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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band.

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es waren bis an 7000 Mann aufgestellt. Wo kommen auch so viele Leute
her, fragte er wiederholt. Aber beim Einzug in die Stadt wartete sein auf
dem Vorplatze des Schlosses ein Bataillon Knaben von 8--12 Jahren. Jsts
doch, sprach der Fürst bei ihrem Anblicke, wie wenn alle Schweizer schon als
Soldaten aus Mutterleib kämen.

Wir wollen im Weiteren nun noch ausführen, wie sich bei diesen Waffen¬
übungen der Jugend die ursprüngliche Art deS Maienfahrens und Maien¬
schmauses theilweise noch durchblicken läßt, wie dann aber mit dem Verfall
der Volkssitte in dem Zeitalter der Perücke und der traurigen Geschlechter¬
herrschaft auch diese Ueberreste berechtigter und vernünftiger Lustbarkeit ein
schales Ende genommen haben. Die aarauer Chronik meldet v. I. ILS-I, wie
man die Herren der Städte von Brugg, Bremgarten, Lenzburg, Otter und
Zofingen nebst dem Adel der benachbarten Schlösser und Vogteien zusammen
eingeladen auf das Fest des Maientages. Andcrthalbhundert Mann Gerüstete
ritten da den Ankommenden entgegen; die Stadtknaben aber, -160 Mann stark,
in zwei Rotten unter ihren eigenen Hauptleuten und Fähnchen, bildeten wäh¬
rend des Empfanges und Willkommentrinkens als Ehrenwache den Ring. Als
ein Fest ähnlicher Art galt den Winterthurern der Zug in die Weckholdern.
Es war ein kriegerisch begangenes Kinderfest, von dem man glaubte, es stamme
aus der Heidenzeit her, war aber auf den Herbst verlegt. Das Knabenvolk
sammt Lehrerschaft und Stadtrath zog alsdann mit Trommel- und Pfeifen¬
schall auf deu benachbarten Limperg, der sich uns in der Neuzeit durch die
daselbst entdeckten Opfergeräthe und Götzenbilder als ein geweihter Berg aus¬
gewiesen hat. Ein jeder hatte dorten dann eine Bürde Wachholdergesträuch
an hauen und heim zu tragen, es sollte daS Jahr über als einfachstes Räucher¬
werk in den Häusern dienen. Zum Schlüsse begann aus der Neuwiese ein
Klettern und Wettrennen und alle wurden nachher mit Milch gelabt, später
mit Mutschenmecklein beschenkt. So ging es auch noch anderwärts. Im
würtembergischen Kocher waren eigene Stiftungen vorhanden, aus denen
Man in verschiedenen Dörfern die Kosten des MaientageS bestritt, und
die Jugend zog da gleichfalls in den Wald, hieb Birkenreiser und schmückte
sie mit jenen Preistüchern, die man bei dem gleichzeitig abgehaltenen Wett¬
lauf gewann und unter Trompetenschall austheilte. Allein auch hier griff der
Pedantismus der nachmaligen Zwangsgeister ein; Kinder mußten späterhin
vor der Obrigkeit Gebetlein, die Schulknaben ihre Lateinsprüche aufsagen, und
die-Ehrengaben sanken gleichfalls auf Schreibpapier herab. Aehnlich geschah
es in Tübingen; da bestand zuletzt alle Festfreude noch darin, daß die Stadt¬
wetzger etwa ihre Gäule hergaben und die Jungen auf der Stadtwiese ab¬
wechselnd herumreiten ließen. Grade auf dieselbe Art wird jetzt noch die
Kinderzech zu Dinkelsbühl in Baiern begangen. Am Ende deS vorigen


es waren bis an 7000 Mann aufgestellt. Wo kommen auch so viele Leute
her, fragte er wiederholt. Aber beim Einzug in die Stadt wartete sein auf
dem Vorplatze des Schlosses ein Bataillon Knaben von 8—12 Jahren. Jsts
doch, sprach der Fürst bei ihrem Anblicke, wie wenn alle Schweizer schon als
Soldaten aus Mutterleib kämen.

Wir wollen im Weiteren nun noch ausführen, wie sich bei diesen Waffen¬
übungen der Jugend die ursprüngliche Art deS Maienfahrens und Maien¬
schmauses theilweise noch durchblicken läßt, wie dann aber mit dem Verfall
der Volkssitte in dem Zeitalter der Perücke und der traurigen Geschlechter¬
herrschaft auch diese Ueberreste berechtigter und vernünftiger Lustbarkeit ein
schales Ende genommen haben. Die aarauer Chronik meldet v. I. ILS-I, wie
man die Herren der Städte von Brugg, Bremgarten, Lenzburg, Otter und
Zofingen nebst dem Adel der benachbarten Schlösser und Vogteien zusammen
eingeladen auf das Fest des Maientages. Andcrthalbhundert Mann Gerüstete
ritten da den Ankommenden entgegen; die Stadtknaben aber, -160 Mann stark,
in zwei Rotten unter ihren eigenen Hauptleuten und Fähnchen, bildeten wäh¬
rend des Empfanges und Willkommentrinkens als Ehrenwache den Ring. Als
ein Fest ähnlicher Art galt den Winterthurern der Zug in die Weckholdern.
Es war ein kriegerisch begangenes Kinderfest, von dem man glaubte, es stamme
aus der Heidenzeit her, war aber auf den Herbst verlegt. Das Knabenvolk
sammt Lehrerschaft und Stadtrath zog alsdann mit Trommel- und Pfeifen¬
schall auf deu benachbarten Limperg, der sich uns in der Neuzeit durch die
daselbst entdeckten Opfergeräthe und Götzenbilder als ein geweihter Berg aus¬
gewiesen hat. Ein jeder hatte dorten dann eine Bürde Wachholdergesträuch
an hauen und heim zu tragen, es sollte daS Jahr über als einfachstes Räucher¬
werk in den Häusern dienen. Zum Schlüsse begann aus der Neuwiese ein
Klettern und Wettrennen und alle wurden nachher mit Milch gelabt, später
mit Mutschenmecklein beschenkt. So ging es auch noch anderwärts. Im
würtembergischen Kocher waren eigene Stiftungen vorhanden, aus denen
Man in verschiedenen Dörfern die Kosten des MaientageS bestritt, und
die Jugend zog da gleichfalls in den Wald, hieb Birkenreiser und schmückte
sie mit jenen Preistüchern, die man bei dem gleichzeitig abgehaltenen Wett¬
lauf gewann und unter Trompetenschall austheilte. Allein auch hier griff der
Pedantismus der nachmaligen Zwangsgeister ein; Kinder mußten späterhin
vor der Obrigkeit Gebetlein, die Schulknaben ihre Lateinsprüche aufsagen, und
die-Ehrengaben sanken gleichfalls auf Schreibpapier herab. Aehnlich geschah
es in Tübingen; da bestand zuletzt alle Festfreude noch darin, daß die Stadt¬
wetzger etwa ihre Gäule hergaben und die Jungen auf der Stadtwiese ab¬
wechselnd herumreiten ließen. Grade auf dieselbe Art wird jetzt noch die
Kinderzech zu Dinkelsbühl in Baiern begangen. Am Ende deS vorigen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103666/277>, abgerufen am 27.07.2024.