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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band.

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und Röcheln. Stirn und Wangen trieften von Schweiß, die Gesichtszüge
wurden zur abscheulichsten Grimasse verstellt, und der Kopf fuhr durch die
Lust, daß man sich der Furcht nicht erwehren konnte, der Leidende werde sich
das Genick ausrenken oder gar die Augen aus ihren Höhlen schleudern. Bei
Frauen, welche langes Haar trugen, "zischten und knallten die Flechten des¬
selben wie eine Peitschenschnur", so daß man es -- wenn unsre Quelle für
diese Einschaltung nicht übertreibt -- "manchmal zwanzig Fuß weit hören
konnte." Bei einigen wurden die Muskeln des Rückens erfaßt, und der Pa¬
tient stürzte zu Boden, wo seine Verrenkungen eine Weile dem Zappeln eines
Fisches glichen, der durch die Angel aufs Trockene geschleudert worden ist.
Bei andern endlich fuhr die elektrische Kraft in den ganzen Körper und riß
und warf ihn durch ähnliche Zuckungen und Verdrehungen über umgefallene
Baumstämme, oder, wenn es in einer Kirche war, über Tische und Stühle
fort mit augenscheinlicher Gefahr von Beulen und Beinbrüchen. Fruchtlos
war jeder Versuch, den so Heimgesuchten zu halten oder zu zwingen; aber
ein solcher Versuch wurde, da man abergläubischerweise meinte, Zwang sei
hier Widerstand gegen den heiligen Geist, überhaupt nur selten gewagt, und
man ließ gemeiniglich den Parorysmuö sich allmälig austoben. Nach dem
Zeugnisse aller, welche diese Scenen geschildert'haben, waren dergleichen Er¬
scheinungen durchaus unwillkürlich, und in der That zeugt für ihre unab¬
sichtliche Natur zur Genüge schon der Umstand, daß die Zuckungen trotz alle"
Widerstandes der davon Befallenen fortdauerten, ja sich bei jeder Regung,
sie zu unterdrücken, sogar in ihrer Heftigkeit steigerten. Aber noch klarer wird
dies durch die Beobachtung, daß Leute, welche gekommen waren, um über die
fallenden, zuckenden, sich herumschlenkernden, Gesichter schneidenden, tanzenden
und bellenden Gläubigen ihren Spott zu treiben, so gut wie die übrigen von
der mysteriösen Gewalt gepackt und häufig noch weit hurtiger und toller um-
hergeworfen wurden, obwol sie jeden dieser Krampfanfälle mit Lästerungen
und Verwünschungen begleiteten.

Der Schriftsteller, dessen Darstellung unsrer Quelle zu Grunde liegt?
schrieb als Augenzeuge. Wir fügen, gleichfalls auf Grund wiederholter eig¬
ner Beobachtung hinzu, daß noch heute bei den Lagerversammlungen der
Methodisten sehr ähnliche Dinge mit Einzelnen und selbst mit ganzen Gruppe"
geschehen. Und nun überlassen wir es dem Leser, zu entscheiden, ob der Ver¬
gleich zu Gunsten des Abendlandes oder des Morgenlandes spricht.


M. B.


und Röcheln. Stirn und Wangen trieften von Schweiß, die Gesichtszüge
wurden zur abscheulichsten Grimasse verstellt, und der Kopf fuhr durch die
Lust, daß man sich der Furcht nicht erwehren konnte, der Leidende werde sich
das Genick ausrenken oder gar die Augen aus ihren Höhlen schleudern. Bei
Frauen, welche langes Haar trugen, „zischten und knallten die Flechten des¬
selben wie eine Peitschenschnur", so daß man es — wenn unsre Quelle für
diese Einschaltung nicht übertreibt — „manchmal zwanzig Fuß weit hören
konnte." Bei einigen wurden die Muskeln des Rückens erfaßt, und der Pa¬
tient stürzte zu Boden, wo seine Verrenkungen eine Weile dem Zappeln eines
Fisches glichen, der durch die Angel aufs Trockene geschleudert worden ist.
Bei andern endlich fuhr die elektrische Kraft in den ganzen Körper und riß
und warf ihn durch ähnliche Zuckungen und Verdrehungen über umgefallene
Baumstämme, oder, wenn es in einer Kirche war, über Tische und Stühle
fort mit augenscheinlicher Gefahr von Beulen und Beinbrüchen. Fruchtlos
war jeder Versuch, den so Heimgesuchten zu halten oder zu zwingen; aber
ein solcher Versuch wurde, da man abergläubischerweise meinte, Zwang sei
hier Widerstand gegen den heiligen Geist, überhaupt nur selten gewagt, und
man ließ gemeiniglich den Parorysmuö sich allmälig austoben. Nach dem
Zeugnisse aller, welche diese Scenen geschildert'haben, waren dergleichen Er¬
scheinungen durchaus unwillkürlich, und in der That zeugt für ihre unab¬
sichtliche Natur zur Genüge schon der Umstand, daß die Zuckungen trotz alle»
Widerstandes der davon Befallenen fortdauerten, ja sich bei jeder Regung,
sie zu unterdrücken, sogar in ihrer Heftigkeit steigerten. Aber noch klarer wird
dies durch die Beobachtung, daß Leute, welche gekommen waren, um über die
fallenden, zuckenden, sich herumschlenkernden, Gesichter schneidenden, tanzenden
und bellenden Gläubigen ihren Spott zu treiben, so gut wie die übrigen von
der mysteriösen Gewalt gepackt und häufig noch weit hurtiger und toller um-
hergeworfen wurden, obwol sie jeden dieser Krampfanfälle mit Lästerungen
und Verwünschungen begleiteten.

Der Schriftsteller, dessen Darstellung unsrer Quelle zu Grunde liegt?
schrieb als Augenzeuge. Wir fügen, gleichfalls auf Grund wiederholter eig¬
ner Beobachtung hinzu, daß noch heute bei den Lagerversammlungen der
Methodisten sehr ähnliche Dinge mit Einzelnen und selbst mit ganzen Gruppe"
geschehen. Und nun überlassen wir es dem Leser, zu entscheiden, ob der Ver¬
gleich zu Gunsten des Abendlandes oder des Morgenlandes spricht.


M. B.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103666/464>, abgerufen am 28.07.2024.