Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

den eines taktmäßigen Accompagnements. Die christlichen Prediger griffen
diese Musik aber nicht vom ästhetischen, sondern vom religiösen Standpunkt an,
nämlich wegen der heidnischen Texte (die Librettos waren fast immer mytholo¬
gischen Inhalts) und wegen der Schlüpfrigkeit des sujets und der Aufführung-
Grade aus diesen Kanzelreden geht hervor, daß auch in den christlichen Ge¬
meinden der Geschmack für diese frivole Musik sehr verbreitet war. "Wer von
euch," fragt der h. Johannes Chrysostomus seine Zuhörer, "könnte einen Psalm
oder ein andres Stück aus der heiligen Schrift hersagen, wenn er dazu auf¬
gefordert würde? Wenn man aber nach diabolischen Liederchen, nach dem buh¬
lerischen und unzüchtigen Singsang fragen wollte, dann würde man gar viele
finden, die alles aufs genauste wissen und mit großer Lust vorsingen werden."
Aber es gab überhaupt damals nur eine specifisch heidnische Musik, weshalb
die Kirchenlehrer all und jeden Gesang und Saitenspiel für satanisch erklärten,
und namentlich die Sängerinnen und Harfenistinnen, deren Lebenswandel aller¬
dings nicht sehr erbaulich zu sein pflegte, als Dienerinnen des Teufels bezeich¬
neten, deren Lieder man wie die Gesänge der Sirenen fliehen müsse. Trotzdem
spielten und sangen diese Sirenen auch bei christlichen Festen, und namentlich
bei Hochzeiten wurde mit Sang und Klang noch immer in völlig heidnischer
Ausgelassenheit gejubelt. Das lciodiceuische Concil verordnete (36S) , daß
Geistliche sich bei Hochzeiten entfernen sollten, bevor die Musik anfinge; aber
Theodosius der Große wollte auch die Seelen der Laien vor dieser Verführung
bewahren. Er verbot in einem ausdrücklichen Erlaß, nicht nur Sängerinnen
und Harfenistinnen bei Schauspielen und Festen auftreten zu lassen, sondern
auch Mädchen in diesen Künsten zu unterrichten, dergleichen Virtuosinnen ZU
kaufen, zu verkaufen und zu besitzen.

Wenn die Musik selbst in der christlichen Gesellschaft so viel Interesse fand,
so kann es nicht Wunder nehmen, daß wir in der heidnischen die Melomanie
noch immer auf der alten Höhe finden. Die großen Paläste Roms hallten
in dieser Zeit (wie ein Zeitgenosse schildert) vom Gesang und Saitenspiel wie¬
der, statt der Lehrer der Philosopie und Beredsamkeit gingen Mustklehrer und
Sänger aus und ein, und während die Bibliotheken gleich Grüften für immer
geschlossen waren, war die Fabrikation von Wasserorgeln, Lauten "so groß wie
Kutschen" und riesenhaften Flöten im eifrigsten Betriebe. Man darf hieraus
schließen, daß der Geschmack an starker Instrumentirung seit der augustischen
Zeit noch sehr zugenommen hatte. In einer hundert Jahre früher veranstalteten
Aufführung waren sogar Tutti von hundert Trompetern und hundert FlötcN-
bläsern vorgekommen, man sieht, daß auch dem Alterthum seine Monstreconcerte
nicht fehlten.'




den eines taktmäßigen Accompagnements. Die christlichen Prediger griffen
diese Musik aber nicht vom ästhetischen, sondern vom religiösen Standpunkt an,
nämlich wegen der heidnischen Texte (die Librettos waren fast immer mytholo¬
gischen Inhalts) und wegen der Schlüpfrigkeit des sujets und der Aufführung-
Grade aus diesen Kanzelreden geht hervor, daß auch in den christlichen Ge¬
meinden der Geschmack für diese frivole Musik sehr verbreitet war. „Wer von
euch," fragt der h. Johannes Chrysostomus seine Zuhörer, „könnte einen Psalm
oder ein andres Stück aus der heiligen Schrift hersagen, wenn er dazu auf¬
gefordert würde? Wenn man aber nach diabolischen Liederchen, nach dem buh¬
lerischen und unzüchtigen Singsang fragen wollte, dann würde man gar viele
finden, die alles aufs genauste wissen und mit großer Lust vorsingen werden."
Aber es gab überhaupt damals nur eine specifisch heidnische Musik, weshalb
die Kirchenlehrer all und jeden Gesang und Saitenspiel für satanisch erklärten,
und namentlich die Sängerinnen und Harfenistinnen, deren Lebenswandel aller¬
dings nicht sehr erbaulich zu sein pflegte, als Dienerinnen des Teufels bezeich¬
neten, deren Lieder man wie die Gesänge der Sirenen fliehen müsse. Trotzdem
spielten und sangen diese Sirenen auch bei christlichen Festen, und namentlich
bei Hochzeiten wurde mit Sang und Klang noch immer in völlig heidnischer
Ausgelassenheit gejubelt. Das lciodiceuische Concil verordnete (36S) , daß
Geistliche sich bei Hochzeiten entfernen sollten, bevor die Musik anfinge; aber
Theodosius der Große wollte auch die Seelen der Laien vor dieser Verführung
bewahren. Er verbot in einem ausdrücklichen Erlaß, nicht nur Sängerinnen
und Harfenistinnen bei Schauspielen und Festen auftreten zu lassen, sondern
auch Mädchen in diesen Künsten zu unterrichten, dergleichen Virtuosinnen ZU
kaufen, zu verkaufen und zu besitzen.

Wenn die Musik selbst in der christlichen Gesellschaft so viel Interesse fand,
so kann es nicht Wunder nehmen, daß wir in der heidnischen die Melomanie
noch immer auf der alten Höhe finden. Die großen Paläste Roms hallten
in dieser Zeit (wie ein Zeitgenosse schildert) vom Gesang und Saitenspiel wie¬
der, statt der Lehrer der Philosopie und Beredsamkeit gingen Mustklehrer und
Sänger aus und ein, und während die Bibliotheken gleich Grüften für immer
geschlossen waren, war die Fabrikation von Wasserorgeln, Lauten „so groß wie
Kutschen" und riesenhaften Flöten im eifrigsten Betriebe. Man darf hieraus
schließen, daß der Geschmack an starker Instrumentirung seit der augustischen
Zeit noch sehr zugenommen hatte. In einer hundert Jahre früher veranstalteten
Aufführung waren sogar Tutti von hundert Trompetern und hundert FlötcN-
bläsern vorgekommen, man sieht, daß auch dem Alterthum seine Monstreconcerte
nicht fehlten.'




<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0342" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/104009"/>
          <p xml:id="ID_974" prev="#ID_973"> den eines taktmäßigen Accompagnements. Die christlichen Prediger griffen<lb/>
diese Musik aber nicht vom ästhetischen, sondern vom religiösen Standpunkt an,<lb/>
nämlich wegen der heidnischen Texte (die Librettos waren fast immer mytholo¬<lb/>
gischen Inhalts) und wegen der Schlüpfrigkeit des sujets und der Aufführung-<lb/>
Grade aus diesen Kanzelreden geht hervor, daß auch in den christlichen Ge¬<lb/>
meinden der Geschmack für diese frivole Musik sehr verbreitet war. &#x201E;Wer von<lb/>
euch," fragt der h. Johannes Chrysostomus seine Zuhörer, &#x201E;könnte einen Psalm<lb/>
oder ein andres Stück aus der heiligen Schrift hersagen, wenn er dazu auf¬<lb/>
gefordert würde? Wenn man aber nach diabolischen Liederchen, nach dem buh¬<lb/>
lerischen und unzüchtigen Singsang fragen wollte, dann würde man gar viele<lb/>
finden, die alles aufs genauste wissen und mit großer Lust vorsingen werden."<lb/>
Aber es gab überhaupt damals nur eine specifisch heidnische Musik, weshalb<lb/>
die Kirchenlehrer all und jeden Gesang und Saitenspiel für satanisch erklärten,<lb/>
und namentlich die Sängerinnen und Harfenistinnen, deren Lebenswandel aller¬<lb/>
dings nicht sehr erbaulich zu sein pflegte, als Dienerinnen des Teufels bezeich¬<lb/>
neten, deren Lieder man wie die Gesänge der Sirenen fliehen müsse. Trotzdem<lb/>
spielten und sangen diese Sirenen auch bei christlichen Festen, und namentlich<lb/>
bei Hochzeiten wurde mit Sang und Klang noch immer in völlig heidnischer<lb/>
Ausgelassenheit gejubelt. Das lciodiceuische Concil verordnete (36S) , daß<lb/>
Geistliche sich bei Hochzeiten entfernen sollten, bevor die Musik anfinge; aber<lb/>
Theodosius der Große wollte auch die Seelen der Laien vor dieser Verführung<lb/>
bewahren. Er verbot in einem ausdrücklichen Erlaß, nicht nur Sängerinnen<lb/>
und Harfenistinnen bei Schauspielen und Festen auftreten zu lassen, sondern<lb/>
auch Mädchen in diesen Künsten zu unterrichten, dergleichen Virtuosinnen ZU<lb/>
kaufen, zu verkaufen und zu besitzen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_975"> Wenn die Musik selbst in der christlichen Gesellschaft so viel Interesse fand,<lb/>
so kann es nicht Wunder nehmen, daß wir in der heidnischen die Melomanie<lb/>
noch immer auf der alten Höhe finden. Die großen Paläste Roms hallten<lb/>
in dieser Zeit (wie ein Zeitgenosse schildert) vom Gesang und Saitenspiel wie¬<lb/>
der, statt der Lehrer der Philosopie und Beredsamkeit gingen Mustklehrer und<lb/>
Sänger aus und ein, und während die Bibliotheken gleich Grüften für immer<lb/>
geschlossen waren, war die Fabrikation von Wasserorgeln, Lauten &#x201E;so groß wie<lb/>
Kutschen" und riesenhaften Flöten im eifrigsten Betriebe. Man darf hieraus<lb/>
schließen, daß der Geschmack an starker Instrumentirung seit der augustischen<lb/>
Zeit noch sehr zugenommen hatte. In einer hundert Jahre früher veranstalteten<lb/>
Aufführung waren sogar Tutti von hundert Trompetern und hundert FlötcN-<lb/>
bläsern vorgekommen, man sieht, daß auch dem Alterthum seine Monstreconcerte<lb/>
nicht fehlten.'</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0342] den eines taktmäßigen Accompagnements. Die christlichen Prediger griffen diese Musik aber nicht vom ästhetischen, sondern vom religiösen Standpunkt an, nämlich wegen der heidnischen Texte (die Librettos waren fast immer mytholo¬ gischen Inhalts) und wegen der Schlüpfrigkeit des sujets und der Aufführung- Grade aus diesen Kanzelreden geht hervor, daß auch in den christlichen Ge¬ meinden der Geschmack für diese frivole Musik sehr verbreitet war. „Wer von euch," fragt der h. Johannes Chrysostomus seine Zuhörer, „könnte einen Psalm oder ein andres Stück aus der heiligen Schrift hersagen, wenn er dazu auf¬ gefordert würde? Wenn man aber nach diabolischen Liederchen, nach dem buh¬ lerischen und unzüchtigen Singsang fragen wollte, dann würde man gar viele finden, die alles aufs genauste wissen und mit großer Lust vorsingen werden." Aber es gab überhaupt damals nur eine specifisch heidnische Musik, weshalb die Kirchenlehrer all und jeden Gesang und Saitenspiel für satanisch erklärten, und namentlich die Sängerinnen und Harfenistinnen, deren Lebenswandel aller¬ dings nicht sehr erbaulich zu sein pflegte, als Dienerinnen des Teufels bezeich¬ neten, deren Lieder man wie die Gesänge der Sirenen fliehen müsse. Trotzdem spielten und sangen diese Sirenen auch bei christlichen Festen, und namentlich bei Hochzeiten wurde mit Sang und Klang noch immer in völlig heidnischer Ausgelassenheit gejubelt. Das lciodiceuische Concil verordnete (36S) , daß Geistliche sich bei Hochzeiten entfernen sollten, bevor die Musik anfinge; aber Theodosius der Große wollte auch die Seelen der Laien vor dieser Verführung bewahren. Er verbot in einem ausdrücklichen Erlaß, nicht nur Sängerinnen und Harfenistinnen bei Schauspielen und Festen auftreten zu lassen, sondern auch Mädchen in diesen Künsten zu unterrichten, dergleichen Virtuosinnen ZU kaufen, zu verkaufen und zu besitzen. Wenn die Musik selbst in der christlichen Gesellschaft so viel Interesse fand, so kann es nicht Wunder nehmen, daß wir in der heidnischen die Melomanie noch immer auf der alten Höhe finden. Die großen Paläste Roms hallten in dieser Zeit (wie ein Zeitgenosse schildert) vom Gesang und Saitenspiel wie¬ der, statt der Lehrer der Philosopie und Beredsamkeit gingen Mustklehrer und Sänger aus und ein, und während die Bibliotheken gleich Grüften für immer geschlossen waren, war die Fabrikation von Wasserorgeln, Lauten „so groß wie Kutschen" und riesenhaften Flöten im eifrigsten Betriebe. Man darf hieraus schließen, daß der Geschmack an starker Instrumentirung seit der augustischen Zeit noch sehr zugenommen hatte. In einer hundert Jahre früher veranstalteten Aufführung waren sogar Tutti von hundert Trompetern und hundert FlötcN- bläsern vorgekommen, man sieht, daß auch dem Alterthum seine Monstreconcerte nicht fehlten.'

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103666
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103666/342
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103666/342>, abgerufen am 01.09.2024.