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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band.

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erhitzten, daß der Mund wie ein Ofen glühte und Funken aussprühte, und sie
zuletzt kauten und verschluckten, ohne das mindeste Zeichen von Schmerz zu
äußern.

Andere Derwische geben bei diesen und ähnlichen Gelegenheiten ihre
Inbrunst dadurch kund, daß sie sich während der Procession einen Yataghan
durch den Arm stoßen und die Waffe in der Wunde stecken lassen. Ja einer
soll sich den Bauch aufgeschlitzt, die Eingeweide herausgezogen und sie auf
einem Teller den ganzen Weg entlang vom Sammelplatz seines Ordens
bis in die Moschee und wieder zurück vor sich hergetragen haben. Daß sie
auch Glas essen, kann nach solchen Proben von Geschmack nicht Wunder
nehmen, ziemlich wunderbar dagegen ist es, wenn das Glasverspcisen bei
manchen zur unwiderstehlichen Manie wird, die sich selbst an das Verbot des
Schechs nicht kehrt, wie dies bei einem Derwisch der Fall war, von dem Lane
erzählt.

Dieser seltsame Kauz, beiläufig ein Buchhändler, und dem Orden der
Saadijeh angehörig, war förmlich versessen auf jene eigenthümliche Speise. In
einer Nacht, wo mehre seiner Ordensbrüder und unter diesen auch der Schech
versammelt waren, geriet!) er in eine religiöse Naserei, ergriff eine große Glas¬
glocke, die auf einem Leuchter stand und verschlang sofort ein tüchtiges Stück
davon. Der Schech sah ihn erzürnt an, warf ihm vor, die Regel des Ordens
verletzt zu haben, die den Saadijeh wol Schlangen, aber keine Glaswaaren
zu essen verstatte, und stieß ihn sodann aus. Der Gemaßregelte trat hierauf
in den Orden der Said Bidaui, und da diese das Glas gleichfalls zu den
unerlaubten Speisen rechnen, so nahm er sich vor, in dieser Beziehung fürder-
hin enthaltsam zu sein. Bald nachher jedoch bei einer Zusammenkunft der Said
Bidaui befiel ihn abermals Tollheit, die alte Lust regte sich von neuem, er
sprang nach einer Hängelaterne empor, riß eine von den kleinen Lampen an
derselben herunter und verzehrte dieselbe ungefähr zur Hälfte, wobei er auch
das darin enthaltene Oel und Wasser verschluckte. Er wurde vor den Schech
geführt, um wegen seiner ungebührlichen Liebhaberei verhört zu werden; da er
indeß eidlich gelobte, nie wieder Glas essen zu wollen, so blieb er ohne Strafe.
Trotz seines Schwurs aber gab er seiner Leidenschaft, Glaslampen zu ver¬
speisen kurz darauf zum dritten Mal nach und verführte durch sein Beispiel
sogar einen andern Bruder Derwisch, ein Gleiches zu thun, ein Versuch,
welcher mißlang, indem diesem ein Stück Glas zwischen Gaumen und Zunge
stecken blieb und nur mit großer Mühe entfernt werden konnte. Wieder vor
den Schech gebracht, wurde er von diesem hart angelassen und wegen des
Bruchs seines Reuegelübdes bitter getadelt. Er aber antwortete kaltblütig:
"Ich bereue wieder. Reue ist gut; denn er, dessen Name gepriesen sei, hat in
dem erhabenen Buche (dem Koran) gesagt: Fürwahr, Gott liebt den Reuigen!"


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erhitzten, daß der Mund wie ein Ofen glühte und Funken aussprühte, und sie
zuletzt kauten und verschluckten, ohne das mindeste Zeichen von Schmerz zu
äußern.

Andere Derwische geben bei diesen und ähnlichen Gelegenheiten ihre
Inbrunst dadurch kund, daß sie sich während der Procession einen Yataghan
durch den Arm stoßen und die Waffe in der Wunde stecken lassen. Ja einer
soll sich den Bauch aufgeschlitzt, die Eingeweide herausgezogen und sie auf
einem Teller den ganzen Weg entlang vom Sammelplatz seines Ordens
bis in die Moschee und wieder zurück vor sich hergetragen haben. Daß sie
auch Glas essen, kann nach solchen Proben von Geschmack nicht Wunder
nehmen, ziemlich wunderbar dagegen ist es, wenn das Glasverspcisen bei
manchen zur unwiderstehlichen Manie wird, die sich selbst an das Verbot des
Schechs nicht kehrt, wie dies bei einem Derwisch der Fall war, von dem Lane
erzählt.

Dieser seltsame Kauz, beiläufig ein Buchhändler, und dem Orden der
Saadijeh angehörig, war förmlich versessen auf jene eigenthümliche Speise. In
einer Nacht, wo mehre seiner Ordensbrüder und unter diesen auch der Schech
versammelt waren, geriet!) er in eine religiöse Naserei, ergriff eine große Glas¬
glocke, die auf einem Leuchter stand und verschlang sofort ein tüchtiges Stück
davon. Der Schech sah ihn erzürnt an, warf ihm vor, die Regel des Ordens
verletzt zu haben, die den Saadijeh wol Schlangen, aber keine Glaswaaren
zu essen verstatte, und stieß ihn sodann aus. Der Gemaßregelte trat hierauf
in den Orden der Said Bidaui, und da diese das Glas gleichfalls zu den
unerlaubten Speisen rechnen, so nahm er sich vor, in dieser Beziehung fürder-
hin enthaltsam zu sein. Bald nachher jedoch bei einer Zusammenkunft der Said
Bidaui befiel ihn abermals Tollheit, die alte Lust regte sich von neuem, er
sprang nach einer Hängelaterne empor, riß eine von den kleinen Lampen an
derselben herunter und verzehrte dieselbe ungefähr zur Hälfte, wobei er auch
das darin enthaltene Oel und Wasser verschluckte. Er wurde vor den Schech
geführt, um wegen seiner ungebührlichen Liebhaberei verhört zu werden; da er
indeß eidlich gelobte, nie wieder Glas essen zu wollen, so blieb er ohne Strafe.
Trotz seines Schwurs aber gab er seiner Leidenschaft, Glaslampen zu ver¬
speisen kurz darauf zum dritten Mal nach und verführte durch sein Beispiel
sogar einen andern Bruder Derwisch, ein Gleiches zu thun, ein Versuch,
welcher mißlang, indem diesem ein Stück Glas zwischen Gaumen und Zunge
stecken blieb und nur mit großer Mühe entfernt werden konnte. Wieder vor
den Schech gebracht, wurde er von diesem hart angelassen und wegen des
Bruchs seines Reuegelübdes bitter getadelt. Er aber antwortete kaltblütig:
„Ich bereue wieder. Reue ist gut; denn er, dessen Name gepriesen sei, hat in
dem erhabenen Buche (dem Koran) gesagt: Fürwahr, Gott liebt den Reuigen!"


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[0507] erhitzten, daß der Mund wie ein Ofen glühte und Funken aussprühte, und sie zuletzt kauten und verschluckten, ohne das mindeste Zeichen von Schmerz zu äußern. Andere Derwische geben bei diesen und ähnlichen Gelegenheiten ihre Inbrunst dadurch kund, daß sie sich während der Procession einen Yataghan durch den Arm stoßen und die Waffe in der Wunde stecken lassen. Ja einer soll sich den Bauch aufgeschlitzt, die Eingeweide herausgezogen und sie auf einem Teller den ganzen Weg entlang vom Sammelplatz seines Ordens bis in die Moschee und wieder zurück vor sich hergetragen haben. Daß sie auch Glas essen, kann nach solchen Proben von Geschmack nicht Wunder nehmen, ziemlich wunderbar dagegen ist es, wenn das Glasverspcisen bei manchen zur unwiderstehlichen Manie wird, die sich selbst an das Verbot des Schechs nicht kehrt, wie dies bei einem Derwisch der Fall war, von dem Lane erzählt. Dieser seltsame Kauz, beiläufig ein Buchhändler, und dem Orden der Saadijeh angehörig, war förmlich versessen auf jene eigenthümliche Speise. In einer Nacht, wo mehre seiner Ordensbrüder und unter diesen auch der Schech versammelt waren, geriet!) er in eine religiöse Naserei, ergriff eine große Glas¬ glocke, die auf einem Leuchter stand und verschlang sofort ein tüchtiges Stück davon. Der Schech sah ihn erzürnt an, warf ihm vor, die Regel des Ordens verletzt zu haben, die den Saadijeh wol Schlangen, aber keine Glaswaaren zu essen verstatte, und stieß ihn sodann aus. Der Gemaßregelte trat hierauf in den Orden der Said Bidaui, und da diese das Glas gleichfalls zu den unerlaubten Speisen rechnen, so nahm er sich vor, in dieser Beziehung fürder- hin enthaltsam zu sein. Bald nachher jedoch bei einer Zusammenkunft der Said Bidaui befiel ihn abermals Tollheit, die alte Lust regte sich von neuem, er sprang nach einer Hängelaterne empor, riß eine von den kleinen Lampen an derselben herunter und verzehrte dieselbe ungefähr zur Hälfte, wobei er auch das darin enthaltene Oel und Wasser verschluckte. Er wurde vor den Schech geführt, um wegen seiner ungebührlichen Liebhaberei verhört zu werden; da er indeß eidlich gelobte, nie wieder Glas essen zu wollen, so blieb er ohne Strafe. Trotz seines Schwurs aber gab er seiner Leidenschaft, Glaslampen zu ver¬ speisen kurz darauf zum dritten Mal nach und verführte durch sein Beispiel sogar einen andern Bruder Derwisch, ein Gleiches zu thun, ein Versuch, welcher mißlang, indem diesem ein Stück Glas zwischen Gaumen und Zunge stecken blieb und nur mit großer Mühe entfernt werden konnte. Wieder vor den Schech gebracht, wurde er von diesem hart angelassen und wegen des Bruchs seines Reuegelübdes bitter getadelt. Er aber antwortete kaltblütig: „Ich bereue wieder. Reue ist gut; denn er, dessen Name gepriesen sei, hat in dem erhabenen Buche (dem Koran) gesagt: Fürwahr, Gott liebt den Reuigen!" 63*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103666/507>, abgerufen am 01.09.2024.