Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

eine große Schwäche im Urtheil war aller Welt klar geworden. Und während
die deutschen Liberalen mit einer gewissen düstern Befriedigung als tragisches
Verhängnis) empfanden, daß einem tüchtigen Gegner durch seine kalte Höhe
allmälig Gefühl, Urtheil und Kraft verkümmert worden war, klagten die Höf¬
linge und Militärs, welche ihn kurz vorher weit mehr als den eignen Herr¬
scher gefürchtet und verehrt hatten, daß in seiner imponirenden Persönlichkeit,
grade so wie in der Macht seines Staates nicht wenig Schein und ein bedenk¬
liches Streben nach dramatischer Wirkung gewesen sei.

Der orientalische Krieg ließ den russischen Staat in einer gefährlichen
Lage zurück. Ein neuer Regent hatte sich festzusetzen mit Hilfe einer Beam¬
tenmaschinerie, welche durch den.Krieg und die Erschöpfung des Landes sehr
geschwächt war. Selbst in der Nähe des Throns war eine trotzige Opposition
zu fürchten. Die Stimmung des Volkes war gedrückt oder aufgeregt, die männ¬
liche Jugend decimirt, die Geldverhältnisse der Grundbesitzer in den meisten
Gouvernements in größter Unordnung, dazu die Staatskasse leer, Heer und
Flotte, der Stolz des verstorbenen Kaisers, ruinirt. So im Innern; nach
Außen aber stand eS noch schlimmer. Die stille Herrschaft über Deutschland
war. zum größten Theil verloren , Oestreich, durch vieljährige Anstrengungen
in Passivität und Bündniß erhalten, war zum Bewußtsein seiner eignen Po¬
litik erwacht und fortan als gefährlicher Nebenbuhler zu beobachten. Die
Aussichten auf die türkische Erbschaft waren wieder in eine unbestimmte Ferne
gerückt, ja unsicherer als je seit Katharinas Zeiten, die beiden großen Staaten des
westlichen Europas standen in einem Bündniß, welches auf alle Eventualitäten
der orientalischen Frage geschlossen schien und das Aussehn einer dauernden
Conföderation des westlichen Europas hatte, und was noch schlimmer war,
durch die Krimerpedition und das massenhafte Lagern in Konstantinopel waren
beide Gegner viel aufmerksamer auf das türkische Gebiet geworden und viel
geneigter, dasselbe zum eignen Vortheil zu benutzen. Namentlich England war
in die Lage gekommen, Konstantinopel als Station für eine künftige Verbin¬
dung mit Indien zu betrachten und das Project der Euphratbahn drohte den
alten Gegensatz zu Nußland auf ein näherliegendes Terrain zu rücken, an!
ein Terrain, welches Rußland längst als eine künftige Jagdbeute betrachtet
hatte. So war die schlimmste Folge des orientalischen Krieges für Nußland
die schnelle Entwicklung neuer dauernder Rivalitäten, welche diesen Staat
zwingen, auch in der Folgezeit Oestreich und England als seine entschiedenen
Gegner zu betrachten. Endlich aber war auch der Einfluß Rußlands auf seine
astatischen Grenzländer in Gefahr erschüttert zu werden. Zwar hatten die
Stämme deS Kaukasus in Uneinigkeit und Mißtrauen die günstige Zeit zu
gemeinsamer Erhebung versäumt und von den kraftlosen Völkerschaften Trans-
kaukasiens war eine Erhebung ohnedies nicht zu fürchten, auch hatten die


eine große Schwäche im Urtheil war aller Welt klar geworden. Und während
die deutschen Liberalen mit einer gewissen düstern Befriedigung als tragisches
Verhängnis) empfanden, daß einem tüchtigen Gegner durch seine kalte Höhe
allmälig Gefühl, Urtheil und Kraft verkümmert worden war, klagten die Höf¬
linge und Militärs, welche ihn kurz vorher weit mehr als den eignen Herr¬
scher gefürchtet und verehrt hatten, daß in seiner imponirenden Persönlichkeit,
grade so wie in der Macht seines Staates nicht wenig Schein und ein bedenk¬
liches Streben nach dramatischer Wirkung gewesen sei.

Der orientalische Krieg ließ den russischen Staat in einer gefährlichen
Lage zurück. Ein neuer Regent hatte sich festzusetzen mit Hilfe einer Beam¬
tenmaschinerie, welche durch den.Krieg und die Erschöpfung des Landes sehr
geschwächt war. Selbst in der Nähe des Throns war eine trotzige Opposition
zu fürchten. Die Stimmung des Volkes war gedrückt oder aufgeregt, die männ¬
liche Jugend decimirt, die Geldverhältnisse der Grundbesitzer in den meisten
Gouvernements in größter Unordnung, dazu die Staatskasse leer, Heer und
Flotte, der Stolz des verstorbenen Kaisers, ruinirt. So im Innern; nach
Außen aber stand eS noch schlimmer. Die stille Herrschaft über Deutschland
war. zum größten Theil verloren , Oestreich, durch vieljährige Anstrengungen
in Passivität und Bündniß erhalten, war zum Bewußtsein seiner eignen Po¬
litik erwacht und fortan als gefährlicher Nebenbuhler zu beobachten. Die
Aussichten auf die türkische Erbschaft waren wieder in eine unbestimmte Ferne
gerückt, ja unsicherer als je seit Katharinas Zeiten, die beiden großen Staaten des
westlichen Europas standen in einem Bündniß, welches auf alle Eventualitäten
der orientalischen Frage geschlossen schien und das Aussehn einer dauernden
Conföderation des westlichen Europas hatte, und was noch schlimmer war,
durch die Krimerpedition und das massenhafte Lagern in Konstantinopel waren
beide Gegner viel aufmerksamer auf das türkische Gebiet geworden und viel
geneigter, dasselbe zum eignen Vortheil zu benutzen. Namentlich England war
in die Lage gekommen, Konstantinopel als Station für eine künftige Verbin¬
dung mit Indien zu betrachten und das Project der Euphratbahn drohte den
alten Gegensatz zu Nußland auf ein näherliegendes Terrain zu rücken, an!
ein Terrain, welches Rußland längst als eine künftige Jagdbeute betrachtet
hatte. So war die schlimmste Folge des orientalischen Krieges für Nußland
die schnelle Entwicklung neuer dauernder Rivalitäten, welche diesen Staat
zwingen, auch in der Folgezeit Oestreich und England als seine entschiedenen
Gegner zu betrachten. Endlich aber war auch der Einfluß Rußlands auf seine
astatischen Grenzländer in Gefahr erschüttert zu werden. Zwar hatten die
Stämme deS Kaukasus in Uneinigkeit und Mißtrauen die günstige Zeit zu
gemeinsamer Erhebung versäumt und von den kraftlosen Völkerschaften Trans-
kaukasiens war eine Erhebung ohnedies nicht zu fürchten, auch hatten die


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0450" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/104117"/>
          <p xml:id="ID_1256" prev="#ID_1255"> eine große Schwäche im Urtheil war aller Welt klar geworden. Und während<lb/>
die deutschen Liberalen mit einer gewissen düstern Befriedigung als tragisches<lb/>
Verhängnis) empfanden, daß einem tüchtigen Gegner durch seine kalte Höhe<lb/>
allmälig Gefühl, Urtheil und Kraft verkümmert worden war, klagten die Höf¬<lb/>
linge und Militärs, welche ihn kurz vorher weit mehr als den eignen Herr¬<lb/>
scher gefürchtet und verehrt hatten, daß in seiner imponirenden Persönlichkeit,<lb/>
grade so wie in der Macht seines Staates nicht wenig Schein und ein bedenk¬<lb/>
liches Streben nach dramatischer Wirkung gewesen sei.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1257" next="#ID_1258"> Der orientalische Krieg ließ den russischen Staat in einer gefährlichen<lb/>
Lage zurück. Ein neuer Regent hatte sich festzusetzen mit Hilfe einer Beam¬<lb/>
tenmaschinerie, welche durch den.Krieg und die Erschöpfung des Landes sehr<lb/>
geschwächt war. Selbst in der Nähe des Throns war eine trotzige Opposition<lb/>
zu fürchten. Die Stimmung des Volkes war gedrückt oder aufgeregt, die männ¬<lb/>
liche Jugend decimirt, die Geldverhältnisse der Grundbesitzer in den meisten<lb/>
Gouvernements in größter Unordnung, dazu die Staatskasse leer, Heer und<lb/>
Flotte, der Stolz des verstorbenen Kaisers, ruinirt. So im Innern; nach<lb/>
Außen aber stand eS noch schlimmer. Die stille Herrschaft über Deutschland<lb/>
war. zum größten Theil verloren , Oestreich, durch vieljährige Anstrengungen<lb/>
in Passivität und Bündniß erhalten, war zum Bewußtsein seiner eignen Po¬<lb/>
litik erwacht und fortan als gefährlicher Nebenbuhler zu beobachten. Die<lb/>
Aussichten auf die türkische Erbschaft waren wieder in eine unbestimmte Ferne<lb/>
gerückt, ja unsicherer als je seit Katharinas Zeiten, die beiden großen Staaten des<lb/>
westlichen Europas standen in einem Bündniß, welches auf alle Eventualitäten<lb/>
der orientalischen Frage geschlossen schien und das Aussehn einer dauernden<lb/>
Conföderation des westlichen Europas hatte, und was noch schlimmer war,<lb/>
durch die Krimerpedition und das massenhafte Lagern in Konstantinopel waren<lb/>
beide Gegner viel aufmerksamer auf das türkische Gebiet geworden und viel<lb/>
geneigter, dasselbe zum eignen Vortheil zu benutzen. Namentlich England war<lb/>
in die Lage gekommen, Konstantinopel als Station für eine künftige Verbin¬<lb/>
dung mit Indien zu betrachten und das Project der Euphratbahn drohte den<lb/>
alten Gegensatz zu Nußland auf ein näherliegendes Terrain zu rücken, an!<lb/>
ein Terrain, welches Rußland längst als eine künftige Jagdbeute betrachtet<lb/>
hatte. So war die schlimmste Folge des orientalischen Krieges für Nußland<lb/>
die schnelle Entwicklung neuer dauernder Rivalitäten, welche diesen Staat<lb/>
zwingen, auch in der Folgezeit Oestreich und England als seine entschiedenen<lb/>
Gegner zu betrachten. Endlich aber war auch der Einfluß Rußlands auf seine<lb/>
astatischen Grenzländer in Gefahr erschüttert zu werden. Zwar hatten die<lb/>
Stämme deS Kaukasus in Uneinigkeit und Mißtrauen die günstige Zeit zu<lb/>
gemeinsamer Erhebung versäumt und von den kraftlosen Völkerschaften Trans-<lb/>
kaukasiens war eine Erhebung ohnedies nicht zu fürchten, auch hatten die</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0450] eine große Schwäche im Urtheil war aller Welt klar geworden. Und während die deutschen Liberalen mit einer gewissen düstern Befriedigung als tragisches Verhängnis) empfanden, daß einem tüchtigen Gegner durch seine kalte Höhe allmälig Gefühl, Urtheil und Kraft verkümmert worden war, klagten die Höf¬ linge und Militärs, welche ihn kurz vorher weit mehr als den eignen Herr¬ scher gefürchtet und verehrt hatten, daß in seiner imponirenden Persönlichkeit, grade so wie in der Macht seines Staates nicht wenig Schein und ein bedenk¬ liches Streben nach dramatischer Wirkung gewesen sei. Der orientalische Krieg ließ den russischen Staat in einer gefährlichen Lage zurück. Ein neuer Regent hatte sich festzusetzen mit Hilfe einer Beam¬ tenmaschinerie, welche durch den.Krieg und die Erschöpfung des Landes sehr geschwächt war. Selbst in der Nähe des Throns war eine trotzige Opposition zu fürchten. Die Stimmung des Volkes war gedrückt oder aufgeregt, die männ¬ liche Jugend decimirt, die Geldverhältnisse der Grundbesitzer in den meisten Gouvernements in größter Unordnung, dazu die Staatskasse leer, Heer und Flotte, der Stolz des verstorbenen Kaisers, ruinirt. So im Innern; nach Außen aber stand eS noch schlimmer. Die stille Herrschaft über Deutschland war. zum größten Theil verloren , Oestreich, durch vieljährige Anstrengungen in Passivität und Bündniß erhalten, war zum Bewußtsein seiner eignen Po¬ litik erwacht und fortan als gefährlicher Nebenbuhler zu beobachten. Die Aussichten auf die türkische Erbschaft waren wieder in eine unbestimmte Ferne gerückt, ja unsicherer als je seit Katharinas Zeiten, die beiden großen Staaten des westlichen Europas standen in einem Bündniß, welches auf alle Eventualitäten der orientalischen Frage geschlossen schien und das Aussehn einer dauernden Conföderation des westlichen Europas hatte, und was noch schlimmer war, durch die Krimerpedition und das massenhafte Lagern in Konstantinopel waren beide Gegner viel aufmerksamer auf das türkische Gebiet geworden und viel geneigter, dasselbe zum eignen Vortheil zu benutzen. Namentlich England war in die Lage gekommen, Konstantinopel als Station für eine künftige Verbin¬ dung mit Indien zu betrachten und das Project der Euphratbahn drohte den alten Gegensatz zu Nußland auf ein näherliegendes Terrain zu rücken, an! ein Terrain, welches Rußland längst als eine künftige Jagdbeute betrachtet hatte. So war die schlimmste Folge des orientalischen Krieges für Nußland die schnelle Entwicklung neuer dauernder Rivalitäten, welche diesen Staat zwingen, auch in der Folgezeit Oestreich und England als seine entschiedenen Gegner zu betrachten. Endlich aber war auch der Einfluß Rußlands auf seine astatischen Grenzländer in Gefahr erschüttert zu werden. Zwar hatten die Stämme deS Kaukasus in Uneinigkeit und Mißtrauen die günstige Zeit zu gemeinsamer Erhebung versäumt und von den kraftlosen Völkerschaften Trans- kaukasiens war eine Erhebung ohnedies nicht zu fürchten, auch hatten die

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103666
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103666/450
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103666/450>, abgerufen am 27.07.2024.