent werden im
Lande als gesetzliche Zinsen angesehn; warum sie aber gesetzlich heißen, ist nicht
recht zu begreifen, da denen, die mehr als zehn Procent nehmen, kein Gesetz
zu Leibe geht. Ein Jude macht Ansprüche auf tiefempfundenen Dank, wenn
er auf erste Hypothek Geld zu 18 Procent vorschießt, und für kleine Summen
von 2--300 Ducaten, die der Leider in wenigen Monaten zurückerstatten zu
können hofft, sind 3, i und sogar S Procent monatlich durchaus nichts


aber dafür geht auch der hin und wieder ans Rohe streifende Uebermuth und die
in manchem anderen Lande zu findende Ueberzeugung von der eignen Un¬
fehlbarkeit mit verloren, was grade kein Unglück ist. Der moldauische Offizier
unterscheidet sich von dem Civilbeamten nur dadurch, daß er einen blauen
Rock mit rothem Kragen trägt; in allem Uebrigen steht er diesem gleich. Er
horcht aufmerksam auf die Erzählungen der Gereisten, schwärmt in der Hoff¬
nung, auch einmal die weite Welt zu sehen, und hält unterdeß fest an der
Ueberzeugung, daß sein Vaterland einer schönen Zukunft entgegengeht. Die
Vaterlandsliebe ist überhaupt sehr warm bei den Rumänen aller Classen.

Da wir uns vorgenommen haben, alle Bestandtheile der Bevölkerung zu
analysiren, so dürfen die zahllosen Juden nicht vergessen werden: sie bilden in
den Städten einen so bedeutenden Theil der Einwohnerschaft, daß am Sonn¬
abend Handel und Wandel zu stocken scheint, wenn der Hebräer seinen Laden
schließt.

Bei streng geregelten gesellschaftlichen Zuständen ist der Speculationsgeist
der Juden gewiß kein Unglück für das Land, das sie bewohnen und kann bei
einigem guten Willen selbst als eine Wohlthat in nationalökonomischer Hin¬
sicht gelten. Die Juden in Deutschland sind sogar hin und wieder recht wackere
Patrioten. In der Moldau aber ist das anders. Mit einigen ehrenhafter
Ausnahmen ist das Volk Abrahams hier eine Landplage.

Bettelarm kommen sie gewöhnlich über die Grenze, finden Unterstützung
bei ihren Glaubensgenossen, und fangen ihre Laufbahn in der Regel damit
an, daß sie in den Dörfer den Bauern spirituösen, Tabak und dergleichen
verkaufen, und eS ist kaum zu glauben, wie sie ihre Kunden behandeln, wenn
diese erst einmal einen Schluck über den Durst genommen. Mit doppelter
und dreifacher Kreide wird die Schuld deS Schnapsliebhabers angeschrieben,
der am Ende seine ganze Ernte um einen Spottpreis hergeben muß, um den
Gläubiger los zu werden. Beharrlich hält Moses das elende Leben in einer
von der Gutsherrschaft gepachteten Dorfschenke aus, erträgt die Prügel und
Fußtritte, die er zuweilen bekommt, wie die Schattenseite eines jeden irdischen
Glücks, sammelt sich endlich ein kleines Capital, und fängt dann an, Ge¬
schäfte in ausgedehntem Maßstabe zu treiben. Er wird Krämer in einer
Stadt, oder verlegt sich auf Branntwein- und Getreidehandel im Großen, sein
wichtigstes Geschäft bleibt jedenfalls der Wucher. Zehn Procent werden im
Lande als gesetzliche Zinsen angesehn; warum sie aber gesetzlich heißen, ist nicht
recht zu begreifen, da denen, die mehr als zehn Procent nehmen, kein Gesetz
zu Leibe geht. Ein Jude macht Ansprüche auf tiefempfundenen Dank, wenn
er auf erste Hypothek Geld zu 18 Procent vorschießt, und für kleine Summen
von 2—300 Ducaten, die der Leider in wenigen Monaten zurückerstatten zu
können hofft, sind 3, i und sogar S Procent monatlich durchaus nichts


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104200/122>, abgerufen am 22.07.2024.