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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band.

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aber seine skeptische Stimmung reißt ihn fort, und mit der veränderten Auf¬
fassung verwandeln sich auch die Figuren. Man erfährt von der frommen
Brigitte, daß sie häufig in Mannskleidern geht und mit den alten Erinnerungen
taucht gewaltig das Bild G. Sands vor den Augen deS Dichters auf. Wie
realistisch er auch die wechselnden Launen und Stimmungen der menschlichen
Seele nachbildet, man empfindet doch, daß das ganze Gebäude auf Sand
aufgeführt ist. Der Ausgang macht nicht den Eindruck zwingender Noth¬
wendigkeit; es hätte ebensogut auch der entgegengesetzte sein können. Die
Staffage ist Faust und Byron, ja mitunter Jean Paul, aber das eigentliche
Gewebe der Gedanken, Bilder und Empfindungen ist Candide. -- Unmittelbar
darauf veröffentlichte Alfred de Musset eine Epistel an Lamartine, in der
er die Gedanken deS Buchs weiter ausführte.


ern >>orei"ni. long-leurs ime j'ut-ii" 1^5 du invento;
^'i>> ni. i^ne ,j<z "uns, erv^nul. "voir cloul.6:
pi'is clvvunl, um pour unz nun, ^loldinlo
AInu ombre ^ni n-issiut, pleino <Je vsinU'i.
je l.'6cris uour to auro ^no j'aimo,
<)u'"u i-ii^on <1u solvit sse wmbö jusc^u'-" moi,
(ju'en un jour ils "Icuil et tlo doulvur "ni'i'ömiz,
I^o" ^Isurs mio j>Z verzins in'ont fille pen?!er !i loi.

Er erzählt hierauf die Geschichte, auf die er in seinen Dichtungen fort¬
während zurückkommt, wie seine Geliebte treulos an ihm gehandelt, und wie
ihm infolge dessen das ganze Leben als eine wüste Steppe deS Lasters er¬
schienen sei. Er schildert die entsetzliche Nacht, wo er die Entdeckung machte.


^u milieu lies Ususpor^ it'un peuple l'urieux
Hui "ombliut vu piiiis.int orier K in" ^jeunessv:
"loi ijui nleuie" ve "vir, n'hö-tu N!>s ri eomiuo eux?"

In diesem Kampf zwischen Leben und Sterben habe er sich an Lamartine
erinnert und erkannt, daß der Gott des Dichters auch der seinige sei. -
ES ist nicht ganz leicht, sich in diese Art von Gemüthsstimmung zu versetzen.
Bereits mit dem 18. Jahre hat er seine cynischen Bilder' angefangen, er hat
sie ununterbrochen fortgesetzt mit aller Grazie eines scharfblickender VoltairianerS,
der den guten Ton der Gesellschaft kennt. Dazwischen kommen dann freilich
immer Sehnsuchtöklänge eines vollen Herzens, aber wir können darin nur
einen Wechsel der Stimmungen, nicht eine Entwicklung und Fortbildung sehen;
und doch soll eine solche stattgefunden haben, wenigstens erzählt es uns
Se. Beuve mit seiner gewöhnlichen liebenswürdigen Indiskretion, die freilich
dies Mal nicht so scharf anzugreifen ist, denn die beiden Betheiligten, Alfred
de Musset und G. Sand, haben von der betreffenden Thatsache selber hin¬
länglich gesungen und geredet. Wenn aber diese, starke Leidenschaft in der


aber seine skeptische Stimmung reißt ihn fort, und mit der veränderten Auf¬
fassung verwandeln sich auch die Figuren. Man erfährt von der frommen
Brigitte, daß sie häufig in Mannskleidern geht und mit den alten Erinnerungen
taucht gewaltig das Bild G. Sands vor den Augen deS Dichters auf. Wie
realistisch er auch die wechselnden Launen und Stimmungen der menschlichen
Seele nachbildet, man empfindet doch, daß das ganze Gebäude auf Sand
aufgeführt ist. Der Ausgang macht nicht den Eindruck zwingender Noth¬
wendigkeit; es hätte ebensogut auch der entgegengesetzte sein können. Die
Staffage ist Faust und Byron, ja mitunter Jean Paul, aber das eigentliche
Gewebe der Gedanken, Bilder und Empfindungen ist Candide. — Unmittelbar
darauf veröffentlichte Alfred de Musset eine Epistel an Lamartine, in der
er die Gedanken deS Buchs weiter ausführte.


ern >>orei»ni. long-leurs ime j'ut-ii« 1^5 du invento;
^'i>> ni. i^ne ,j<z »uns, erv^nul. »voir cloul.6:
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AInu ombre ^ni n-issiut, pleino <Je vsinU'i.
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(ju'en un jour ils «Icuil et tlo doulvur «ni'i'ömiz,
I^o» ^Isurs mio j>Z verzins in'ont fille pen?!er !i loi.

Er erzählt hierauf die Geschichte, auf die er in seinen Dichtungen fort¬
während zurückkommt, wie seine Geliebte treulos an ihm gehandelt, und wie
ihm infolge dessen das ganze Leben als eine wüste Steppe deS Lasters er¬
schienen sei. Er schildert die entsetzliche Nacht, wo er die Entdeckung machte.


^u milieu lies Ususpor^ it'un peuple l'urieux
Hui «ombliut vu piiiis.int orier K in» ^jeunessv:
„loi ijui nleuie« ve »vir, n'hö-tu N!>s ri eomiuo eux?"

In diesem Kampf zwischen Leben und Sterben habe er sich an Lamartine
erinnert und erkannt, daß der Gott des Dichters auch der seinige sei. -
ES ist nicht ganz leicht, sich in diese Art von Gemüthsstimmung zu versetzen.
Bereits mit dem 18. Jahre hat er seine cynischen Bilder' angefangen, er hat
sie ununterbrochen fortgesetzt mit aller Grazie eines scharfblickender VoltairianerS,
der den guten Ton der Gesellschaft kennt. Dazwischen kommen dann freilich
immer Sehnsuchtöklänge eines vollen Herzens, aber wir können darin nur
einen Wechsel der Stimmungen, nicht eine Entwicklung und Fortbildung sehen;
und doch soll eine solche stattgefunden haben, wenigstens erzählt es uns
Se. Beuve mit seiner gewöhnlichen liebenswürdigen Indiskretion, die freilich
dies Mal nicht so scharf anzugreifen ist, denn die beiden Betheiligten, Alfred
de Musset und G. Sand, haben von der betreffenden Thatsache selber hin¬
länglich gesungen und geredet. Wenn aber diese, starke Leidenschaft in der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103666/429>, abgerufen am 28.07.2024.