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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band.

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durch Holstein. Um sich dieser Einwirkung von Süden für immer zu entziehen,
wurde von der nationalen Partei die Idee eines Wiederauflebens der calmari-
Ichen Union mit Eifer gepflegt. Die Skandinaven sind die gefährlichsten
Gegner des Gesammtstaats, ihre Verzweigungen erstrecken sich durch Schweden
und Norwegen in allen Classen der Bevölkerung bis in die Nähe des Thrones,
vielleicht bis zum Throne selbst. Schleswig wollen sie in der Hoffnung, ihm
den deutschen Charakter allmälig nehmen zu können, bei Dänemark erhalten-
wissen. Holstein und Lauenburg geben sie Preis, möchten sie sogar je eher
je lieber von den übrigen Theilen der Monarchie losgelöst sehen.

In dieser Richtung wirkt die dänische Presse mit Ausnahme der Negie-
rungsorgane schon seit Jahren, und aus dieser Opposition der meisten guten
Köpfe gegen den Gesammtstaat erklären sich die schon seit 1830 andauernden
Verfassungskämpfe, die unaufhörlichen Experimente, der Wechsel von 35 Mi¬
nistern, in dem fast alle politischen Talente Dänemarks aufgebraucht wurden,
die Verwerfung der Constitution von 185i> und die zögernde, scharfverclausulirte
Annahme der Gesammtverfassung von 1855, gegen deren Entstehung und
Inhalt Preußen und Oestreich gegenwärtig Einspruch erhoben haben.

Weniger störend -- der Schwerpunkt der Gewalt lag ja seit 1851 in der
Wagschale der Dänen -- war die Opposition der deutschen Partei im Gesammt-
staate. Was die Noten Preußens und Oestreichs anfechten, war schon längst
von den Ständen der Herzogthümer als unverträglich mit dem Landesrecht und
den dänischen Versprechungen von 1851 dargestellt worden. Als im Jahre
^853 den Vertretern Schleswigs und Holsteins die Sonderverfassungen zur
Berathung vorgelegt wurden, machten diese wie jene dringende Vorstellungen
gegen eine Gesammtpräsentation aus verschiedenen und ungleichmäßig "er¬
betenen Nationalitäten, riethen beide von dem Versuch, die Herzogthümer in
Dänemark aufgehen zu lassen, ab. Sie fanden kein Gehör, jene Sonder¬
derfassungen wurden unverändert als rechtskräftig veröffentlicht.

Die Beschwerden erneuerten sich im Herbst 1855 in der holsteinischen, im
Winter 1856 in der schleswigschen Ständeversammlung mit derselben Erfolg¬
losigkeit. Am 10. October 1855 ward von Kopenhagen aus ein Ministerium
für die gemeinschaftlichen inneren Angelegenheiten der Monarchie octroyirt, in
dessen Ressort alle Angelegenheiten des Neichsrathes, alle organischen Gesetze,
die das Verfassungsstatut der Monarchie erheischt, die Domänen, das Pvst-
und Zollwesen, die Colonien gehören, und dessen Vorstand natürlich ein Däne
ist- Folgerecht wurden im November 1855 für Schleswig, im Juni 1856 für
Holstein die Domanialangelegenheiten, welche in den Sonderverfassungen als
besondere bezeichnet sind, in diesen Verfassungen gestrichen und jenem neuen
Ministerium zugewiesen.

Im Reichsrath wurde von den Schleswig-Holsteinern Vorlage der Ge-


durch Holstein. Um sich dieser Einwirkung von Süden für immer zu entziehen,
wurde von der nationalen Partei die Idee eines Wiederauflebens der calmari-
Ichen Union mit Eifer gepflegt. Die Skandinaven sind die gefährlichsten
Gegner des Gesammtstaats, ihre Verzweigungen erstrecken sich durch Schweden
und Norwegen in allen Classen der Bevölkerung bis in die Nähe des Thrones,
vielleicht bis zum Throne selbst. Schleswig wollen sie in der Hoffnung, ihm
den deutschen Charakter allmälig nehmen zu können, bei Dänemark erhalten-
wissen. Holstein und Lauenburg geben sie Preis, möchten sie sogar je eher
je lieber von den übrigen Theilen der Monarchie losgelöst sehen.

In dieser Richtung wirkt die dänische Presse mit Ausnahme der Negie-
rungsorgane schon seit Jahren, und aus dieser Opposition der meisten guten
Köpfe gegen den Gesammtstaat erklären sich die schon seit 1830 andauernden
Verfassungskämpfe, die unaufhörlichen Experimente, der Wechsel von 35 Mi¬
nistern, in dem fast alle politischen Talente Dänemarks aufgebraucht wurden,
die Verwerfung der Constitution von 185i> und die zögernde, scharfverclausulirte
Annahme der Gesammtverfassung von 1855, gegen deren Entstehung und
Inhalt Preußen und Oestreich gegenwärtig Einspruch erhoben haben.

Weniger störend — der Schwerpunkt der Gewalt lag ja seit 1851 in der
Wagschale der Dänen — war die Opposition der deutschen Partei im Gesammt-
staate. Was die Noten Preußens und Oestreichs anfechten, war schon längst
von den Ständen der Herzogthümer als unverträglich mit dem Landesrecht und
den dänischen Versprechungen von 1851 dargestellt worden. Als im Jahre
^853 den Vertretern Schleswigs und Holsteins die Sonderverfassungen zur
Berathung vorgelegt wurden, machten diese wie jene dringende Vorstellungen
gegen eine Gesammtpräsentation aus verschiedenen und ungleichmäßig »er¬
betenen Nationalitäten, riethen beide von dem Versuch, die Herzogthümer in
Dänemark aufgehen zu lassen, ab. Sie fanden kein Gehör, jene Sonder¬
derfassungen wurden unverändert als rechtskräftig veröffentlicht.

Die Beschwerden erneuerten sich im Herbst 1855 in der holsteinischen, im
Winter 1856 in der schleswigschen Ständeversammlung mit derselben Erfolg¬
losigkeit. Am 10. October 1855 ward von Kopenhagen aus ein Ministerium
für die gemeinschaftlichen inneren Angelegenheiten der Monarchie octroyirt, in
dessen Ressort alle Angelegenheiten des Neichsrathes, alle organischen Gesetze,
die das Verfassungsstatut der Monarchie erheischt, die Domänen, das Pvst-
und Zollwesen, die Colonien gehören, und dessen Vorstand natürlich ein Däne
ist- Folgerecht wurden im November 1855 für Schleswig, im Juni 1856 für
Holstein die Domanialangelegenheiten, welche in den Sonderverfassungen als
besondere bezeichnet sind, in diesen Verfassungen gestrichen und jenem neuen
Ministerium zugewiesen.

Im Reichsrath wurde von den Schleswig-Holsteinern Vorlage der Ge-


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[0309] durch Holstein. Um sich dieser Einwirkung von Süden für immer zu entziehen, wurde von der nationalen Partei die Idee eines Wiederauflebens der calmari- Ichen Union mit Eifer gepflegt. Die Skandinaven sind die gefährlichsten Gegner des Gesammtstaats, ihre Verzweigungen erstrecken sich durch Schweden und Norwegen in allen Classen der Bevölkerung bis in die Nähe des Thrones, vielleicht bis zum Throne selbst. Schleswig wollen sie in der Hoffnung, ihm den deutschen Charakter allmälig nehmen zu können, bei Dänemark erhalten- wissen. Holstein und Lauenburg geben sie Preis, möchten sie sogar je eher je lieber von den übrigen Theilen der Monarchie losgelöst sehen. In dieser Richtung wirkt die dänische Presse mit Ausnahme der Negie- rungsorgane schon seit Jahren, und aus dieser Opposition der meisten guten Köpfe gegen den Gesammtstaat erklären sich die schon seit 1830 andauernden Verfassungskämpfe, die unaufhörlichen Experimente, der Wechsel von 35 Mi¬ nistern, in dem fast alle politischen Talente Dänemarks aufgebraucht wurden, die Verwerfung der Constitution von 185i> und die zögernde, scharfverclausulirte Annahme der Gesammtverfassung von 1855, gegen deren Entstehung und Inhalt Preußen und Oestreich gegenwärtig Einspruch erhoben haben. Weniger störend — der Schwerpunkt der Gewalt lag ja seit 1851 in der Wagschale der Dänen — war die Opposition der deutschen Partei im Gesammt- staate. Was die Noten Preußens und Oestreichs anfechten, war schon längst von den Ständen der Herzogthümer als unverträglich mit dem Landesrecht und den dänischen Versprechungen von 1851 dargestellt worden. Als im Jahre ^853 den Vertretern Schleswigs und Holsteins die Sonderverfassungen zur Berathung vorgelegt wurden, machten diese wie jene dringende Vorstellungen gegen eine Gesammtpräsentation aus verschiedenen und ungleichmäßig »er¬ betenen Nationalitäten, riethen beide von dem Versuch, die Herzogthümer in Dänemark aufgehen zu lassen, ab. Sie fanden kein Gehör, jene Sonder¬ derfassungen wurden unverändert als rechtskräftig veröffentlicht. Die Beschwerden erneuerten sich im Herbst 1855 in der holsteinischen, im Winter 1856 in der schleswigschen Ständeversammlung mit derselben Erfolg¬ losigkeit. Am 10. October 1855 ward von Kopenhagen aus ein Ministerium für die gemeinschaftlichen inneren Angelegenheiten der Monarchie octroyirt, in dessen Ressort alle Angelegenheiten des Neichsrathes, alle organischen Gesetze, die das Verfassungsstatut der Monarchie erheischt, die Domänen, das Pvst- und Zollwesen, die Colonien gehören, und dessen Vorstand natürlich ein Däne ist- Folgerecht wurden im November 1855 für Schleswig, im Juni 1856 für Holstein die Domanialangelegenheiten, welche in den Sonderverfassungen als besondere bezeichnet sind, in diesen Verfassungen gestrichen und jenem neuen Ministerium zugewiesen. Im Reichsrath wurde von den Schleswig-Holsteinern Vorlage der Ge-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103666/309>, abgerufen am 06.10.2024.