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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band.

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waS nicht damit gesagt sein kann, vorher Klarheit verschaffen muß. Die
wichtigsten hier gebrauchten Wörter und Wendungen haben einen Sinn,
der wesentlich von der gewöhnlich damit verknüpften Bedeutung abweicht, aber
doch wieder in einzelnen Wendungen mit dieser zusammenfällt. Es ist dies
eine Art optischer Täuschung, entstanden aus dem raschen Vorüberziehen wech¬
selnder Gestalten, deren Umrisse daher nicht fest ins Bewußtsein überzugehen
vermögen. Wir wollen versuchen, die Nebelgestalt zu fassen.

"Der Credit, jene Industrie u. s. w. bedürfte einer kraftvollen, mächtigen
Organisation." Wenn man diese Worte in ihrem landesüblichen Sinne
nimmt, was ist hier zu organisiren? Die Creditverhältnisse von Kaufmann
zu Kaufmann, von Stadt zu Stadt, von Land zu Land? Gewiß nicht; denn
hätte die Welt damit erst aus Hrn. Pereire warten müssen, er hätte wie
Prometheus den Menschen den ersten Funken des Geschäftssinnes einzuflößen
gehabt. Wo immer Handel und Wandel getrieben wird, da entwickelt sich von
selbst der Credit als erstes, unabweisbares Bedürfniß. Es hieße jeden Ver¬
kehr in die engsten Schranken hineinzwingen, wollte man stets nur Zug um
Zug handeln, für die zu empfangende Waare sofort das baare Geld auf den
Tisch legen. Während die Consumtion alltäglich vorwärtsgehe ohne Rast
und Aufenthalt, haben doch nur die wenigsten der Consumenten die Mittel,
das was sie alltäglich zu ihrem Gebrauche sich eintauschen oder einkaufen
müssen, sofort in Geldeswerth oder Geld zu erstatten;, die meisten sind viel¬
mehr für ihren Erwerb auf eine andere Zeit angewiesen, als in der sie der
Consumtionsgegenstände bedürfen. Dieser Credit, den der kleinste Gewerbs-
mann seinen Kunden geben muß, wird auch für ihn zur Nothwendigkeit seine"
Verkäufern gegenüber; denn wie könnte er in allen Fällen baar bezahlen, wo
die eigenen Eingänge so unregelmäßig kommen? So geht es weiter Stufe
für Stufe durch alle Beziehungen des Verkehrs hindurch. Je mehr sich der¬
selbe entwickelt, desto verwickelter und großartiger werden auch die Credit-
Verhältnisse, die sich endlich bis zur Erfindung der Wechsel steigern, dieser so
sinnreichen und doch so einfachen Einrichtung, um jedem Credit den Platz
einzuräumen, der ihm gebührt.

- Bis hierher ist die Entwicklung eine vollkommen gesunde. Der Credit
ist hier, wie die Lehrbücher ihn definiren, das in den Willen und die Fabig"
keit eines andern gesetzte Zutrauen, daß er zur vorausbestimmten Zeit seine
Geldverpflichtungen erfüllen werde, sei es daß man sich auf dessen allgemeinen
Vermögenszustand verläßt, sei es aus seine Erwerbsfähigkeit; denn auch dem
Unvermögenden kann man in der Hoffnung creditiren, daß er die Zahlungs¬
mittel sich in der Zwischenzeit erwerben werde, was im großen Durchschaut
und auf die Dauer sich auch als viel vortheilhafter erweist, als wenn man
aus dem Nichtbezahle" von Schulden ein System machen wollte. Von einer


waS nicht damit gesagt sein kann, vorher Klarheit verschaffen muß. Die
wichtigsten hier gebrauchten Wörter und Wendungen haben einen Sinn,
der wesentlich von der gewöhnlich damit verknüpften Bedeutung abweicht, aber
doch wieder in einzelnen Wendungen mit dieser zusammenfällt. Es ist dies
eine Art optischer Täuschung, entstanden aus dem raschen Vorüberziehen wech¬
selnder Gestalten, deren Umrisse daher nicht fest ins Bewußtsein überzugehen
vermögen. Wir wollen versuchen, die Nebelgestalt zu fassen.

„Der Credit, jene Industrie u. s. w. bedürfte einer kraftvollen, mächtigen
Organisation." Wenn man diese Worte in ihrem landesüblichen Sinne
nimmt, was ist hier zu organisiren? Die Creditverhältnisse von Kaufmann
zu Kaufmann, von Stadt zu Stadt, von Land zu Land? Gewiß nicht; denn
hätte die Welt damit erst aus Hrn. Pereire warten müssen, er hätte wie
Prometheus den Menschen den ersten Funken des Geschäftssinnes einzuflößen
gehabt. Wo immer Handel und Wandel getrieben wird, da entwickelt sich von
selbst der Credit als erstes, unabweisbares Bedürfniß. Es hieße jeden Ver¬
kehr in die engsten Schranken hineinzwingen, wollte man stets nur Zug um
Zug handeln, für die zu empfangende Waare sofort das baare Geld auf den
Tisch legen. Während die Consumtion alltäglich vorwärtsgehe ohne Rast
und Aufenthalt, haben doch nur die wenigsten der Consumenten die Mittel,
das was sie alltäglich zu ihrem Gebrauche sich eintauschen oder einkaufen
müssen, sofort in Geldeswerth oder Geld zu erstatten;, die meisten sind viel¬
mehr für ihren Erwerb auf eine andere Zeit angewiesen, als in der sie der
Consumtionsgegenstände bedürfen. Dieser Credit, den der kleinste Gewerbs-
mann seinen Kunden geben muß, wird auch für ihn zur Nothwendigkeit seine»
Verkäufern gegenüber; denn wie könnte er in allen Fällen baar bezahlen, wo
die eigenen Eingänge so unregelmäßig kommen? So geht es weiter Stufe
für Stufe durch alle Beziehungen des Verkehrs hindurch. Je mehr sich der¬
selbe entwickelt, desto verwickelter und großartiger werden auch die Credit-
Verhältnisse, die sich endlich bis zur Erfindung der Wechsel steigern, dieser so
sinnreichen und doch so einfachen Einrichtung, um jedem Credit den Platz
einzuräumen, der ihm gebührt.

- Bis hierher ist die Entwicklung eine vollkommen gesunde. Der Credit
ist hier, wie die Lehrbücher ihn definiren, das in den Willen und die Fabig"
keit eines andern gesetzte Zutrauen, daß er zur vorausbestimmten Zeit seine
Geldverpflichtungen erfüllen werde, sei es daß man sich auf dessen allgemeinen
Vermögenszustand verläßt, sei es aus seine Erwerbsfähigkeit; denn auch dem
Unvermögenden kann man in der Hoffnung creditiren, daß er die Zahlungs¬
mittel sich in der Zwischenzeit erwerben werde, was im großen Durchschaut
und auf die Dauer sich auch als viel vortheilhafter erweist, als wenn man
aus dem Nichtbezahle» von Schulden ein System machen wollte. Von einer


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[0466] waS nicht damit gesagt sein kann, vorher Klarheit verschaffen muß. Die wichtigsten hier gebrauchten Wörter und Wendungen haben einen Sinn, der wesentlich von der gewöhnlich damit verknüpften Bedeutung abweicht, aber doch wieder in einzelnen Wendungen mit dieser zusammenfällt. Es ist dies eine Art optischer Täuschung, entstanden aus dem raschen Vorüberziehen wech¬ selnder Gestalten, deren Umrisse daher nicht fest ins Bewußtsein überzugehen vermögen. Wir wollen versuchen, die Nebelgestalt zu fassen. „Der Credit, jene Industrie u. s. w. bedürfte einer kraftvollen, mächtigen Organisation." Wenn man diese Worte in ihrem landesüblichen Sinne nimmt, was ist hier zu organisiren? Die Creditverhältnisse von Kaufmann zu Kaufmann, von Stadt zu Stadt, von Land zu Land? Gewiß nicht; denn hätte die Welt damit erst aus Hrn. Pereire warten müssen, er hätte wie Prometheus den Menschen den ersten Funken des Geschäftssinnes einzuflößen gehabt. Wo immer Handel und Wandel getrieben wird, da entwickelt sich von selbst der Credit als erstes, unabweisbares Bedürfniß. Es hieße jeden Ver¬ kehr in die engsten Schranken hineinzwingen, wollte man stets nur Zug um Zug handeln, für die zu empfangende Waare sofort das baare Geld auf den Tisch legen. Während die Consumtion alltäglich vorwärtsgehe ohne Rast und Aufenthalt, haben doch nur die wenigsten der Consumenten die Mittel, das was sie alltäglich zu ihrem Gebrauche sich eintauschen oder einkaufen müssen, sofort in Geldeswerth oder Geld zu erstatten;, die meisten sind viel¬ mehr für ihren Erwerb auf eine andere Zeit angewiesen, als in der sie der Consumtionsgegenstände bedürfen. Dieser Credit, den der kleinste Gewerbs- mann seinen Kunden geben muß, wird auch für ihn zur Nothwendigkeit seine» Verkäufern gegenüber; denn wie könnte er in allen Fällen baar bezahlen, wo die eigenen Eingänge so unregelmäßig kommen? So geht es weiter Stufe für Stufe durch alle Beziehungen des Verkehrs hindurch. Je mehr sich der¬ selbe entwickelt, desto verwickelter und großartiger werden auch die Credit- Verhältnisse, die sich endlich bis zur Erfindung der Wechsel steigern, dieser so sinnreichen und doch so einfachen Einrichtung, um jedem Credit den Platz einzuräumen, der ihm gebührt. - Bis hierher ist die Entwicklung eine vollkommen gesunde. Der Credit ist hier, wie die Lehrbücher ihn definiren, das in den Willen und die Fabig" keit eines andern gesetzte Zutrauen, daß er zur vorausbestimmten Zeit seine Geldverpflichtungen erfüllen werde, sei es daß man sich auf dessen allgemeinen Vermögenszustand verläßt, sei es aus seine Erwerbsfähigkeit; denn auch dem Unvermögenden kann man in der Hoffnung creditiren, daß er die Zahlungs¬ mittel sich in der Zwischenzeit erwerben werde, was im großen Durchschaut und auf die Dauer sich auch als viel vortheilhafter erweist, als wenn man aus dem Nichtbezahle» von Schulden ein System machen wollte. Von einer

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103666/466>, abgerufen am 28.07.2024.