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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band.

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Verwaltung und an dem allgemeinen politischen Leben Preußens für beide
Theile wünschenswert!) ist, so dürste das parlamentarische Leben dafür die
beste Vorschule sein. Es kommt bei der Einführung einer neuen Verfassung
nicht ausschließlich darauf an, daß unmittelbar durch sie die Gesetzgebung und
die Verwaltung verbessert wird. Wäre das in der That ihr Hauptzweck, so
müßte man auf die bisherigen Resultate mit Betrübniß blicken. Jede neue
Verfassung führt nothwenbigermeise, weil sie neue Elemente ins Staatsleben
ruft, Mißverständnisse und Irrungen mancher Art mit sich, aber sie ist zugleich
das einzige mögliche Mittel, daS Volk politisch zu erziehen und es zu einer
Nation umzubilden. Ist denn die Oeffentlichkeit in Bezug aus Personen und
Zustande, die von dem parlamentarischen Leben nicht getrennt werden kann,
ein so gering anzuschlagender Gewinn? Ist seit dem Februar 1847 das preu¬
ßische Volk durch die vermehrte Einsicht in den Zusammenhang seiner Institu¬
tionen und namentlich durch die Kenntniß der Personen, aus die es sein Ver¬
trauen setzen kann, nicht unendlich vorwärts gekommen? Diese Art der
Oeffentlichkeit ist durch nichts zu ersetzen, am wenigsten durch die Presse, ab¬
gesehen davon,, daß diese bei der Aufhebung der Verfassung auch bald ganz
verkümmern würde; das Interesse des Publicums würde wieder, wie früher,
in London und Paris leben, während es jetzt in Berlin lebt^ und dies Inter¬
esse ist doch immer ein bedeutender Factor in der gedeihlichen Entwicklung
des Staats.

Allerdings ist es ein sehr beklagenswerther Uebelstand, daß die bisherige
den Gerichten nachgebildete Organisation der Behörden mehr und mehr in ein
Parteiregiment, in die Ausbeutung des Staats zu Gunsten einer Classe über¬
geht. Allein Gneist hat Unrecht, den Grund davon im Constitutionalismus,
in> Begriff der ministeriellen Verantwortlichkeit zu suchen. Würde heute die
Verfassung aufgehoben, so würde das die Parteiregierung nicht schwächen,
sondern stärken. Nicht die gegenwärtige Majorität des Landtags regiert, nicht
ihre Entfernung würde der Regierung eine andere Wendung geben. 1830 war
die Majorität anders beschaffen, und die Tendenz der Regierung war dieselbe.
Der Grund liegt vielmehr darin, daß die gegenwärtige Regierung sich aus einer
Revolution entwickelt hat. Früher glaubte man, die Staatsregierung mache sich
Von selbst, man ließ daher in dem Beamtenpersonal die verschiedensten Nuancen
gelten. Als nun das Unwetter von 18i8 ausbrach, erkannte man, daß diese Stütze
gegen die Demokratie nicht ausreichend sei, und es war nur zu natürlich, daß
die neu erstarkte Gewalt sich jetzt sorgfältiger auch nach der politischen Ge¬
sinnung ihrer Werkzeuge erkundigte, und daß sie den Werth derselben nach ihrem
Gegensatz gegen die Revolution abmaß. DaS ist schlimm genug, aber es ist
natürlich und vor allen Dingen es entspringt nicht aus dem falsch verstandenen
begriff des Constitutionalismus. Wir trauen dem Herrn v. Westphalen eine


Verwaltung und an dem allgemeinen politischen Leben Preußens für beide
Theile wünschenswert!) ist, so dürste das parlamentarische Leben dafür die
beste Vorschule sein. Es kommt bei der Einführung einer neuen Verfassung
nicht ausschließlich darauf an, daß unmittelbar durch sie die Gesetzgebung und
die Verwaltung verbessert wird. Wäre das in der That ihr Hauptzweck, so
müßte man auf die bisherigen Resultate mit Betrübniß blicken. Jede neue
Verfassung führt nothwenbigermeise, weil sie neue Elemente ins Staatsleben
ruft, Mißverständnisse und Irrungen mancher Art mit sich, aber sie ist zugleich
das einzige mögliche Mittel, daS Volk politisch zu erziehen und es zu einer
Nation umzubilden. Ist denn die Oeffentlichkeit in Bezug aus Personen und
Zustande, die von dem parlamentarischen Leben nicht getrennt werden kann,
ein so gering anzuschlagender Gewinn? Ist seit dem Februar 1847 das preu¬
ßische Volk durch die vermehrte Einsicht in den Zusammenhang seiner Institu¬
tionen und namentlich durch die Kenntniß der Personen, aus die es sein Ver¬
trauen setzen kann, nicht unendlich vorwärts gekommen? Diese Art der
Oeffentlichkeit ist durch nichts zu ersetzen, am wenigsten durch die Presse, ab¬
gesehen davon,, daß diese bei der Aufhebung der Verfassung auch bald ganz
verkümmern würde; das Interesse des Publicums würde wieder, wie früher,
in London und Paris leben, während es jetzt in Berlin lebt^ und dies Inter¬
esse ist doch immer ein bedeutender Factor in der gedeihlichen Entwicklung
des Staats.

Allerdings ist es ein sehr beklagenswerther Uebelstand, daß die bisherige
den Gerichten nachgebildete Organisation der Behörden mehr und mehr in ein
Parteiregiment, in die Ausbeutung des Staats zu Gunsten einer Classe über¬
geht. Allein Gneist hat Unrecht, den Grund davon im Constitutionalismus,
in> Begriff der ministeriellen Verantwortlichkeit zu suchen. Würde heute die
Verfassung aufgehoben, so würde das die Parteiregierung nicht schwächen,
sondern stärken. Nicht die gegenwärtige Majorität des Landtags regiert, nicht
ihre Entfernung würde der Regierung eine andere Wendung geben. 1830 war
die Majorität anders beschaffen, und die Tendenz der Regierung war dieselbe.
Der Grund liegt vielmehr darin, daß die gegenwärtige Regierung sich aus einer
Revolution entwickelt hat. Früher glaubte man, die Staatsregierung mache sich
Von selbst, man ließ daher in dem Beamtenpersonal die verschiedensten Nuancen
gelten. Als nun das Unwetter von 18i8 ausbrach, erkannte man, daß diese Stütze
gegen die Demokratie nicht ausreichend sei, und es war nur zu natürlich, daß
die neu erstarkte Gewalt sich jetzt sorgfältiger auch nach der politischen Ge¬
sinnung ihrer Werkzeuge erkundigte, und daß sie den Werth derselben nach ihrem
Gegensatz gegen die Revolution abmaß. DaS ist schlimm genug, aber es ist
natürlich und vor allen Dingen es entspringt nicht aus dem falsch verstandenen
begriff des Constitutionalismus. Wir trauen dem Herrn v. Westphalen eine


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[0263] Verwaltung und an dem allgemeinen politischen Leben Preußens für beide Theile wünschenswert!) ist, so dürste das parlamentarische Leben dafür die beste Vorschule sein. Es kommt bei der Einführung einer neuen Verfassung nicht ausschließlich darauf an, daß unmittelbar durch sie die Gesetzgebung und die Verwaltung verbessert wird. Wäre das in der That ihr Hauptzweck, so müßte man auf die bisherigen Resultate mit Betrübniß blicken. Jede neue Verfassung führt nothwenbigermeise, weil sie neue Elemente ins Staatsleben ruft, Mißverständnisse und Irrungen mancher Art mit sich, aber sie ist zugleich das einzige mögliche Mittel, daS Volk politisch zu erziehen und es zu einer Nation umzubilden. Ist denn die Oeffentlichkeit in Bezug aus Personen und Zustande, die von dem parlamentarischen Leben nicht getrennt werden kann, ein so gering anzuschlagender Gewinn? Ist seit dem Februar 1847 das preu¬ ßische Volk durch die vermehrte Einsicht in den Zusammenhang seiner Institu¬ tionen und namentlich durch die Kenntniß der Personen, aus die es sein Ver¬ trauen setzen kann, nicht unendlich vorwärts gekommen? Diese Art der Oeffentlichkeit ist durch nichts zu ersetzen, am wenigsten durch die Presse, ab¬ gesehen davon,, daß diese bei der Aufhebung der Verfassung auch bald ganz verkümmern würde; das Interesse des Publicums würde wieder, wie früher, in London und Paris leben, während es jetzt in Berlin lebt^ und dies Inter¬ esse ist doch immer ein bedeutender Factor in der gedeihlichen Entwicklung des Staats. Allerdings ist es ein sehr beklagenswerther Uebelstand, daß die bisherige den Gerichten nachgebildete Organisation der Behörden mehr und mehr in ein Parteiregiment, in die Ausbeutung des Staats zu Gunsten einer Classe über¬ geht. Allein Gneist hat Unrecht, den Grund davon im Constitutionalismus, in> Begriff der ministeriellen Verantwortlichkeit zu suchen. Würde heute die Verfassung aufgehoben, so würde das die Parteiregierung nicht schwächen, sondern stärken. Nicht die gegenwärtige Majorität des Landtags regiert, nicht ihre Entfernung würde der Regierung eine andere Wendung geben. 1830 war die Majorität anders beschaffen, und die Tendenz der Regierung war dieselbe. Der Grund liegt vielmehr darin, daß die gegenwärtige Regierung sich aus einer Revolution entwickelt hat. Früher glaubte man, die Staatsregierung mache sich Von selbst, man ließ daher in dem Beamtenpersonal die verschiedensten Nuancen gelten. Als nun das Unwetter von 18i8 ausbrach, erkannte man, daß diese Stütze gegen die Demokratie nicht ausreichend sei, und es war nur zu natürlich, daß die neu erstarkte Gewalt sich jetzt sorgfältiger auch nach der politischen Ge¬ sinnung ihrer Werkzeuge erkundigte, und daß sie den Werth derselben nach ihrem Gegensatz gegen die Revolution abmaß. DaS ist schlimm genug, aber es ist natürlich und vor allen Dingen es entspringt nicht aus dem falsch verstandenen begriff des Constitutionalismus. Wir trauen dem Herrn v. Westphalen eine

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103666/263>, abgerufen am 28.07.2024.