Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

außerdem mit der allgemeinen Entwicklung zusammen. Als Fürsten und
Minister ihre Völker noch mit ziemlicher Unbefangenheit regierten und ihre
Ansichten die sast allein maßgebenden waren, in den zwanziger und den
dreißiger Jahren, als ^ noch kleine Unterbrechungen wie die Julirevolution
rasch wieder in daS gewohnte Geleise übergingen, da war auch die politische
Strömung eine einfache, zumeist berechenbare. Seit dem Jahre 18i8 aber
lauert hinter jeglichem ungewöhnlichen Ereigniß das Gespenst der Revolution,
hinter jeder ernstern Verwicklung der revolutionäre Ausbruch selber, wie die
Sprache und die Maßregeln der Regierungen das deutlich genug bekunden.
Diese allgemeine Unsicherheit, diese vollkommene Unberechenbarkeit der Folgen
macht die Börsenmänner so empfindlich, erschwert ihnen so sehr die Beurtheilung
der politischen Sachlage. Die alte Routine ist geblieben, der Spiritus ver¬
flogen:

Wir können nicht umhin, die ganze Existenz der Fondsbörsen und
deren Treiben als einen krankhaften Auswuchs an den Staatskörpern
anzusehen. Daß sie den Regierungen das Schuldenmachen erleichtert haben,
ist ein sehr zweifelhaftes Verdienst, daß sie den Unternehmungsgeist von
Privaten befördert, mindestens sehr fraglich. Auf jeglichem Gebiete des
Handels und des Gewerbfleißes sind seit Jahrhunderten Gesellschaften und
Unternehmungen aller Art in die Welt getreten ohne Beihilfe der Fonds¬
börsen; ja man kann sagen, daß es bei an sich gesunden Unternehmungen
von jeher und jetzt noch Grundsatz gewesen ist, der Betheiligung durch die
Actienbörse möglichst aus dem Wege zu gehen, wie denn auch, wie wir
schon gezeigt haben, die hierher gehörigen Papiere selten Gegenstand des leb¬
haften Börsenverkehrs sind. Wo aber immer ein krankhafter Unternehmungs¬
geist sich gezeigt hat, da ward er von der Fondsbörse ergriffen und befördert,
und wenn man sich sorgfältig umsieht, wird man bald entdecken, daß von den in
solchen Zeiten ins Leben gerufenen Instituten nur diejenigen auch kräftig ge¬
deihen, die ohnehin alle Bedingungen der Lebensfähigkeit an sich tragen, in¬
dem sie schon wirklich vorhandene, nicht erst künstlich hervorgerufene Bedürfnisse
befriedigen, die daher aller Wahrscheinlichkeit nach auch ohne jenen Antrieb
der Fondsbörsen entstanden wären. Von allen in unsern Tagen so pomphaft
zu Wege gebrachten Creditgesellschaften zeigt eS sich schon jetzt, daß nur die
wenigen eine Zukunft haben, welche eine wirkliche Lücke im Verkehr ausfüllen,
nicht die, welche jene Verkehrslücken erst auffinden wollten.

Man rühmt es den Fondsbörsen nach, daß sie den Umsatz der Capitalien
befördern helfen und augenblicklich ohne Verwendung gebliebene Gelder nutz,
bar machen. Wir haben aber schon in einem vorhergehenden Aufsatze nach¬
gewiesen, daß, so weit dies geschieht, eher Schaden als Vortheil damit verknüpft
ist. Jedes in papiernen Effecten angelegte Geld ist nämlich für Handel und


außerdem mit der allgemeinen Entwicklung zusammen. Als Fürsten und
Minister ihre Völker noch mit ziemlicher Unbefangenheit regierten und ihre
Ansichten die sast allein maßgebenden waren, in den zwanziger und den
dreißiger Jahren, als ^ noch kleine Unterbrechungen wie die Julirevolution
rasch wieder in daS gewohnte Geleise übergingen, da war auch die politische
Strömung eine einfache, zumeist berechenbare. Seit dem Jahre 18i8 aber
lauert hinter jeglichem ungewöhnlichen Ereigniß das Gespenst der Revolution,
hinter jeder ernstern Verwicklung der revolutionäre Ausbruch selber, wie die
Sprache und die Maßregeln der Regierungen das deutlich genug bekunden.
Diese allgemeine Unsicherheit, diese vollkommene Unberechenbarkeit der Folgen
macht die Börsenmänner so empfindlich, erschwert ihnen so sehr die Beurtheilung
der politischen Sachlage. Die alte Routine ist geblieben, der Spiritus ver¬
flogen:

Wir können nicht umhin, die ganze Existenz der Fondsbörsen und
deren Treiben als einen krankhaften Auswuchs an den Staatskörpern
anzusehen. Daß sie den Regierungen das Schuldenmachen erleichtert haben,
ist ein sehr zweifelhaftes Verdienst, daß sie den Unternehmungsgeist von
Privaten befördert, mindestens sehr fraglich. Auf jeglichem Gebiete des
Handels und des Gewerbfleißes sind seit Jahrhunderten Gesellschaften und
Unternehmungen aller Art in die Welt getreten ohne Beihilfe der Fonds¬
börsen; ja man kann sagen, daß es bei an sich gesunden Unternehmungen
von jeher und jetzt noch Grundsatz gewesen ist, der Betheiligung durch die
Actienbörse möglichst aus dem Wege zu gehen, wie denn auch, wie wir
schon gezeigt haben, die hierher gehörigen Papiere selten Gegenstand des leb¬
haften Börsenverkehrs sind. Wo aber immer ein krankhafter Unternehmungs¬
geist sich gezeigt hat, da ward er von der Fondsbörse ergriffen und befördert,
und wenn man sich sorgfältig umsieht, wird man bald entdecken, daß von den in
solchen Zeiten ins Leben gerufenen Instituten nur diejenigen auch kräftig ge¬
deihen, die ohnehin alle Bedingungen der Lebensfähigkeit an sich tragen, in¬
dem sie schon wirklich vorhandene, nicht erst künstlich hervorgerufene Bedürfnisse
befriedigen, die daher aller Wahrscheinlichkeit nach auch ohne jenen Antrieb
der Fondsbörsen entstanden wären. Von allen in unsern Tagen so pomphaft
zu Wege gebrachten Creditgesellschaften zeigt eS sich schon jetzt, daß nur die
wenigen eine Zukunft haben, welche eine wirkliche Lücke im Verkehr ausfüllen,
nicht die, welche jene Verkehrslücken erst auffinden wollten.

Man rühmt es den Fondsbörsen nach, daß sie den Umsatz der Capitalien
befördern helfen und augenblicklich ohne Verwendung gebliebene Gelder nutz,
bar machen. Wir haben aber schon in einem vorhergehenden Aufsatze nach¬
gewiesen, daß, so weit dies geschieht, eher Schaden als Vortheil damit verknüpft
ist. Jedes in papiernen Effecten angelegte Geld ist nämlich für Handel und


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0104" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/104305"/>
          <p xml:id="ID_284" prev="#ID_283"> außerdem mit der allgemeinen Entwicklung zusammen. Als Fürsten und<lb/>
Minister ihre Völker noch mit ziemlicher Unbefangenheit regierten und ihre<lb/>
Ansichten die sast allein maßgebenden waren, in den zwanziger und den<lb/>
dreißiger Jahren, als ^ noch kleine Unterbrechungen wie die Julirevolution<lb/>
rasch wieder in daS gewohnte Geleise übergingen, da war auch die politische<lb/>
Strömung eine einfache, zumeist berechenbare. Seit dem Jahre 18i8 aber<lb/>
lauert hinter jeglichem ungewöhnlichen Ereigniß das Gespenst der Revolution,<lb/>
hinter jeder ernstern Verwicklung der revolutionäre Ausbruch selber, wie die<lb/>
Sprache und die Maßregeln der Regierungen das deutlich genug bekunden.<lb/>
Diese allgemeine Unsicherheit, diese vollkommene Unberechenbarkeit der Folgen<lb/>
macht die Börsenmänner so empfindlich, erschwert ihnen so sehr die Beurtheilung<lb/>
der politischen Sachlage. Die alte Routine ist geblieben, der Spiritus ver¬<lb/>
flogen:</p><lb/>
          <p xml:id="ID_285"> Wir können nicht umhin, die ganze Existenz der Fondsbörsen und<lb/>
deren Treiben als einen krankhaften Auswuchs an den Staatskörpern<lb/>
anzusehen. Daß sie den Regierungen das Schuldenmachen erleichtert haben,<lb/>
ist ein sehr zweifelhaftes Verdienst, daß sie den Unternehmungsgeist von<lb/>
Privaten befördert, mindestens sehr fraglich. Auf jeglichem Gebiete des<lb/>
Handels und des Gewerbfleißes sind seit Jahrhunderten Gesellschaften und<lb/>
Unternehmungen aller Art in die Welt getreten ohne Beihilfe der Fonds¬<lb/>
börsen; ja man kann sagen, daß es bei an sich gesunden Unternehmungen<lb/>
von jeher und jetzt noch Grundsatz gewesen ist, der Betheiligung durch die<lb/>
Actienbörse möglichst aus dem Wege zu gehen, wie denn auch, wie wir<lb/>
schon gezeigt haben, die hierher gehörigen Papiere selten Gegenstand des leb¬<lb/>
haften Börsenverkehrs sind. Wo aber immer ein krankhafter Unternehmungs¬<lb/>
geist sich gezeigt hat, da ward er von der Fondsbörse ergriffen und befördert,<lb/>
und wenn man sich sorgfältig umsieht, wird man bald entdecken, daß von den in<lb/>
solchen Zeiten ins Leben gerufenen Instituten nur diejenigen auch kräftig ge¬<lb/>
deihen, die ohnehin alle Bedingungen der Lebensfähigkeit an sich tragen, in¬<lb/>
dem sie schon wirklich vorhandene, nicht erst künstlich hervorgerufene Bedürfnisse<lb/>
befriedigen, die daher aller Wahrscheinlichkeit nach auch ohne jenen Antrieb<lb/>
der Fondsbörsen entstanden wären. Von allen in unsern Tagen so pomphaft<lb/>
zu Wege gebrachten Creditgesellschaften zeigt eS sich schon jetzt, daß nur die<lb/>
wenigen eine Zukunft haben, welche eine wirkliche Lücke im Verkehr ausfüllen,<lb/>
nicht die, welche jene Verkehrslücken erst auffinden wollten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_286" next="#ID_287"> Man rühmt es den Fondsbörsen nach, daß sie den Umsatz der Capitalien<lb/>
befördern helfen und augenblicklich ohne Verwendung gebliebene Gelder nutz,<lb/>
bar machen. Wir haben aber schon in einem vorhergehenden Aufsatze nach¬<lb/>
gewiesen, daß, so weit dies geschieht, eher Schaden als Vortheil damit verknüpft<lb/>
ist. Jedes in papiernen Effecten angelegte Geld ist nämlich für Handel und</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0104] außerdem mit der allgemeinen Entwicklung zusammen. Als Fürsten und Minister ihre Völker noch mit ziemlicher Unbefangenheit regierten und ihre Ansichten die sast allein maßgebenden waren, in den zwanziger und den dreißiger Jahren, als ^ noch kleine Unterbrechungen wie die Julirevolution rasch wieder in daS gewohnte Geleise übergingen, da war auch die politische Strömung eine einfache, zumeist berechenbare. Seit dem Jahre 18i8 aber lauert hinter jeglichem ungewöhnlichen Ereigniß das Gespenst der Revolution, hinter jeder ernstern Verwicklung der revolutionäre Ausbruch selber, wie die Sprache und die Maßregeln der Regierungen das deutlich genug bekunden. Diese allgemeine Unsicherheit, diese vollkommene Unberechenbarkeit der Folgen macht die Börsenmänner so empfindlich, erschwert ihnen so sehr die Beurtheilung der politischen Sachlage. Die alte Routine ist geblieben, der Spiritus ver¬ flogen: Wir können nicht umhin, die ganze Existenz der Fondsbörsen und deren Treiben als einen krankhaften Auswuchs an den Staatskörpern anzusehen. Daß sie den Regierungen das Schuldenmachen erleichtert haben, ist ein sehr zweifelhaftes Verdienst, daß sie den Unternehmungsgeist von Privaten befördert, mindestens sehr fraglich. Auf jeglichem Gebiete des Handels und des Gewerbfleißes sind seit Jahrhunderten Gesellschaften und Unternehmungen aller Art in die Welt getreten ohne Beihilfe der Fonds¬ börsen; ja man kann sagen, daß es bei an sich gesunden Unternehmungen von jeher und jetzt noch Grundsatz gewesen ist, der Betheiligung durch die Actienbörse möglichst aus dem Wege zu gehen, wie denn auch, wie wir schon gezeigt haben, die hierher gehörigen Papiere selten Gegenstand des leb¬ haften Börsenverkehrs sind. Wo aber immer ein krankhafter Unternehmungs¬ geist sich gezeigt hat, da ward er von der Fondsbörse ergriffen und befördert, und wenn man sich sorgfältig umsieht, wird man bald entdecken, daß von den in solchen Zeiten ins Leben gerufenen Instituten nur diejenigen auch kräftig ge¬ deihen, die ohnehin alle Bedingungen der Lebensfähigkeit an sich tragen, in¬ dem sie schon wirklich vorhandene, nicht erst künstlich hervorgerufene Bedürfnisse befriedigen, die daher aller Wahrscheinlichkeit nach auch ohne jenen Antrieb der Fondsbörsen entstanden wären. Von allen in unsern Tagen so pomphaft zu Wege gebrachten Creditgesellschaften zeigt eS sich schon jetzt, daß nur die wenigen eine Zukunft haben, welche eine wirkliche Lücke im Verkehr ausfüllen, nicht die, welche jene Verkehrslücken erst auffinden wollten. Man rühmt es den Fondsbörsen nach, daß sie den Umsatz der Capitalien befördern helfen und augenblicklich ohne Verwendung gebliebene Gelder nutz, bar machen. Wir haben aber schon in einem vorhergehenden Aufsatze nach¬ gewiesen, daß, so weit dies geschieht, eher Schaden als Vortheil damit verknüpft ist. Jedes in papiernen Effecten angelegte Geld ist nämlich für Handel und

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104200
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104200/104
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104200/104>, abgerufen am 22.07.2024.