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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band.

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beide Parteien nach langen und listig durchgeführten Manövern. Je sichtbarer
nun dem bürgerlichen Verstände der Widerspruch nach und nach werden mußte,
welcher zwischen diesen kindlichen Gewohnheiten der Vorzeit und der eigenen
wachsenden Bedeutsamkeit sich erhob, um so eher begab man sich selbst dieser
Spiele. Mit einer gewissen Schamhaftigkeit vor veralteten Moden trat der
Städter seine einzelnen Gewohnheiten dieser Art dem Bauernstande und der
Kinderwelt ab. Entweder überließ man sie dem umwohnenden Landvolke,
und ins Possenhafte verkehrt spielte sie dieses dann alljährlich einmal auf
Markt und Rathhausplatz ab gegen einen Trunk aus der städtischen Kellerei;
oder man nahm den letzten religiösen Schein hinweg, der noch an der alten
Ueblichkeit hängen mochte, und gab ihr dafür einen ganz neuen Zweck. Dies
war dann häufig ein bürgerlich praktischer, ein Erziehungszweck. So
"tischt denn in der politischen Frühreife mancher oberdeutschen Reichsstadt
schon ziemlich bald der sonst von allen Classen der Bevölkerung begangene
Maienzug; aber ebenso bald findet er daselbst eine neue Anwendung aus die
städtische Jugend. Sonst war man zur Feier der einkehrenden Frühlingsgötter
festlich in die Waffen getreten; nun suchte man in denselben Fristen die Ju¬
gend noch sich ergötzen zu lassen, dabei aber sie zugleich waffengeübt und
wehrhaft zu machen. Das sogenannte Cadettenwesen der Stadtknaben be¬
ginnt, die Knabenschule erhält einen militärischen Zweck, die Maienzüge wer¬
den bewaffnete Auszüge der Schulkinder, letztere sollen eine Prüfung bestehen
über ihre kriegerischen Fortschritte, und fällt es zur Zufriedenheit-aus, dann
dürfen sie auf Magistratskosten schmausen, dürfen auf dem Anger mit den
wartenden Schulmädchen tanzen. Aber der Spielplatz der Knaben wird von
Nun an auf den Schützenplatz der Väter versetzt.

Es ist bemerkenswerth, zu sehen, welche Städte eS sind, in denen diese
Umwandlung frühzeitig vor sich geht, und welche andere länger das Alter¬
thümliche mit einem gewissermaßen conservativen Sinne zu bewahren streben.
Meistens trifft das eine mit der wichtigeren Rolle zusammen, die dann eine
solche Stadt in der politischen Welt zu spielen beginnt, und das andere geht
Hand in Hand mit dem bescheidenen Stillleben, dem sich jener Ort und jene
Bürgerschaft ergibt. Nicht selten sind es staatsmännische, kriegerische Natu¬
ren, die sich vorzugsweise dann in der einen Commune erzeugen, während in
der andern unter dem milden Nächschimmer alter und hartnäckig bewahrter
Bräuche die beschaulichen Geister, die Priester, Künstler und Gelehrten er¬
stehen werden. Demnach kann es nicht auffallen, wenn in dem ernsthaften
"Bern der Maienzug mit seinem alterthümlich heidnischen Wesen sich geschicht¬
lich kaum verräth, kaum als je vorhanden gewesen sich andeutet. Um so
frühzeitiger aber drückt sich daselbst der kriegerische Festzug aus, der die ganze
städtische Krähenschar zu bestimmten Zeiten in eine geregelte Körperschaft, in


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beide Parteien nach langen und listig durchgeführten Manövern. Je sichtbarer
nun dem bürgerlichen Verstände der Widerspruch nach und nach werden mußte,
welcher zwischen diesen kindlichen Gewohnheiten der Vorzeit und der eigenen
wachsenden Bedeutsamkeit sich erhob, um so eher begab man sich selbst dieser
Spiele. Mit einer gewissen Schamhaftigkeit vor veralteten Moden trat der
Städter seine einzelnen Gewohnheiten dieser Art dem Bauernstande und der
Kinderwelt ab. Entweder überließ man sie dem umwohnenden Landvolke,
und ins Possenhafte verkehrt spielte sie dieses dann alljährlich einmal auf
Markt und Rathhausplatz ab gegen einen Trunk aus der städtischen Kellerei;
oder man nahm den letzten religiösen Schein hinweg, der noch an der alten
Ueblichkeit hängen mochte, und gab ihr dafür einen ganz neuen Zweck. Dies
war dann häufig ein bürgerlich praktischer, ein Erziehungszweck. So
«tischt denn in der politischen Frühreife mancher oberdeutschen Reichsstadt
schon ziemlich bald der sonst von allen Classen der Bevölkerung begangene
Maienzug; aber ebenso bald findet er daselbst eine neue Anwendung aus die
städtische Jugend. Sonst war man zur Feier der einkehrenden Frühlingsgötter
festlich in die Waffen getreten; nun suchte man in denselben Fristen die Ju¬
gend noch sich ergötzen zu lassen, dabei aber sie zugleich waffengeübt und
wehrhaft zu machen. Das sogenannte Cadettenwesen der Stadtknaben be¬
ginnt, die Knabenschule erhält einen militärischen Zweck, die Maienzüge wer¬
den bewaffnete Auszüge der Schulkinder, letztere sollen eine Prüfung bestehen
über ihre kriegerischen Fortschritte, und fällt es zur Zufriedenheit-aus, dann
dürfen sie auf Magistratskosten schmausen, dürfen auf dem Anger mit den
wartenden Schulmädchen tanzen. Aber der Spielplatz der Knaben wird von
Nun an auf den Schützenplatz der Väter versetzt.

Es ist bemerkenswerth, zu sehen, welche Städte eS sind, in denen diese
Umwandlung frühzeitig vor sich geht, und welche andere länger das Alter¬
thümliche mit einem gewissermaßen conservativen Sinne zu bewahren streben.
Meistens trifft das eine mit der wichtigeren Rolle zusammen, die dann eine
solche Stadt in der politischen Welt zu spielen beginnt, und das andere geht
Hand in Hand mit dem bescheidenen Stillleben, dem sich jener Ort und jene
Bürgerschaft ergibt. Nicht selten sind es staatsmännische, kriegerische Natu¬
ren, die sich vorzugsweise dann in der einen Commune erzeugen, während in
der andern unter dem milden Nächschimmer alter und hartnäckig bewahrter
Bräuche die beschaulichen Geister, die Priester, Künstler und Gelehrten er¬
stehen werden. Demnach kann es nicht auffallen, wenn in dem ernsthaften
»Bern der Maienzug mit seinem alterthümlich heidnischen Wesen sich geschicht¬
lich kaum verräth, kaum als je vorhanden gewesen sich andeutet. Um so
frühzeitiger aber drückt sich daselbst der kriegerische Festzug aus, der die ganze
städtische Krähenschar zu bestimmten Zeiten in eine geregelte Körperschaft, in


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[0275] beide Parteien nach langen und listig durchgeführten Manövern. Je sichtbarer nun dem bürgerlichen Verstände der Widerspruch nach und nach werden mußte, welcher zwischen diesen kindlichen Gewohnheiten der Vorzeit und der eigenen wachsenden Bedeutsamkeit sich erhob, um so eher begab man sich selbst dieser Spiele. Mit einer gewissen Schamhaftigkeit vor veralteten Moden trat der Städter seine einzelnen Gewohnheiten dieser Art dem Bauernstande und der Kinderwelt ab. Entweder überließ man sie dem umwohnenden Landvolke, und ins Possenhafte verkehrt spielte sie dieses dann alljährlich einmal auf Markt und Rathhausplatz ab gegen einen Trunk aus der städtischen Kellerei; oder man nahm den letzten religiösen Schein hinweg, der noch an der alten Ueblichkeit hängen mochte, und gab ihr dafür einen ganz neuen Zweck. Dies war dann häufig ein bürgerlich praktischer, ein Erziehungszweck. So «tischt denn in der politischen Frühreife mancher oberdeutschen Reichsstadt schon ziemlich bald der sonst von allen Classen der Bevölkerung begangene Maienzug; aber ebenso bald findet er daselbst eine neue Anwendung aus die städtische Jugend. Sonst war man zur Feier der einkehrenden Frühlingsgötter festlich in die Waffen getreten; nun suchte man in denselben Fristen die Ju¬ gend noch sich ergötzen zu lassen, dabei aber sie zugleich waffengeübt und wehrhaft zu machen. Das sogenannte Cadettenwesen der Stadtknaben be¬ ginnt, die Knabenschule erhält einen militärischen Zweck, die Maienzüge wer¬ den bewaffnete Auszüge der Schulkinder, letztere sollen eine Prüfung bestehen über ihre kriegerischen Fortschritte, und fällt es zur Zufriedenheit-aus, dann dürfen sie auf Magistratskosten schmausen, dürfen auf dem Anger mit den wartenden Schulmädchen tanzen. Aber der Spielplatz der Knaben wird von Nun an auf den Schützenplatz der Väter versetzt. Es ist bemerkenswerth, zu sehen, welche Städte eS sind, in denen diese Umwandlung frühzeitig vor sich geht, und welche andere länger das Alter¬ thümliche mit einem gewissermaßen conservativen Sinne zu bewahren streben. Meistens trifft das eine mit der wichtigeren Rolle zusammen, die dann eine solche Stadt in der politischen Welt zu spielen beginnt, und das andere geht Hand in Hand mit dem bescheidenen Stillleben, dem sich jener Ort und jene Bürgerschaft ergibt. Nicht selten sind es staatsmännische, kriegerische Natu¬ ren, die sich vorzugsweise dann in der einen Commune erzeugen, während in der andern unter dem milden Nächschimmer alter und hartnäckig bewahrter Bräuche die beschaulichen Geister, die Priester, Künstler und Gelehrten er¬ stehen werden. Demnach kann es nicht auffallen, wenn in dem ernsthaften »Bern der Maienzug mit seinem alterthümlich heidnischen Wesen sich geschicht¬ lich kaum verräth, kaum als je vorhanden gewesen sich andeutet. Um so frühzeitiger aber drückt sich daselbst der kriegerische Festzug aus, der die ganze städtische Krähenschar zu bestimmten Zeiten in eine geregelte Körperschaft, in 3t*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103666/275>, abgerufen am 28.07.2024.