Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

er mißhandelt die Kompositionen eines damals beliebten Componisten Me-
NecrateS ("wie diejenigen versicherten, die sich auf seinen Gesang verstanden"),
außerdem ahmte er Posaunenbläser nach. Dasselbe Kunststück producirte dann
einer von den Sklaven auf einer thönernen Lampe eine volle halbe Stunde
lang, wozu einer von Trimalchios Freunden secundirte, indem er die Unterlippe
mit der Hand herunterzog. Zum Schluß der Mahlzeit läßt Trimalchio bereits
gänzlich betrunkene Horniste in den Speisesaal kommen, streckt sich aus dem
Sopha wie ein Todter aus und befiehlt eine Begräbnißmusik auszuführen.

Ob und wie viel an dieser Schilderung Petrons Caricatur, wie viel bei
einem musikalischen Diner eines provinziellen Kunstmäcens "schaudernd Selbst-
erlebtes" ist, können wir nicht wissen. So viel darf man daraus schließen,
auch wenns nicht sonst bekannt wäre, daß die Musikliebhaberei Mode war
und die musikalischen Produktionen in der damaligen gesellschaftlichen Unter¬
haltung schwerlich eine geringere Plage waren, als heutzutage.

Man weiß, daß die Musik im römischen wie im griechischen Leben zu
allen Zeiten eine große Rolle spielte, namentlich war sie bei allen heiligen
Handlungen obligat. Wenn das Beil den Nacken des Stiers traf und der
Weihrauchduft zu den Göttern emporstieg, scholl der Klang der doppelten Flöte;
wenn die Götterbilder vor besetzten Tischen auf Polstern zum Schmause nieder¬
gelegt wurden, Saitenspiel. Wenn in Zeiten großer Noth die sibyllinischen
Bücher Bettage anordneten, ging der Procession, die von Tempel zu Tempel
Zog, ein Chor von dreimal neun Jungfrauen singend voraus. Die Spielleute,
die bei den öffentlichen Opfern und sonst im Cultus des Staats fungirten,
bildeten zu Rom eine privilegirte Zunft; die Flölenbläser durften ihr jährliches
Festmahl im Tempel des Jupiter auf dem Capitol halten, und am 13. Juni
hielten sie einen Maskenaufzug in langen Kleidern durch die ganze Stadt.
Wenn die Musik, sagt ein alter Schriftsteller, nicht den Göttern wohlgefällig
wäre, würden nicht alle Gebete in den Tempeln mit einer Flöte begleitet wer¬
den. Zum Cultus gehörten auch die an Götterfesten gefeierten Schauspiele,
keines wurde ohne Musik begangen. Schwerlich kannte das römische Alterthum
einen specifischen Unterschied zwischen heiliger und profaner Musik, da ja auch
der Charakter der erstern vorwiegend heiter und festlich gewesen sein muß, und
"och heute ist in Italien der Abstand zwischen Oper und Messe nicht allzugroß.

DaS Schauspiel der Bühne soll sich aus musikalischen Anfängen entwickelt
haben, aus stummen Pantomimen mit Flötenbegleitung, die aus Toscana ein¬
geführt, und aus improvisirten Wechselgesängen, die in Rom einheimisch waren.
Jedenfalls blieb die Musik immer ein wesentlicher Bestandtheil aller theatrali¬
schen Aufführungen, wenn auch die eigentliche, durch Dialog niemals unterbrochene
Oper der antiken Bühne immer fremd geblieben ist. Aber im Trauer- wie im
Lustspiele, in den mannigfaltigen Gattungen der Farce wie.des Ballets war


41*

er mißhandelt die Kompositionen eines damals beliebten Componisten Me-
NecrateS („wie diejenigen versicherten, die sich auf seinen Gesang verstanden"),
außerdem ahmte er Posaunenbläser nach. Dasselbe Kunststück producirte dann
einer von den Sklaven auf einer thönernen Lampe eine volle halbe Stunde
lang, wozu einer von Trimalchios Freunden secundirte, indem er die Unterlippe
mit der Hand herunterzog. Zum Schluß der Mahlzeit läßt Trimalchio bereits
gänzlich betrunkene Horniste in den Speisesaal kommen, streckt sich aus dem
Sopha wie ein Todter aus und befiehlt eine Begräbnißmusik auszuführen.

Ob und wie viel an dieser Schilderung Petrons Caricatur, wie viel bei
einem musikalischen Diner eines provinziellen Kunstmäcens „schaudernd Selbst-
erlebtes" ist, können wir nicht wissen. So viel darf man daraus schließen,
auch wenns nicht sonst bekannt wäre, daß die Musikliebhaberei Mode war
und die musikalischen Produktionen in der damaligen gesellschaftlichen Unter¬
haltung schwerlich eine geringere Plage waren, als heutzutage.

Man weiß, daß die Musik im römischen wie im griechischen Leben zu
allen Zeiten eine große Rolle spielte, namentlich war sie bei allen heiligen
Handlungen obligat. Wenn das Beil den Nacken des Stiers traf und der
Weihrauchduft zu den Göttern emporstieg, scholl der Klang der doppelten Flöte;
wenn die Götterbilder vor besetzten Tischen auf Polstern zum Schmause nieder¬
gelegt wurden, Saitenspiel. Wenn in Zeiten großer Noth die sibyllinischen
Bücher Bettage anordneten, ging der Procession, die von Tempel zu Tempel
Zog, ein Chor von dreimal neun Jungfrauen singend voraus. Die Spielleute,
die bei den öffentlichen Opfern und sonst im Cultus des Staats fungirten,
bildeten zu Rom eine privilegirte Zunft; die Flölenbläser durften ihr jährliches
Festmahl im Tempel des Jupiter auf dem Capitol halten, und am 13. Juni
hielten sie einen Maskenaufzug in langen Kleidern durch die ganze Stadt.
Wenn die Musik, sagt ein alter Schriftsteller, nicht den Göttern wohlgefällig
wäre, würden nicht alle Gebete in den Tempeln mit einer Flöte begleitet wer¬
den. Zum Cultus gehörten auch die an Götterfesten gefeierten Schauspiele,
keines wurde ohne Musik begangen. Schwerlich kannte das römische Alterthum
einen specifischen Unterschied zwischen heiliger und profaner Musik, da ja auch
der Charakter der erstern vorwiegend heiter und festlich gewesen sein muß, und
«och heute ist in Italien der Abstand zwischen Oper und Messe nicht allzugroß.

DaS Schauspiel der Bühne soll sich aus musikalischen Anfängen entwickelt
haben, aus stummen Pantomimen mit Flötenbegleitung, die aus Toscana ein¬
geführt, und aus improvisirten Wechselgesängen, die in Rom einheimisch waren.
Jedenfalls blieb die Musik immer ein wesentlicher Bestandtheil aller theatrali¬
schen Aufführungen, wenn auch die eigentliche, durch Dialog niemals unterbrochene
Oper der antiken Bühne immer fremd geblieben ist. Aber im Trauer- wie im
Lustspiele, in den mannigfaltigen Gattungen der Farce wie.des Ballets war


41*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0331" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/103998"/>
          <p xml:id="ID_946" prev="#ID_945"> er mißhandelt die Kompositionen eines damals beliebten Componisten Me-<lb/>
NecrateS (&#x201E;wie diejenigen versicherten, die sich auf seinen Gesang verstanden"),<lb/>
außerdem ahmte er Posaunenbläser nach. Dasselbe Kunststück producirte dann<lb/>
einer von den Sklaven auf einer thönernen Lampe eine volle halbe Stunde<lb/>
lang, wozu einer von Trimalchios Freunden secundirte, indem er die Unterlippe<lb/>
mit der Hand herunterzog. Zum Schluß der Mahlzeit läßt Trimalchio bereits<lb/>
gänzlich betrunkene Horniste in den Speisesaal kommen, streckt sich aus dem<lb/>
Sopha wie ein Todter aus und befiehlt eine Begräbnißmusik auszuführen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_947"> Ob und wie viel an dieser Schilderung Petrons Caricatur, wie viel bei<lb/>
einem musikalischen Diner eines provinziellen Kunstmäcens &#x201E;schaudernd Selbst-<lb/>
erlebtes" ist, können wir nicht wissen. So viel darf man daraus schließen,<lb/>
auch wenns nicht sonst bekannt wäre, daß die Musikliebhaberei Mode war<lb/>
und die musikalischen Produktionen in der damaligen gesellschaftlichen Unter¬<lb/>
haltung schwerlich eine geringere Plage waren, als heutzutage.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_948"> Man weiß, daß die Musik im römischen wie im griechischen Leben zu<lb/>
allen Zeiten eine große Rolle spielte, namentlich war sie bei allen heiligen<lb/>
Handlungen obligat. Wenn das Beil den Nacken des Stiers traf und der<lb/>
Weihrauchduft zu den Göttern emporstieg, scholl der Klang der doppelten Flöte;<lb/>
wenn die Götterbilder vor besetzten Tischen auf Polstern zum Schmause nieder¬<lb/>
gelegt wurden, Saitenspiel. Wenn in Zeiten großer Noth die sibyllinischen<lb/>
Bücher Bettage anordneten, ging der Procession, die von Tempel zu Tempel<lb/>
Zog, ein Chor von dreimal neun Jungfrauen singend voraus. Die Spielleute,<lb/>
die bei den öffentlichen Opfern und sonst im Cultus des Staats fungirten,<lb/>
bildeten zu Rom eine privilegirte Zunft; die Flölenbläser durften ihr jährliches<lb/>
Festmahl im Tempel des Jupiter auf dem Capitol halten, und am 13. Juni<lb/>
hielten sie einen Maskenaufzug in langen Kleidern durch die ganze Stadt.<lb/>
Wenn die Musik, sagt ein alter Schriftsteller, nicht den Göttern wohlgefällig<lb/>
wäre, würden nicht alle Gebete in den Tempeln mit einer Flöte begleitet wer¬<lb/>
den. Zum Cultus gehörten auch die an Götterfesten gefeierten Schauspiele,<lb/>
keines wurde ohne Musik begangen. Schwerlich kannte das römische Alterthum<lb/>
einen specifischen Unterschied zwischen heiliger und profaner Musik, da ja auch<lb/>
der Charakter der erstern vorwiegend heiter und festlich gewesen sein muß, und<lb/>
«och heute ist in Italien der Abstand zwischen Oper und Messe nicht allzugroß.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_949" next="#ID_950"> DaS Schauspiel der Bühne soll sich aus musikalischen Anfängen entwickelt<lb/>
haben, aus stummen Pantomimen mit Flötenbegleitung, die aus Toscana ein¬<lb/>
geführt, und aus improvisirten Wechselgesängen, die in Rom einheimisch waren.<lb/>
Jedenfalls blieb die Musik immer ein wesentlicher Bestandtheil aller theatrali¬<lb/>
schen Aufführungen, wenn auch die eigentliche, durch Dialog niemals unterbrochene<lb/>
Oper der antiken Bühne immer fremd geblieben ist. Aber im Trauer- wie im<lb/>
Lustspiele, in den mannigfaltigen Gattungen der Farce wie.des Ballets war</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> 41*</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0331] er mißhandelt die Kompositionen eines damals beliebten Componisten Me- NecrateS („wie diejenigen versicherten, die sich auf seinen Gesang verstanden"), außerdem ahmte er Posaunenbläser nach. Dasselbe Kunststück producirte dann einer von den Sklaven auf einer thönernen Lampe eine volle halbe Stunde lang, wozu einer von Trimalchios Freunden secundirte, indem er die Unterlippe mit der Hand herunterzog. Zum Schluß der Mahlzeit läßt Trimalchio bereits gänzlich betrunkene Horniste in den Speisesaal kommen, streckt sich aus dem Sopha wie ein Todter aus und befiehlt eine Begräbnißmusik auszuführen. Ob und wie viel an dieser Schilderung Petrons Caricatur, wie viel bei einem musikalischen Diner eines provinziellen Kunstmäcens „schaudernd Selbst- erlebtes" ist, können wir nicht wissen. So viel darf man daraus schließen, auch wenns nicht sonst bekannt wäre, daß die Musikliebhaberei Mode war und die musikalischen Produktionen in der damaligen gesellschaftlichen Unter¬ haltung schwerlich eine geringere Plage waren, als heutzutage. Man weiß, daß die Musik im römischen wie im griechischen Leben zu allen Zeiten eine große Rolle spielte, namentlich war sie bei allen heiligen Handlungen obligat. Wenn das Beil den Nacken des Stiers traf und der Weihrauchduft zu den Göttern emporstieg, scholl der Klang der doppelten Flöte; wenn die Götterbilder vor besetzten Tischen auf Polstern zum Schmause nieder¬ gelegt wurden, Saitenspiel. Wenn in Zeiten großer Noth die sibyllinischen Bücher Bettage anordneten, ging der Procession, die von Tempel zu Tempel Zog, ein Chor von dreimal neun Jungfrauen singend voraus. Die Spielleute, die bei den öffentlichen Opfern und sonst im Cultus des Staats fungirten, bildeten zu Rom eine privilegirte Zunft; die Flölenbläser durften ihr jährliches Festmahl im Tempel des Jupiter auf dem Capitol halten, und am 13. Juni hielten sie einen Maskenaufzug in langen Kleidern durch die ganze Stadt. Wenn die Musik, sagt ein alter Schriftsteller, nicht den Göttern wohlgefällig wäre, würden nicht alle Gebete in den Tempeln mit einer Flöte begleitet wer¬ den. Zum Cultus gehörten auch die an Götterfesten gefeierten Schauspiele, keines wurde ohne Musik begangen. Schwerlich kannte das römische Alterthum einen specifischen Unterschied zwischen heiliger und profaner Musik, da ja auch der Charakter der erstern vorwiegend heiter und festlich gewesen sein muß, und «och heute ist in Italien der Abstand zwischen Oper und Messe nicht allzugroß. DaS Schauspiel der Bühne soll sich aus musikalischen Anfängen entwickelt haben, aus stummen Pantomimen mit Flötenbegleitung, die aus Toscana ein¬ geführt, und aus improvisirten Wechselgesängen, die in Rom einheimisch waren. Jedenfalls blieb die Musik immer ein wesentlicher Bestandtheil aller theatrali¬ schen Aufführungen, wenn auch die eigentliche, durch Dialog niemals unterbrochene Oper der antiken Bühne immer fremd geblieben ist. Aber im Trauer- wie im Lustspiele, in den mannigfaltigen Gattungen der Farce wie.des Ballets war 41*

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103666
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103666/331
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103666/331>, abgerufen am 01.09.2024.