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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band.

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gewaltet hatte. "Geht dieselbe Richtung auch und besonders auch ins Kleine,
sieht sie nach dem Schöpfer auch in der kleinen Natur, betrachtet und be-
hätschelt sie diese mit teleologischen Hintergedanken und mit sonstigen moralischen
Stimmungen über die Natur als eine gute Gabe Gottes, so entsteht das
irdische Vergnügen in Gott: Brockes, Thomson, dessen Jahreszeiten (bekanntlich
der Tert zu Haydns Oratorium) gebührend mit einem Hymnus an Gott ab¬
schließen." Auf diesem Boden, auf dem auch das Kuhblümchen seine Berück¬
sichtigung findet, steht auch der wackere I. H. Voß und andere mit weniger
Gemüth und mehr Trivialität.

Doch diese Richtung veraltete. Philosophie und Dichtung vereinten sich,
die Natur als beseelt zu denken; ihnen war sie "ein göttlicher, dem mensch¬
lichen verwandter, gleichgestimmter Naturgeist, in dessen einige Unendlichkeit
sich die unausgefüllte Seele der poetisch angeregten Zeit im Gefühl einer Ver¬
wandschaft hineinversenkte oder auch sehnsüchtig hineinträumte". So Goethe,
so Byron, der die Natur immer versteht, der die Natur niemals abschreibt,
sondern wie einer Freundin und Geliebten mit anempfindenbem Verständniß
jede ihrer Mienen zu deuten weiß und ihre innersten Gedanken ihr ans der
Seele liest".

So weit der Verfasser. Wir zweifeln nicht, daß dieser kurze Abriß, den
wir von seiner Darstellung gegeben haben, jeden, der sich für griechisches
Alterthum interesstrt, begierig machen wird, sie selbst zu lesen: er wird sowol
in dieser als in den übrigen Abhandlungen die wichtigsten Aufschlüsse in der
anziehendsten Form finden. An diese Betrachtungen über das antike Natur¬
gefühl aber sei uns erlaubt noch eine Bemerkung zu knüpfen. Was am
meisten zur Verwirrung dieser Frage und zu ihrer Beantwortung zur Ungunst
des Alterthums beigetragen hat, das war die Vermischung von Naturgefühl
und landschaftlichen Gefühl. Wie lebhaft das erstere bei den Griechen (und
auch den Römern) war und welchen Ausdruck es sich schuf, haben wir eben
gesehen: das zweite aber besaßen beide Völker nicht, es ist eine Eigenthüm¬
lichkeit der neuern und vielleicht ausschließlich der nordischen Nationen. Das
landschaftliche Gefühl setzt nicht blos inniges Verständniß und feine Auffassung
der einzelnen natürlichen Erscheinungen voraus -- wer auch blos in den Schrif¬
ten der Alten geblättert hat, kann dies ihnen nicht absprechen -- sondern es
beruht grade auf dem Hange und dem Vermögen, die Zusammenwirkung der
einzelnen Erscheinungen zu einem harmonischen Ganzen zu empfinden und
dies Ganze zu beseelen, indem wir eine Verwandtschaft mit der eignen Seele
hineinlegen oder hineinträumen. Daß die Alten diesen Hang nicht hatten,
gibt Lehrs, und die Folge davon, daß sie kein landschaftliches Gefühl hatten,
auch Humboldt zu. Hätten sie eS gehabt, so wäre in naturgemäßer Ent¬
wicklung die Landschaftsmalerei daraus hervorgegangen, und diese dann wieder


gewaltet hatte. „Geht dieselbe Richtung auch und besonders auch ins Kleine,
sieht sie nach dem Schöpfer auch in der kleinen Natur, betrachtet und be-
hätschelt sie diese mit teleologischen Hintergedanken und mit sonstigen moralischen
Stimmungen über die Natur als eine gute Gabe Gottes, so entsteht das
irdische Vergnügen in Gott: Brockes, Thomson, dessen Jahreszeiten (bekanntlich
der Tert zu Haydns Oratorium) gebührend mit einem Hymnus an Gott ab¬
schließen." Auf diesem Boden, auf dem auch das Kuhblümchen seine Berück¬
sichtigung findet, steht auch der wackere I. H. Voß und andere mit weniger
Gemüth und mehr Trivialität.

Doch diese Richtung veraltete. Philosophie und Dichtung vereinten sich,
die Natur als beseelt zu denken; ihnen war sie „ein göttlicher, dem mensch¬
lichen verwandter, gleichgestimmter Naturgeist, in dessen einige Unendlichkeit
sich die unausgefüllte Seele der poetisch angeregten Zeit im Gefühl einer Ver¬
wandschaft hineinversenkte oder auch sehnsüchtig hineinträumte". So Goethe,
so Byron, der die Natur immer versteht, der die Natur niemals abschreibt,
sondern wie einer Freundin und Geliebten mit anempfindenbem Verständniß
jede ihrer Mienen zu deuten weiß und ihre innersten Gedanken ihr ans der
Seele liest".

So weit der Verfasser. Wir zweifeln nicht, daß dieser kurze Abriß, den
wir von seiner Darstellung gegeben haben, jeden, der sich für griechisches
Alterthum interesstrt, begierig machen wird, sie selbst zu lesen: er wird sowol
in dieser als in den übrigen Abhandlungen die wichtigsten Aufschlüsse in der
anziehendsten Form finden. An diese Betrachtungen über das antike Natur¬
gefühl aber sei uns erlaubt noch eine Bemerkung zu knüpfen. Was am
meisten zur Verwirrung dieser Frage und zu ihrer Beantwortung zur Ungunst
des Alterthums beigetragen hat, das war die Vermischung von Naturgefühl
und landschaftlichen Gefühl. Wie lebhaft das erstere bei den Griechen (und
auch den Römern) war und welchen Ausdruck es sich schuf, haben wir eben
gesehen: das zweite aber besaßen beide Völker nicht, es ist eine Eigenthüm¬
lichkeit der neuern und vielleicht ausschließlich der nordischen Nationen. Das
landschaftliche Gefühl setzt nicht blos inniges Verständniß und feine Auffassung
der einzelnen natürlichen Erscheinungen voraus — wer auch blos in den Schrif¬
ten der Alten geblättert hat, kann dies ihnen nicht absprechen — sondern es
beruht grade auf dem Hange und dem Vermögen, die Zusammenwirkung der
einzelnen Erscheinungen zu einem harmonischen Ganzen zu empfinden und
dies Ganze zu beseelen, indem wir eine Verwandtschaft mit der eignen Seele
hineinlegen oder hineinträumen. Daß die Alten diesen Hang nicht hatten,
gibt Lehrs, und die Folge davon, daß sie kein landschaftliches Gefühl hatten,
auch Humboldt zu. Hätten sie eS gehabt, so wäre in naturgemäßer Ent¬
wicklung die Landschaftsmalerei daraus hervorgegangen, und diese dann wieder


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103666/30>, abgerufen am 27.07.2024.